Emscher Zorn. Mareike Löhnert

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Название Emscher Zorn
Автор произведения Mareike Löhnert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267363



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sich hasserfüllt, als er sich an den übergewichtigen Kollegen erinnerte, der jeden Tag dasselbe rosafarbene, zu enge T-Shirt mit der Aufschrift »Bier formte diesen wunderschönen Körper« trug, wie ein Schwein schwitzte und alles nur Mögliche tat, um sich vor der Arbeit zu drücken.

      »Ich geh da nicht mehr hin. Genug ist genug«, murmelte er.

      Der blaue Heinz nickte sinnierend und glotzte traurig in sein leeres Glas. Gustav stellte zwei Kurze vor sie auf den Tresen.

      »Die Welt ist böse, und die Menschheit besteht aus Lügnern und Egoisten. Dortmund ist nicht mehr das, was es einmal war«, stellte Heinz mit müder Stimme fest.

      Jakob stimmte ihm zu. Sie stießen an, tranken, danach verlor sich wieder jeder von ihnen in seine eigene Gedankenwelt.

      Jakob verbrachte den Abend in einer Art Dämmerzustand. Es gelang ihm nicht, richtig betrunken zu werden, es legte sich ein grauer Nebel über ihn und hüllte ihn wie eine Decke ein. Die Gäste verschwanden nach und nach, bis nur noch Jakob und der blaue Heinz schweigend an der Theke saßen.

      Nachdem sich Gustav mehrere Male lautstark geräuspert und zuvor mehrmals angekündigt hatte, dass dies die letzte Runde sei, nahm er beiden die Gläser weg.

      »Feierabend«, sagte er laut und deutlich, »ihr zwei Hübschen geht jetzt fein nach Hause und legt euch in eure Bettchen«, er hustete nachdrücklich und zündete sich eine Zigarette an, »und Jakob, lächele mal wieder. Bei deinem Lächeln geht die Sonne auf, sag ich immer. Steht dir besser, als dieses miesepetrige Gesicht. Wir wissen doch alle, dass du gar nicht so böse bist, wie du immer tust.« Er zwinkerte Jakob zu.

      Jakob warf Gustav einen drohenden Blick zu, rutschte gehorsam von seinem Hocker, hob die Hand zum Gruß und trottete mit hängendem Kopf wie ein verjagter Hund nach draußen. Sein verschwitztes T-Shirt stank nach totem Tier.

      Die Nacht war noch immer warm. Ruhe lag über dem sonst so lebendigen Nordmarkt. Jakob atmete tief die milde, nach Asphalt schmeckende Sommerluft ein, zog sich die rutschende Jogginghose hoch und schlug zu Fuß den Weg Richtung Schützenstraße ein, wo er gemeinsam mit Mutter lebte. Gedankenverloren trottete er durch die nächtliche Nordstadt.

      Morgen musste er mit Mutter sprechen und ihr mitteilen, dass keine Bezüge mehr vom Amt kommen würden und sie wieder zu zweit von ihrer Witwenrente leben mussten. Finanziell würde es eng werden. Ohne Schulabschluss, waren die Jobs, die ihm angeboten wurden, das Allerletzte. Er vergrub die Hände tief in den Hosentaschen, passierte graue Straßen und marode Häuser, mit vor Schmutz starrenden Fenstern.

      »Nazis auf die Fresse hauen«, hatte jemand mit einem Filzstift an eine Hauswand geschrieben. »Wie denn, ohne Arme?«, hatte ein Witzbold darunter gekritzelt.

      Von irgendwoher erklang laute Musik, das hysterische Gebrüll eines Mannes folgte, dann war es still. Jakob stieg über einen ausgekippten Müllsack, der auf dem dreckigen Bordstein lag. Eine Ratte huschte an seinen Turnschuhen vorbei und lief eilig über die leere Straße. Jakob blickte ihr hinterher. »Verdammt«, schrie er in die Nacht und kickte mit dem Fuß einen leeren Waschmittelkarton zur Seite, »warum muss immer alles so verflucht schwer sein?« Seine Stimme hallte durch die Häuserschluchten. Er schrak zusammen, als er ein heiseres Lachen neben sich hörte und feststellte, dass er nicht alleine war.

      Kapitel 2 – Jakob

      Eine dunkle Gestalt hockte im Schneidersitz auf dem Dach eines parkenden Autos. In dieser Stadt war es normal, dass man zu jeder Tageszeit auf die skurrilsten Typen traf, dennoch bemerkte Jakob, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er rührte sich nicht. Durch die Dunkelheit nahm er wahr, wie die schemenhafte Gestalt auf dem Autodach die Arme nach oben richtete und sich ausgiebig streckte.

      »Warum denn so wütend?« Die Stimme des Mannes war dunkel und rauchig. Mit einem Satz sprang er, geschmeidig wie eine Katze, auf die Straße und lehnte sich an eine Hauswand. Sein Gesicht blieb im Schatten verborgen, nur seine Augen schienen im Dunkeln zu leuchten.

