Emscher Zorn. Mareike Löhnert

Читать онлайн.
Название Emscher Zorn
Автор произведения Mareike Löhnert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267363



Скачать книгу

sich nicht länger zurückhalten. »He, ein bisschen vorsichtiger mit unserer Ware, ja? Die Früchte gehen kaputt, wenn sie so geworfen werden.«

      Langsam drehte er sich zu ihr um. Leyla schluckte schwer. Der Mann fixierte sie einen Moment mit kaltem Blick, dann wanderte er weiter durch den Laden und verschwand hinter den Regalen. Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Die Stille im Raum war bedrückend. Der Mann tauchte wieder auf und wandte sich der Tür zu.

      »Moment mal, Freundchen.« Lelya blickte auf die große Beule in der Sakkotasche des Mannes. »Was hast du da? Hast du was geklaut, oder was?«

      »Süße, das würde ich nie tun. Nicht bei einem so bezaubernden Mädchen, wie du es bist. Hab ich auch gar nicht nötig.« Seine melodische Stimme klang angenehm. Sein Gesicht sah hinreißend aus.

      Leyla ließ sich nicht täuschen.

      Mit schnellen Schritten ging sie zornig auf den Mann zu, bis sie dicht vor ihm stand. Sein Atem roch nach Alkohol.

      »Zeig mir, was du in der Tasche hast, sonst rufe ich die Polizei, du Lackaffe«, zischte sie ihn leise an.

      Für einen winzigen Moment wirkte der Mann verunsichert, dann verzog sich sein Gesicht vor Abscheu. »Du dumme Schlampe. Das kannst du doch nicht ernst meinen. Weißt du eigentlich, wen du vor dir hast?«

      »Das interessiert mich nicht«, sie griff an ihm vorbei und stieß die Tür auf, »gib die Ware zurück und dann hau ab. Du hast hier Hausverbot.« Ihre Stimme wurde lauter.

      »Leyla, gibt es Ärger? Brauchst du Hilfe?« Der psychisch kranke Kurt, der dreimal am Tag mit seinen drei kläffenden Pekinesen sein Haus verließ und einen Spaziergang durch das Hafenviertel machte, steckte seinen riesigen, kahlen Kopf durch die Tür.

      »Tasche auf«, brüllte Leyla außer sich vor Zorn.

      Es ging hier nicht um etwas Obst, es ging um ihre Ehre. Die Stammkunden der Trinkhalle versammelten sich vor dem Eingang des Gemüseladens.

      »Tu, was sie sagt!«, schrie Horst, mit dem aufgeschwemmten Gesicht von draußen, als würde es um sein Leben gehen.

      Der fremde, junge Mann blickte fassungslos auf die wütende Meute vor der Tür, dann griff er in die Tasche seines Sakkos und zog zwei Orangen daraus hervor, die er auf die Holzdielen fallen ließ.

      »Das wirst du bereuen, Bitch«, stieß er zwischen zusammengepressten Lippen hervor. Als er eilig verschwand und mit großen Schritten die Blumenstraße entlanglief, schallte der Applaus und das Johlen von Leylas Nachbarn noch eine ganze Weile durch die engen Häuserschluchten.

      Leyla ahnte nicht, welches Nachspiel ihr Handeln haben würde.

      Kapitel 7 – Jakob

      Den gesamten Montag war Jakob aufgeregt und fieberte dem Treffen mit Nelu entgegen. Ruhelos spazierte er in der Wohnung auf und ab und wusste nichts mit sich anzufangen.

      Jesus auf dem Bild verfolgte ihn mit so erzürnten Blicken, dass Jakob sich sicher war, lodernde Flammen in seinen Augen zu erkennen. »Fick dich«, murmelte er und ging ins Wohnzimmer.

      »Hase, heute Abend mache ich uns etwas Feines zu essen. Was meinst du?« Mutters Augen waren von der vielen Fernglotzerei ganz klein und rot unterlaufen.

      Jakob würgte, als er an dicke Bohnen mit Speck, Schlodderkappes oder andere westfälische Gerichte dachte.

      »Wie siehst du eigentlich aus?« Sie musterte sein Gesicht und die aufgeschürften Knöchel seiner Hände.

      »Hab mich beim Sport verletzt«, erklärte Jakob schnell.

      Wie immer ließ sie sich schnell beruhigen. In ihrer kleinen rosaroten Welt musste alles in Ordnung sein. Die Seifenblase, in der sie lebte, durfte keine Risse bekommen.

