Emscher Zorn. Mareike Löhnert

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Название Emscher Zorn
Автор произведения Mareike Löhnert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267363



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eine Einheit. Eine gelbe Einheit voller Kraft und Unbesiegbarkeit. Kurz überkam Jakob das trügerische Gefühl dazuzugehören, aber er schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Er würde sich keiner Gruppe Hooligans anschließen und Teil von ihnen werden wollen. Er war schon immer ein Einzelkämpfer gewesen und würde das auch bleiben. Wenn es drauf ankommen würde, hätte er kein Problem damit, auch Fans der eigenen Mannschaft zusammenzuschlagen, wenn sich die Möglichkeit ergeben würde. Er hatte nur einen Grundsatz, an den er sich eisern hielt, wenn es um Gewalt ging. Er schlug sich nur mit Gegnern, die sich ebenfalls schlagen wollten. Niemals würde er sich an einem wehrlosen Opfer vergreifen, das würde gegen seine Prinzipien verstoßen. Gut, dass es genug Trottel gab, die sich gerne prügeln wollten.

      Am Stadion angekommen, musste er die Tortur der Durchsuchung am Eingang über sich ergehen lassen.

      Mit zusammengepressten Lippen ließ er sich widerstrebend von den Ordnern abtasten. Endlich ließen die Typen von ihm ab und er durfte weitergehen.

      Erleichtert atmete er auf, besorgte sich an einem der Getränkewagen Bier, drängte sich durch die aufgebrachte Menge und stellte sich in seinen Block auf der Südtribüne.

      Die Spieler liefen ein, das Spiel begann. Die Fans tobten, obwohl noch gar nichts passiert war. Er sah sich im Publikum um. Ausverkauftes Stadion. Das Übliche.

      Die Menschen ähnelten dicht aneinandergedrängten Schafen in einer Herde, sie standen und glotzten, machten bei jeder Ballberührung der eigenen Mannschaft ungelenke Sprünge, umarmten ihre Nachbarn, die sie normalerweise auf der Straße nicht mal grüßen würden, und klatschten bei jeder Situation in die Hände wie geistig zurückgebliebene Kinder. Jeder bemühte sich sichtlich, endlich mal aus sich hinauszugehen und die Sau rauszulassen. Jakob seufzte. Das Spiel langweilte ihn.

      Volle Bierbecher wurden nach vorne geworfen, das Gegröle der Fangesänge wurde lauter.

      Jakob begann, sich innerlich darauf vorzubereiten, was draußen auf der Straße gleich passieren würde. In absehbarer Zeit würde sein eigenes Spiel beginnen. Er schloss die Augen und sah das verschwommene Bild eines konturlosen Gesichts vor sich und seine eigene Faust, die mitten hineindrosch. Zerrissene blaue Trikots voller Blut tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er lächelte.

      »Hömma, hat dir schon mal jemand gesagt, dass du aussiehst, wie ein kleiner Junge, wenn du lächelst? Richtig süß«, lallte ein betrunkener Fußballfan neben ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. Jakob versuchte, ihn mit seinen Blicken zu töten und der Mann war schlau genug, ihn in Ruhe zu lassen.

      Erst als die ersten Besucher des Fußballspiels ihn grob in den Rücken stießen, um sich an ihm vorbei zu den Treppen zu drängeln, bemerkte er, dass das Spiel zu Ende und abgepfiffen worden war. Das Publikum schob ihn Richtung Ausgang und zog ihn mit sich. Angespannt verließ er mit den anderen das Stadion.

      Sobald er auf der Straße war, kam die Wut mit voller Kraft zurück und brüllte ihn an, dass sie endlich hinausgelassen werden wollte.

      Breitbeinig und mit erhobenem Kopf stolzierte er provozierend langsam durch die herumstehenden Menschen, die Bier trinkend vor dem Stadion herumlungerten, sich aufgebracht über das Spiel unterhielten und nicht nach Hause wollten.

      Misstrauisch beäugte er die Polizisten, die sich, mit Helmen, Schutzschildern und Knüppeln bewaffnet, am Straßenrand aufgereiht hatten und nur darauf zu warten schienen, dass es endlich losging. Drei der gegnerischen Fans standen etwas abseits der anderen, die sich sammelten, um geschlossen Richtung Bahnhof zu gehen.

      Der größte der drei Männer fing seinen Blick auf und fixierte ihn, ohne zu zwinkern. Arrogant musterte er ihn von oben nach unten. Seine Lippen öffneten sich, und er bleckte seine schiefen, gelblichen Zähne. Kaum erkennbar nickte er mit dem Kopf in Jakobs Richtung.

      Jakob reagierte sofort. Das Adrenalin pochte in seinen Adern.

      Er spurtete los, rannte auf den Mann zu, boxte ihm erst mit der Faust in den Magen, umrundete ihn und sprang von hinten auf seinen Rücken. Er schlang ihm die Arme von hinten um die Kehle und drückte mit aller Kraft zu.

