Emscher Zorn. Mareike Löhnert

Читать онлайн.
Название Emscher Zorn
Автор произведения Mareike Löhnert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267363



Скачать книгу

zu sehen. Es bleibt bei heute Abend, ja? Es geht doch alles klar, oder?« Er klang nervös und bettelnd, wie ein Kind, das unbedingt Süßigkeiten haben will.

      »Klar«, bestätigte Nelu knapp, ohne das kranke Lächeln des Mannes zu erwidern.

      Der Mann blieb einen Moment unschlüssig stehen, nickte immer wieder hektisch und lief dann hastig davon, ohne sich zu verabschieden.

      »Ich dachte, du heißt Nelu«, murmelte Jakob und blickte dem Mann irritiert hinterher.

      »Ein richtiger Rumäne hat viele Namen.«

      Jakob sah ihn an. »Du bist Rumäne?«

      »Scheiße gelaufen, was? Jetzt rennst du hier mit ’nem Ausländer durch die Stadt. Wie peinlich für dich, du strahlender Sohn deutscher Helden.«

      Jakob wollte widersprechen, doch Nelu ließ ihn nicht zu Wort kommen.

      »Ich verstehe dich schon«, er klang versöhnlich, »ich bin ganz deiner Meinung. Meine Landsleute sind der letzte Dreck, strohdumm und nicht in der Lage, was aus ihrem Leben zu machen. Hilflose, verblödete Irre sind das. Und sie sind faul. Sie stinken wie Abfall, weil sie zu faul sind, sich zu waschen.« Er lachte.

      Jakob starrte ihn ungläubig an.

      »Ich meine das völlig ernst«, versicherte ihm Nelu, »ich werfe mich selbst nicht mit denen in einen Topf. Ich habe mit den Menschen meiner Nationalität nichts, rein gar nichts gemein.«

      Er wurde ernst, richtete sich auf und reckte das Kinn nach oben. »Ich bin anders.«

      Jakob nickte, das glaubte er ihm aufs Wort. Schweigend setzten sie ihren Weg fort.

      Unweit der Fußgängerzone hockte eine Gruppe Afrikaner auf einer Bank vor dem Pylon, einer 49 Meter hohen Konstruktion aus Stahl und Glas, die wohl Kunst darstellen sollte. Die Männer machten Scherze und unterhielten sich angeregt.

      »Schlimmer noch als Rumänen ist dieser schwarze Dreck«, brüllte Nelu plötzlich aus vollem Hals in ihre Richtung. »Neger, Syrer, Türken, Mulatten. Alle so viel wert wie der Dreck, der unter meinen Schuhsohlen klebt. Ich scheiß auf Dortmunds multikulturelles Gehabe.«

      Jakob war von Nelus rasantem Stimmungswechsel hingerissen. Seine Wut kam aus dem Nichts, strömte aus ihm heraus, sprühte schillernde Funken und flimmerte in leuchtenden Farben durch den öden, stickigen Sonntagnachmittag.

      Nelu fixierte die afrikanischen Männer mit hasserfülltem Blick. Seine Augen glühten.

      Der Klingelton von Nelus Handy durchbrach die angespannte Stimmung. Genervt zog er das Gerät aus seiner Hosentasche und entfernte sich. Beim Telefonieren lief er weiter den Gehsteig entlang. Jakob folgte ihm.

      »Natürlich, Margarete«, zwitscherte Nelu mit sanfter Stimme, »bitte beruhige dich. Es gab gute Gründe dafür, dass ich dich gestern versetzt habe. Mein kranker Bruder hatte wieder einen Rückfall. Wie bitte? Es kann doch nicht sein, dass du so etwas von mir denkst. Bitte mach mich nicht traurig.« Seine Stimme klang kläglich, aber er grinste Jakob von der Seite an und verdrehte dabei die Augen.

      »Natürlich habe ich dein Geld für seine Therapie verwendet. Es ging ihm ja auch schon wieder besser. Aber was soll ich sagen, die Ärzte meinten, ein Rückfall könne immer wieder vorkommen, genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet.«

      Er stöhnte theatralisch auf.

      »Jetzt geht das Ganze wieder von vorne los. Ich werde neues Geld in seine Behandlung stecken müssen. Was?« Er zögerte.

      »Ich komme nur, wenn du mir versprichst, mir nie wieder zu unterstellen, dass ich nur auf dein Geld scharf bin. Ich habe auch Gefühle. Margarete, he Engelchen, hör auf zu weinen.« Er wartete einen Moment.

      »Ich komme vorbei, dann können wir in Ruhe reden. Bin schon unterwegs.« Er machte albernde Kussgeräusche in den Hörer und steckte das Handy weg.

