Emscher Zorn. Mareike Löhnert

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Название Emscher Zorn
Автор произведения Mareike Löhnert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267363



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was denkt ihr, wer schreibt jetzt den Bericht?«, fragte er vergnügt in die Runde und zwinkerte Dressler zu.

      »König. Wer sonst?«, Dressler kicherte wie ein kleines Mädchen.

      »Was? Warum ich schon wieder?«, fragte König zickig.

      »Weil du, Tim König«, Markowski tippte ihm mehrmals mit dem Zeigefinger gegen die Brust, »vor Kurzem wieder mal zwei Wochen einen Schein genommen und krankgefeiert hast. Glaub mir, wir wissen genau, dass du nicht wirklich krank warst.«

      König schnappte nach Luft. »Das ist eine Unterstellung«, fing er empört an, doch Markowski unterbrach ihn.

      »Fang bloß nicht an, dich rauszureden, sonst werde ich ernsthaft wütend. Mach dich an die Arbeit. Strafe muss sein und übrigens, geh endlich mal zum Friseur. Deine Haare sind viel zu lang und stehen von deinem Kopf ab, als hättest du einen Stromschlag bekommen. Du könntest glatt als Musiker in einer dieser ausgeflippten Reggae-Bands durchgehen, bald nenne ich dich nur noch Pumuckl«, er stieß ein bellendes Lachen aus, »los, Dressler. Wir trinken noch ein Feierabendbier zusammen, dann geht’s ab nach Hause.«

      Das Klatschen seiner Hände hallte über den Flur.

      König sah Dresslers höhnisches Grinsen noch vor sich, als er sich in dem stickigen, kleinen Büro an den Schreibtisch setzte, erfolglos versuchte, mit der Hand sein widerspenstiges, kurzes Haar zu glätten und den Computer hochfuhr.

      Kapitel 5 – Jakob

      Jakobs Kopf dröhnte, als er erwachte und durch seine verquollenen Augen linste, um zu erkennen, wo er sich befand.

      Der gestrige Tag rauschte wie verschwommener Brei durch sein Gehirn und ließ sich nicht fassen. Er richtete sich auf, setzte sich auf die Pritsche, auf der er gelegen hatte, und blickte irritiert um sich.

      Es dauerte einige Zeit, bis er zuordnen konnte, dass er sich in einer Gefängniszelle aufhielt.

      Er starrte auf seine Hände, an denen getrocknetes Blut klebte. Hoffentlich hatte er den anderen wenigstens gut erwischt, dachte er und sah sich um.

      Er kannte diese quadratischen, winzigen Räume nur zu gut. Er stand auf, machte einen großen Schritt und erreichte die gegenüberliegende Wand, wo sich eine Toilette und ein im Boden fest verankertes Waschbecken befanden, und begann, sich kaltes Wasser ins Gesicht zu klatschen. Das Becken verfärbte sich rot. Vorsichtig betastete er mit der Hand sein Gesicht, die frisch verschorfte Wunde und die riesige Beule an seinem Hinterkopf.

      Er zuckte vor Schmerz zusammen, stellte aber erleichtert fest, dass seine Verletzungen nicht weiter schlimm waren. Manche seiner Schlägereien waren übler ausgegangen. Er konnte sich bewegen und schien keine Knochenbrüche zu haben. Es gelang ihm, ohne Schwierigkeiten zu atmen, und er hatte noch alle seine Zähne im Mund. Alles in Ordnung. Jetzt musste er nur noch hier raus. Er ging zur Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen.

      »Hallo?«, rief er, »kann mich vielleicht mal irgendwer rauslassen? Ich habe noch was anderes zu tun, als hier abzuhängen.«

      Es dauerte eine Ewigkeit, bis er trottende Schritte und das Geklirre eines Schlüsselbundes vor der Tür hörte.

      Typisch, die Bullen mussten einem mit jeder kleinen Geste klarmachen, dass sie am längeren Hebel saßen. Arme Schweine eigentlich, wenn sie so was nötig hatten.

      Ein Riegel wurde zur Seite geschoben, und ein dickes Bullengesicht schaute durch das kleine vergitterte Fenster, das in der Tür eingebaut war.

      »Na. Schon wach?«, brummte der Mann draußen.

      »Ne, ich liege eingekuschelt auf eurer verfickten Pritsche und schlafe wie ein Baby«, schrie Jakob ihm durch die Tür zu und sprang ungeduldig auf und ab.

      »Ich mein ja nur. Wundert mich, dich so ausgeschlafen zu sehen, so wie du letzte Nacht geschrien hast. Wir waren kurz davor, den Arzt zu rufen, und der mag es gar nicht, wenn er nachts gestört wird. Hast uns ganz schön auf Trab gehalten«, erklärte der Wärter.

