Emscher Zorn. Mareike Löhnert

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Название Emscher Zorn
Автор произведения Mareike Löhnert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267363



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die den urigen Biergarten umschloss, hatte sich eine Menschenansammlung gebildet, stellte er überrascht fest.

      Einige der Leute wichen gerade erschrocken zurück und gaben den Blick frei auf zwei Typen, die in einer Lache Blut am Boden lagen.

      »Bist du eingeschlafen, oder was?«, raunzte dieser Schleimer Dressler ihn von der Seite an, »leg einen Zahn zu und schieb deinen Body da rüber. Die Mauer war dein Part der Überwachung. Haste ja toll hingekriegt.«

      König schluckte und lief trabend hinter Dressler durch die Menge auf die Mauer zu.

      »Gehen Sie aus dem Weg. Polizei!«

      Er versuchte, nicht zu würgen, als er durch die Menge trat. Es war viel Blut geflossen. Der ganze Boden schimmerte in einem bräunlichen Dunkelrot. Einer der beteiligten Kerle, dessen Gesicht ähnlich aussah wie das Katzenfutter von Jutta, rappelte sich gerade schwankend vom Boden auf und wurde dabei von seinen beiden Kumpels gestützt, von denen einer heftig aus seiner schief stehenden Nase blutete.

      »Kann mir bitte jemand sagen, was hier los war?«, fragte er resigniert in die Runde, nahm den Schutzhelm ab und strich sich müde sein verschwitztes, braunes Haar aus der Stirn.

      »Da war so ein Verrückter«, keuchte der Unverletzte der drei Männer, »der ist von hinten auf Thomas drauf gesprungen, wie ein wild gewordenes Tier, ohne Vorwarnung und ohne was zu sagen. Hat auf ihn draufgeschlagen, einfach so. So was hab ich noch nicht erlebt. Ich hasse dieses Dortmunder Gesocks.« Er schüttelte schockiert den Kopf, atmete schwer, als wäre er selbst zusammengeschlagen worden.

      König sah ihn schweigend an.

      Eine blonde junge Frau trat hervor. »Er hat recht. Ich habe das Ganze beobachtet. Es ging ganz schnell. Die drei standen da, und der«, sie wies mit der Hand auf das zusammengesunkene Stück Mensch in der Blutlache, »der kam angerannt, sprang den einen an, würgte ihn und trat mit dem Fuß nach dem anderen. Als er den einen Mann zu Boden gebracht hatte, kam er in eine Art Blutrausch und schlug auf ihn ein, als würde es um sein Leben gehen.«

      »Und dann habt ihr zurückgeschlagen, oder was? Immer schön rauf auf den Dortmunder.«

      »Na ja«, meinte der mit der zertrümmerten Nase, »der Typ schien plötzlich wie weggetreten zu sein und glotzte wie hypnotisiert in die Menge, während er vorher nur damit beschäftigt war, Thomas halbtot zu schlagen. Ich habe die Chance ergriffen, ihm eine Flasche über den Hinterkopf gezogen und ihn außer Gefecht gesetzt. Der Typ«, seine Stimme zitterte, »er ist doch nicht tot?«

      König trat vorsichtig mit der Schuhspitze in die Rippen des auf dem Boden liegenden Mannes. Ein Stöhnen erklang von unten.

      »Nö. Ist er nicht«, erklärte König. »Hat sonst noch jemand was zu sagen, um den Sachverhalt zu klären?« Er sah sich fragend im Publikum um.

      Markowski drängte plötzlich seinen haarigen, stämmigen Körper zwischen ihn und die Menge und stieß ihn grob zur Seite.

      »So, König. Jetzt lass mal gut sein. Du bist diese Art von Arbeit doch gar nicht gewohnt. Ich übernehme.« Sein Stiernacken glänzte wie immer rot leuchtend, genauso wie sein Gesicht. Er zückte sein Notizbuch und begann mit seinen Befragungen.

      Der Rettungswagen kam. Ein Sanitäter warf einen flüchtigen Blick auf die zwei ansprechbaren Verletzten, dann kniete er sich in die Lache Blut auf dem Boden, schob mit den behandschuhten Fingern das Augenlid des bewusstlosen Mannes nach oben und beleuchtete mit einer Lampe seine Pupille. Der Bewusstlose zuckte plötzlich, richtete sich auf, hob seine Hand und krallte die Finger in das schulterlange, gelockte Haar des Sanitäters.

      »Fick dich«, schrie er ihn mit geschlossenen Augen an und spuckte dem Mann ins Gesicht, dann sank er zurück auf die Straße.