      »Ach ja. Bei körperlicher Ertüchtigung kann so was schon mal passieren. Finde ich gut, dass du versuchst, etwas für deine Gesundheit zu tun. Sei nur das nächste Mal ein bisschen vorsichtiger, ja?« Ihr Lächeln wirkte debil. »Und wo warst du Samstagnacht?«, fuhr sie fort und kicherte albern, »bei deiner Liebsten? Hast du die Nacht bei ihr verbracht?« Sie sah ihn erwartungsvoll an.

      »Ja, ich habe jemanden kennengelernt«, erwiderte er knapp, »aber mehr erzähl ich dir nicht, das kannst du vergessen.«

      Immerhin musste er nicht lügen, auch wenn sie sich wohl etwas anderes unter seinen Worten versprach.

      »Oh Hase, wie schön«, sie jubelte, »ich will sie kennenlernen. Bitte tu mir den Gefallen und stell sie mir bald vor. Du hattest schon immer Schwierigkeiten, Kontakt zu anderen zu finden, hattest nie Freunde oder Freundinnen, nicht mal als Kind. Du warst immer so allein, und jetzt hast du endlich ein nettes Mädchen gefunden, das dich versteht. Ich freue mich so.« Euphorisch klatschte sie in die Hände.

      »Alles ist in Ordnung, Mutter«, sagte er müde, »ich geh mal unter die Dusche und ich habe keinen Hunger, bin später noch weg.«

      Sie kicherte und zwinkerte ihm vielsagend zu, dann tappte sie wie in Trance zurück zum Sofa, ließ sich schwerfällig darauf hinabsinken und widmete sich wieder dem Fernseher.

      Endlich saß Jakob mit klopfendem Herzen im überfüllten Bus und lehnte seinen heißen Kopf an die Fensterscheibe. Seine Hände zitterten und eine leichte Übelkeit breitete sich in seinem Magen aus. Es war lächerlich, aber er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal verabredet gewesen war.

      Am von Menschen überfüllten Hansaplatz angekommen, entdeckte er Nelu sofort. Er zog jeden Blick auf sich. Mit undurchdringlicher Miene saß er in seiner maßgeschneiderten Kleidung mittig auf den breiten Steintreppen und musterte mit abschätzendem Blick die Passanten, die einen respektvollen Abstand zu ihm einhielten.

      Jakob eilte auf ihn zu. Nelu wirkte angespannt und nervös. Seine Kiefermuskeln zuckten.

      »Nicht gut drauf heute?«, fragte Jakob leise und sah ihn von der Seite an.

      »Nicht der Rede wert. Nur eine kleine Schlampe, die mich ein bisschen auf die Palme bringt. Keine Sorge, sie wird schon bekommen, was sie verdient.« Endlich lächelte er.

      Eine Weile hockten sie nur da und beobachteten die Leute, die an ihnen vorübereilten.

      Die Menschen in der Fußgängerzone wirkten wie Drogenabhängige, wie sie mit verklärtem Blick von einem Geschäft ins nächste taumelten, die Arme fest um ihre vollen Einkaufstüten geschlungen. Wie immer war die Innenstadt überlaufen. Das Ballungszentrum Ruhrgebiet. Zu viele Menschen, auf zu wenig Platz.

      »Die tun mir leid, diese mickrigen, kleinen Gestalten«, Nelu fuhr sich mit der Hand durch sein glänzendes Haar, »malochen den ganzen Tag von früh bis spät, verbraten dann ihren kümmerlichen Lohn, um sich unnütze Konsumgegenstände zu kaufen, und versuchen sich einzureden, dass sie das glücklich macht. Abends Fernsehprogramm und wenn’s gut läuft ein kleiner Fick mit der Alten.« Er spuckte angewidert auf die Straße. »Das kann doch nicht alles sein. Das Leben ist doch viel zu kurz, oder?«

      Er sah Jakob an, der zustimmend nickte.

      »Aber nicht mit mir«, stieß Nelu grimmig hervor, »ich werde irgendwann am Strand sitzen, mit einem Drink in der Hand auf das Meer schauen und es mir gut gehen lassen. Warst du schon mal in Italien?«

      Jakob druckste herum und sah zu Boden.

      »Mallorca«, flüsterte er kaum hörbar.

      »Was ist los? Ist doch auch geil. Aber in Italien gibt es das beste Essen der Welt, und die Italiener sind ein echt entspanntes Volk. Was hast du?«

      »Kein cooler Urlaub gewesen damals«, Jakob räusperte sich.

      Nelu musterte ihn, sagte aber nichts. Die Gesprächspausen waren nicht unangenehm.

      Ein etwa 14-jähriges, blasses Mädchen drückte sich seit einiger Zeit neben ihnen herum. Sie rutschte, die Finger um die Treppenstufen gekrallt, als wolle sie sich daran festhalten, näher an Nelu heran.

      »Was?«, fuhr Nelu sie plötzlich an, »was zum