      Diese verdammten Albträume. Sie würden nie aufhören, Jakob zu verfolgen.

      »Ist mir scheißegal, was mit eurem Arzt ist. Ihr könnt das Wohnzimmer hier für den nächsten Gast fertig machen, ich bin bereit abzureisen.«

      »Immer langsam, junger Mann«, sagte der Bulle beschwichtigend, »ich werde nachfragen, ob du gehen kannst.« Er schlurfte davon.

      Jakob begann, durch den Raum zu laufen, von einer Ecke in die andere, und wartete. Nervös wischte er sich seine feuchten Handflächen an der Jeans ab. Endlich kam der Bulle zurück, schloss umständlich die Zellentür auf, händigte Jakob in einem langen Prozedere Schuhe, Gürtel, Wertsachen und seinen Ausweis aus und ließ ihn irgendein Dokument unterschreiben. Dann durfte er gehen.

      Von der Sonne geblendet, trat er durch die Glastür der Polizeiwache auf die Straße, wo ihn ein heißer Sommervormittag empfing. Er blinzelte und wollte gerade den Weg nach Hause antreten, als er mitten in der Bewegung innehielt und abrupt stehen blieb.

      Auf dem Rand eines Betonkübels, in den, bei einem vergeblichen Versuch, das Nordstadtbild zu verschönern, von einem der vielen alternativen Gutmenschen ein traurig aussehendes Bäumchen gepflanzt worden war, saß Nelu, rauchte eine Zigarette und blickte zu ihm hinüber.

      Zögernd machte Jakob einen Schritt auf ihn zu, blieb dann wieder stehen.

      Was wollte der Typ von ihm? Hatte er auf ihn gewartet?

      War er ein Stalker oder so was?

      Entschlossen wandte er sich ab und begann, die Straße in die entgegengesetzte Richtung entlang zu laufen.

      »Was ist los? Hast du Angst vor mir?«, rief Nelu hinter ihm her und lachte heiser.

      Seine Stimme zog Jakob magisch an. Er gab sich einen Ruck und ging mit klopfenden Herzen auf ihn zu.

      Er fühlte sich schäbig in seiner blutverschmierten, zerknitterten Kleidung, die er schon gestern getragen hatte, er roch nach Schweiß und hatte seine Zähne nicht geputzt.

      Nelu verströmte einen frischen Duft nach teurem Parfüm. Er bot Jakob schweigend eine Zigarette an. Sie rauchten wortlos.

      »Du kannst gut kämpfen. Hab dich vor dem Stadion gesehen.« Anerkennend sah Nelu ihn an, während Jakob verärgert spürte, wie er rot anlief.

      »Außer natürlich, wenn du abgelenkt und von so Weicheiern hinterrücks mit einer Flasche k.o. geschlagen wirst.« Nelu lachte. »Das hätte echt nicht sein müssen. Los komm, wir gehen.«

      Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, spazierten sie nebeneinander los. Schweigend schlugen sie den Weg Richtung Stadtkern ein und überquerten den Burgwall.

      Nelus Gang hatte etwas Tänzelndes. Jede seiner Bewegungen verströmte Energie. Die Aura, die ihn umgab, war so stark, dass sie zu leuchten schien und Jakob sich sicher war, sie sehen zu können.

      Die Straßen füllten sich, als sie sich dem Brückstraßenviertel näherten. Selbst an einem Sonntag herrschte hier reges Treiben. Früher als Treffpunkt der Drogen- und Rotlichtszene bekannt, hatte sich das Viertel inzwischen zu einem bunten Szenequartier entwickelt. Fressbuden, Kinos und Kneipen reihten sich dicht aneinander. Menschen, verschiedenster Kultur und Herkunft, kreuzten ihren Weg. Frauen, die ihnen entgegenkamen, starrten Nelu mit bewundernden Blicken an. Er wurde offen angehimmelt. Leidenschaftliche Blicke verfolgten sie.

      Der seltsame Mann lungerte an einer der Hauswände herum. Jakob bemerkte ihn schon von Weitem. Er starrte ihnen entgegen, gekleidet in seinem klassischen, braunen Anzug, mit seinem Lederkoffer in der Hand, wirkte er wie ein Bankangestellter, seine gebeugte Körperhaltung allerdings sah irgendwie schräg aus. Er krümmte sich zusammen, als hätte er heftige Schmerzen. Er kam ihnen mit schnellen Schritten und gesenktem Kopf entgegen, blickte ab und zu auf und strahlte Nelu mit verzerrtem Gesicht an. Er schwitzte stark und strich sich ruckartig feuchte Haarsträhnen aus der Stirn.

      Sein verkrampftes Grinsen sah nicht normal aus, stellte Jakob angewidert fest, als er sich ihnen näherte.