      »Der Mann ist ok«, stellte der Sanitäter fest, räusperte sich und wischte sich den Rotz aus dem Gesicht, »die Wunde ist nicht tief. Ich werde sie desinfizieren, aber nehmen Sie ihn in Polizeigewahrsam. Der Junge muss sich dringend ausnüchtern. Falls Sie morgen eine ungewöhnliche Veränderung seiner Pupillen wahrnehmen, bringen Sie ihn ins Krankenhaus.«

      Die Sanitäter verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

      Dressler, Markowski und König sahen den blinkenden Lichtern des Rettungswagens hinterher. Dann wandten sie ihren Blick der zusammengekrümmten Gestalt auf dem Boden zu.

      »Wir müssen ihn mitnehmen«, stellte Markowski fest.

      Sie sahen auf den jungen Mann mit den raspelkurzen Haaren und dem schwarzen T-Shirt hinunter.

      »Wenn er mich anspuckt, lasse ich ihn fallen«, sagte Markowski entschlossen.

      Sie schauten sich an. Ohne ein Wort zu sagen, griffen sich Dressler und Markowski jeweils einen Arm und ein Bein des Mannes, König schob seine Finger unter das Genick und sicherte den Kopf. Er stöhnte.

      »Was hat der in seinem Schädel? Steine?«, rief er.

      Er spürte das vertraute Ziehen in seinem Rücken.

      Er war mit seinen 35 Jahren einfach zu alt für so einen Einsatz.

      Sie schleppten den Mann zu ihrem Streifenwagen und versuchten, ihn nach hinten ins Auto zu legen. Ein dumpfer Knall ertönte.

      »Vorsicht. Sein Kopf«, schimpfte Markowski.

      Sie bugsierten ihn unter großen Anstrengungen auf den Rücksitz. Markowski schnaufte, und sein dicker Schnurrbart, der ihn aussehen ließ wie ein Walross, bebte dabei lustig auf und ab.

      »Jetzt auf zur Wache, Jungs. Ab in die Zelle mit dem Typen, Berichte schreiben und Feierabend. Obwohl«, er kratzte sich am Kopf, »ich mir eigentlich nicht sicher bin, ob er nicht doch besser in ein Krankenhaus gehören würde. Na ja, was soll’s, ich bin kein Arzt. Los, auf geht’s.« Er klatschte in die Hände.

      König hasste das. Es fühlte sich an, als wäre er ein Schuljunge und Markowski sein Lehrer.

      Sie machten sich auf den Weg. Die Straßen waren voll, und es dauerte eine Ewigkeit, bis sie die Polizeiwache Nord erreichten. Dass der Mann auf dem Rücksitz langsam zu sich kam, war nicht zu überhören. Er stieß erst seltsame, lang gezogene Geräusche aus, dann brabbelte er irgendwelche unsinnigen Wörter vor sich hin, als würde er in einer fremden Sprache sprechen.

      Ob er bei dem Schlag auf den Kopf seinen Verstand verloren hat? König wurde unruhig. Oder war er gar kein Mensch? Vielleicht kam er von einem anderen Planeten und war hier, um die Erde zu vernichten. Er versuchte, sich zusammenzureißen. Er spielte wirklich zu viele Computerspiele, seine Fantasie ging immer öfter mit ihm durch.

      Er drehte seinen Kopf nach hinten und musterte den verletzten Mann. Dieser riss genau in diesem Augenblick die blutunterlaufenen Augen auf und starrte ihn an.

      »Verpiss dich, Bullenschwein«, schrie der Mann ihn an.

      König war beruhigt. Es war kein Außerirdischer, so ging das normale Volk heutzutage mit Polizisten um. Alles ganz normal.

      Er lächelte, als der Mann wüste Flüche und Beschimpfungen von hinten brüllte. Die Polizisten stellten sich taub.

      Als sie auf der Wache ankamen, schien der Mann erschöpft zu sein, leistete keine Gegenwehr und ließ sich mit hängendem Kopf in das Büro führen.

      Sie nahmen sein Handy an sich und überprüften seine Personalien. Markowski zog seine buschigen Augenbrauen nach oben. »Oha. Schon öfter hier gewesen, was? Immer wegen Gewaltdelikten und Körperverletzung. Na, dann kennst du dich ja aus.«

      Der Mann reagierte nicht.

      Irgendwie schien ihm alles egal zu sein, dachte König. Etwas an diesem Mann machte ihn traurig. Er wirkte einsam und ernsthaft verzweifelt.

      Sie brachten ihn in die Ausnüchterungszelle, wo er sich von selbst, ohne dass sie ihm Anweisungen geben mussten, die Schuhe auszog und den Gürtel ablegte und ihnen schweigend in die Hand drückte. Dann legte er sich in der Zelle auf die Pritsche und starrte an die Decke.

      »Angenehme Nacht«, rief Markowski ihm zu und schloss die Zellentür.