      Jakob starrte ihn entgeistert an. Nelu zuckte entschuldigend mit den Achseln.

      »Dumme alte Pute«, erklärte er trocken und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Also, Jakob«, er wirkte abgelenkt, »ich hab was Geschäftliches zu tun. War nett, dich kennenzulernen.«

      Jakob spürte eine Leere in seinem Inneren, die wehtat.

      Nelu überlegte einen Augenblick.

      »Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte er dann.

      Jakob nickte stumm. Nelu wies ihn mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen.

      Sie bogen in eine Seitenstraße ein und gingen auf einen alten, verrosteten VW zu. Nelu deutete mit der Hand auf das Fenster des Wagens, das wegen der Hitze einen winzigen Spalt geöffnet war.

      »Gut. So ist es am einfachsten«, murmelte er zufrieden.

      Er schaute sich kurz nach allen Seiten um, langte dann in seine Schultertasche und zog eine platte, biegsame Eisenstange hervor, die vorne an der Spitze einen kleinen Haken hatte. Mit einem geübten Griff fuhr er mit der Stange durch den Fensterspalt und hebelte professionell in Sekundenschnelle von innen die Tür auf. Er schwang sich auf den Fahrersitz, riss mit einem Ruck unter dem Lenkrad die Kabel aus der Armatur, rieb sie aneinander und startete den Wagen.

      »Worauf wartest du? Steig endlich ein«, rief er ungeduldig nach draußen, »geht’s ein bisschen schneller oder bist du eingeschlafen?«

      Jakob riss sich zusammen und setzte sich zu ihm in den Wagen.

      »Du klaust so einfach ein Auto?«, stammelte er unbeholfen.

      »Ich hab dir doch gesagt, dass ich Rumäne bin. So was lernt man bei uns schon als Kleinkind.« Nelu lächelte versonnen.

      »Wo müssen wir denn hin?«

      Jakob erklärte stockend, wo er wohnte.

      »Wir treffen uns morgen Abend um acht Uhr auf dem Hansaplatz. Sei pünktlich«, befahl Nelu.

      Jakob nickte wie eine Marionette, deren Fäden ein anderer zog.

      Als sie die Innenstadt hinter sich ließen und Richtung Norden fuhren, er den Fahrtwind durch das Fenster auf seinem Gesicht spürte und sich langsam entspannte, begann ein Gefühl von Freiheit sein Herz zu kitzeln, und das Lachen, das tief aus seiner Brust hervorquoll, war hemmungslos und laut.

      Kapitel 6 – Leyla

      Leyla Öztürk lehnte in der offenen Tür des kleinen Gemüseladens ihres Vaters und blinzelte in die Sonne. Aus den geöffneten Fenstern ihrer Nachbarn schallte ein wirrer Mix aus Musik durch die Blumenstraße. Türkische Klänge vermischten sich mit deutschem Schlager, aus dem Haus gegenüber dröhnte harter Punkrock. Lelya lächelte. Sie mochte dieses Viertel. Jeder ließ den anderen leben, so wie er war. Zwei Studenten fuhren lachend mit den Fahrrädern an ihr vorbei und winkten ihr zu. In den Getränkehaltern an ihren Rädern steckten Bierflaschen. Auf der anderen Straßenseite malten zwei schmutzige, dünne Kinder mit leidenschaftlicher Energie Kreidezeichnungen auf den Bordstein. Vor der Trinkhalle hatten sich die üblichen Kunden zu einem Schwätzchen verabredet.

      Leyla kniff ihre großen, schwarzen Augen zusammen. Den jungen, schlanken Mann, der in seinem eleganten Anzug auf ihren Laden zu schlenderte, hatte sie hier noch nie gesehen. Mit einem herablassenden Lächeln auf seinem schönen Gesicht kam er auf sie zu.

      Er strahlte Kälte aus. Leyla kreuzte die Arme vor der Brust und unterdrückte ein Schaudern. Seine dunkelblauen Augen bohrten sich in ihre, als er sich ohne ein Wort zu sagen, an ihr vorbei schob und den Laden betrat.

      Leyla folgte ihm misstrauisch, stellte sich hinter die Ladentheke und beobachtete ihn. Verächtlich sah er sich in dem, mit Regalen zugestellten, dunklen Verkaufsraum um. Ein Lichtstrahl fiel durch das Fenster auf die ramponierten Dielen des alten Holzfußbodens und ließ tanzende Staubflocken sichtbar werden. Der fremde Mann passte nicht hierher. Er wirkte in seiner schicken Kleidung und dem perfekt sitzenden, nach hinten gegeelten Haar, zwischen den staubigen Einmachgläsern und den Körben mit Obst, Gemüse und Kräutern wie eine Karikatur. Er nahm einen