      Wahrscheinlich hat der Typ einfach zu viel Kokain gezogen, versuchte Jakob, sich zu beruhigen, doch die plötzliche Nervosität, die sich in ihm ausbreitete, ließ sich nicht vertreiben. Der Mann trat aus dem Schatten und kam auf Jakob zu. Er war etwa in seinem Alter. Feste Bauchmuskeln bildeten sich unter seinem schwarzen Seidenhemd ab und er trug eine teuer aussehende, perfekt sitzende Anzughose. Sie starrten sich an. Jakob hatte noch nie ein so schönes Männergesicht gesehen. Er glotzte in die tiefblauen Augen des Mannes, auf die harten, hervortretenden Wangenknochen in der fast schon weiblichen Form des schmalen Gesichts, die glatte, hellbraune Haut und das dunkle, nach hinten gegelte Haar und kam sich vor wie ein Idiot.

      »Ich hab dich was gefragt«, zischte der Mann, »ich hab dich gefragt, warum du wütend bist.« Er strahlte eine Gefährlichkeit aus, die Jakob faszinierte. Sein Blick blieb an der gezackten Narbe hängen, die sich, zartrosa schimmernd, quer über den Hals des Mannes zog. Er riss sich zusammen und sah beschämt zu Boden. »Bin immer wütend«, murmelte er.

      Der Mann nickte wissend und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Nelu.«

      Jakob schlug ein und nannte seinen Namen.

      »Vielleicht sieht man sich mal wieder.« Nelu zuckte gelangweilt mit den Schultern, wandte sich ab und ging.

      Jakob spürte verwundert ein nagendes Gefühl von Sehnsucht, als er dem Mann, dessen Präsenz die ganze Straße einnahm, hinterher sah. Die Schützenstraße schien endlos lang zu sein. Im fahlen Licht der vereinzelten Straßenlaternen hatte er das Gefühl, durch eine Geisterstadt zu wandern. Grau an grau lehnten sich die Häuser, die ihre besten Tage längst hinter sich gelassen hatten, aneinander und beobachteten ihn aus blinden Fenstern.

      Endlich kam er an dem renovierungsbedürftigen Mehrfamilienhauses an, in dem er mit Mutter lebte. Er schlurfte die Treppen hinauf bis ganz nach oben.

      »Hier wohnen Marianne und Jakob Teuber«, stand auf dem grottenhässlichen, selbst getöpferten Herz, das an der Wohnungstür hing. Peinlich berührt sah Jakob weg. Wenn man das las, könnte man denken, dass hier ein Ehepaar wohnen würde und nicht Mutter und Sohn.

      Leise schloss er auf und betrat auf Zehenspitzen die Wohnung, um Mutter nicht zu wecken. Wie immer empfing ihn ein dumpfer Geruch nach Kohlrouladen, der sich nicht vertreiben ließ, egal, wie stark man lüftete. Er schlich durch den engen, schlauchförmigen Flur. Sein Blick fiel nach vorne. Das gerahmte Bild nahm die gesamte Wandbreite ein. Wie immer starrte der streng aussehende Jesus, der darauf in Lebensgröße abgebildet war, strafend auf ihn hinunter, beobachtete jede seiner Bewegungen und ließ ihn nicht aus seinen stumpfen Augen. Er schien bereits auf ihn gewartet zu haben.

      »Hör auf zu glotzen, du blöde, langhaarige Tunte«, murmelte Jakob leise in Richtung Bild. In seinem Zimmer streifte er erleichtert die Turnschuhe von den Füßen und warf sich auf sein Bett. Er landete auf etwas Hartem und griff mit einer Hand unter seinen Rücken. Er stöhnte, als er erkannte, was es war. Mutter hatte ihm wieder eine Bibel auf sein Bett gelegt.

      Sie würde nie aufgeben.

      Er warf die Bibel mit Schwung in die andere Ecke des Zimmers, wo sie erst an die Wand knallte, dann aufgeschlagen auf dem Teppich liegen blieb. Seine gesamte Kindheit hatte er in der Kirche verbracht. Als Vater noch lebte, war es Jakobs einzige Aufgabe gewesen, zu beten, zu schweigen und sich möglichst unauffällig zu verhalten. Nach Vaters Tod, begann er zu rebellieren. Er ging nicht mehr in seine verhasste Schule und heftige Wutanfälle schalteten seinen Kopf aus, die ihn von einer Schlägerei in die nächste führten. Noch immer fühlte sich sein Leben an, als würde er in einer Zwangsjacke stecken, deren Druck sich nur löste, wenn er seiner Wut freien Lauf ließ. Er konnte nichts daran ändern.

      Eine bleierne Müdigkeit legte sich über ihn. Er dachte an den seltsamen Mann, der ihm auf dem Weg nach Hause begegnet war. Nelu hatte etwas Besonderes an sich gehabt. Etwas, wonach sich Jakob in seinem tiefsten Inneren sehnte.

      Die Albträume ließen, wie fast jede Nacht, nicht lange auf sich warten. Irgendwo in seinem Unterbewusstsein hatten sie den ganzen Tag gelauert, still und verborgen, und hatten Hände reibend auf den Moment gewartet, in dem er endlich in den Schlaf