      »Scheiß SV 30, du Hurensohn«, keuchte er in sein Ohr, »jetzt bist du dran.«

      Der Große versuchte, ihn abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Wie ein Sack hing Jakob auf seinem Rücken und presste die Arme immer fester um seinen Hals.

      »Ey«, schrie einer der Kollegen des Mannes, »bist du wahnsinnig? Der kriegt keine Luft mehr. Lass ihn los, du Spinner.« Er versuchte, Jakob von hinten zu packen, doch dieser trat ihm voll ins Gesicht.

      Jakob hörte das Knacken seiner Nase und trat direkt noch einmal zu. Der Mann krümmte sich, vergrub das Gesicht in den Händen und wandte sich ab. Inzwischen hatte Jakob den Großen zu Boden geworfen, stürzte sich auf ihn und schlug ihm mit der Faust immer wieder ins Gesicht. Der erste Schlag war wie eine Befreiung. Jeder Muskel seines Körpers befand sich im Einklang, jede Sehne war angespannt. Endlich konnte er sich spüren und war eins mit seinem Körper.

      Jakob roch das Blut, bevor er es sah. Tief atmete er den metallischen Geruch ein. Ein Gefühl von Freiheit begann, sich in seiner Brust auszubreiten, das ihn schwindelig machte.

      Wie ein wildes Tier blickte er um sich in die verschwommene Traube von Menschen, die sich um sie herum gebildet hatte, und sah direkt in die dunkelblauen Augen des schwarz gekleideten Mannes, der ihm am Vorabend auf der Straße begegnet war. Nelu sah interessiert zu ihnen hinüber, und ein leichtes Lächeln huschte über sein schönes Gesicht. Jakob starrte ihn an. Dann fühlte er einen dumpfen Schlag auf seinem Hinterkopf, und alles um ihn herum wurde schwarz.

      Kapitel 4 – Tim

      Tim König stand neben seinen Kollegen, die ein Spalier am Straßenrand gebildet hatten, und schaute mit gequältem Gesichtsausdruck auf die Fußballfans, die an ihnen vorbeiliefen. Bei manchen torkelnden Gestalten konnte man es kaum Laufen nennen.

      Er beobachtete, wie einer dieser gelben Irren sich in einem großen Schwall auf seine eigenen Schuhe erbrach, und wandte schnell den Blick ab.

      Wieder einmal mussten sie nach einem Fußballspiel für öffentliche Sicherheit sorgen. Die Hundertschaften, die normalerweise für solche Einsätze zuständig waren, waren abgezogen worden, da in der Nachbarstadt heute Nacht eine groß angekündigte Razzia im Rotlichtbezirk stattfinden sollte. Die Hälfte der Kollegen war im Sommerurlaub, sodass man sogar ihn, der normalerweise ausschließlich Bürodienst machte, hinter seinem Schreibtisch hervorgezogen hatte.

      Es war heiß, er schwitzte, und seine Haut juckte unter dem Schutzpanzer. Mit Mühe unterdrückte er ein Gähnen und versuchte krampfhaft, seine Augen offen zu halten, die immer wieder zufallen wollten.

      Gestern Nacht hatte er bis zum Morgengrauen gezockt und war endlich bei dem besten Computerspiel der Welt »Warriors of Darkness« im fünften Level angekommen.

      Beim Zocken machte ihm so schnell niemand etwas vor, und er brauchte Zeit dafür, egal, ob Markowski ihn nach seinem letzten Krankenschein wieder schief von der Seite angesehen hatte. Jetzt war er schließlich hier, stand wie ein Dominostein in einer Reihe mit den anderen und betete innerlich, dass bloß keiner dieser Fußballidioten austicken würde.

      Königs Blick schweifte misstrauisch über die Menschenmenge. Noch war alles ruhig. Wenn dieses Herumgestehe bloß nicht so langweilig wäre.

      Hatte er heute Mittag, bevor er zum Dienst ging, eigentlich Jutta, die Katze, die ihm Corinna bei ihrem fluchtartigen Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hinterlassen hatte, gefüttert? König überlegte konzentriert. Doch, beschloss er, er war sich ganz sicher, eine Dose dieses übel riechenden Katzenfraßes geöffnet und in ihre Schüssel gefüllt zu haben. »Rebhuhn mit Erbsen«, hatte auf der Dose gestanden. So etwas Feines bekam er selber nicht zu essen. Sofort begann sein Magen zu knurren. Verstohlen blickte er auf seine Uhr. Es war nach sechs Uhr abends. Wenn nichts Weltbewegendes mehr geschehen würde, wäre vielleicht pünktlich um halb neun Feierabend.

      König zuckte zusammen, als plötzlich der schrille Pfiff einer Trillerpfeife direkt neben ihm ertönte.

      »Zugriff.