Die Akte Hürtgenwald. Lutz Kreutzer

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Название Die Akte Hürtgenwald
Автор произведения Lutz Kreutzer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267240



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Straubinger das Bild zurück über den Tisch.

      »So was machen Minen mit einem.«

      Heute war Freitag. Am Nachmittag, nach Dienstschluss, würde er diesen Kupferhof Blumenthal besuchen. Und anschließend, wenn noch Zeit blieb, würde er sich dieses Dorf einmal ansehen. Das befahl ihm einfach seine Neugier.

      *

      Kupferhof Blumenthal

      Gesäumt von kniehohen Mauern, endete die gepflasterte Einfahrt an einem prunkvollen Torbogen aus Blaustein. Zwischen den vorgelagerten Betriebsgebäuden und dem Torbogen spannten sich hohe Brüstungsgatter, die oben in Lilienspitzen endeten und das Überklettern unmöglich machten. Dahinter thronte ein mächtiger dreistöckiger Bau mit einer Fassade aus gelbrotem Sandstein, die von Simsen und Faschen aus demselben Blaustein gegliedert wurde, aus dem auch der Torbogen war. Eine Freitreppe mit kunstvoll gestaltetem Schmiedewerk und Zustiegen von rechts und links führte zu dem mächtigen Eingangsrisalit, der oben in einem klassisch dreieckigen Giebel abschloss. Das graue Blechdach und die beiden Schornsteinbauten aus rotem Ziegelmauerwerk verliehen dem Gebäude trotz seiner Pracht den Eindruck unprätentiöser Behaglichkeit.

      Straubinger war beeindruckt. Er sah auf die Uhr. 15.10 Uhr. Auf Viertel nach drei hatte er sich angemeldet. Nun stand er vor dem runden Blumenbeet aus Buchsbäumen und Rosensträuchern, das die Hofeinfahrt wie eine Verkehrsinsel teilte. Dahinter, am Fuß der Freitreppe, befand sich ebenfalls ein Beet mit unterschiedlichen Sträuchern und Pflanzen, flankiert von zwei weißen Puttenstatuen, die die beiden Treppenaufgänge bewachten. Hier schien alles seine klare Ordnung zu haben.

      »Wow, so möchte ich auch mal wohnen«, murmelte Straubinger und blickte an der Fassade empor zu der prachtvoll ornamentierten Schmuckfläche des Giebeldreiecks. Er bemerkte, dass er beobachtet wurde. Im zweiten Stock lugte eine Frau aus einem der weißen Sprossenfenster. Sie zog sofort ihren Kopf zurück und knallte das Fenster zu.

      Zwei Minuten später stand Gerhild Vandenberg in einem schwarzen Morgenmantel aus blumenbesticktem Samt vor ihm, der bis zum Boden reichte. Ihre Haare waren unter einer Samthaube versteckt, ihr Gesicht frisch geschminkt, knallroter Lippenstift, dunkler Lidschatten, leicht nachgezogener Augenbrauenstrich, und ihre Füße steckten in plüschbesetzten roten Pantoffeln. Am auffälligsten jedoch waren ihre wachen Augen. Einen Moment war es Straubinger so, als würde er in dem funkelnden Glühen ihres Blicks versinken.

      »Es ist Freitag, ich hab meine Fitnessübungen gemacht, komme gerade aus der Wanne, und Sie überfallen mich hier wie ein Kater eine Maus. Sie sind also der Hauptkommissar?« Ihre penetrante Blasiertheit überraschte Straubinger, doch er blieb ruhig.

      »Ich hatte angerufen und mich angemeldet.«

      »Ja, aber Sie sind fünf Minuten zu früh«, schimpfte sie.

      »So ist es, Gnädigste, und ich habe Fragen an Sie, die sich kaum aufschieben lassen.«

      »Kaum, sagen Sie. Das heißt doch, sie lassen sich aufschieben«, gab sie barsch zurück. »Sehen Sie, es gibt immer eine Möglichkeit, wenn man sich bemüht.« Sie musterte Straubinger von oben bis unten. »Ach was, kommen Sie rein. Was soll’s.« Sie drehte sich um und ging voran ins Haus. »Und schließen Sie die Tür.« Ihr Trippeln auf dem Steinfußboden hallte wider wie in einem Kirchengebäude.

      Straubinger ging drei Schritte hinter ihr her. Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich um. »Ich komme mir vor, als hätte ich einen … einen Mord begangen.« Dabei ließ sie ihre Arme in der Luft herumwirbeln.

      »Wer weiß.«

      »Oh, ich werde verdächtigt. Na, so was. Wen hat es denn erwischt?«

      »Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, die Ihre Vergangenheit betreffen.« Straubinger deutete auf einen der Stühle. »Darf ich mich setzen?«

      »Vergangenheit?« Sichtlich irritiert sah sie ihn an. Erst als Straubinger die Stuhllehne anfasste, bot sie ihm einen Platz an dem großen Holztisch vor dem offenen Kamin an. »Ja, natürlich, setzen Sie sich. Oder gehen wir vielleicht in den Garten?«

      Straubinger nickte und folgte ihr durch den nördlichen Gebäudeflügel. An den Wänden hingen Gemälde. Drei Bilder, nur Himmel und Wolken. Straubinger blieb fasziniert stehen.

      »Gefallen sie Ihnen?«, fragte sie mit verschränkten Armen neben ihm. »›Der Morgen‹, ›Der Mittag‹ und ›Der Abend‹.«

      »Ja, sie sind sonderbar. Leicht, verletzlich, und doch haben sie etwas Dräuendes, Eindringliches.«

      »Sehen Sie, Sie haben es verstanden.« Ihr Tonfall wurde sanfter. »Kunst, die nur schön sein will, hat die Bezeichnung Kunst nicht verdient. Kunst muss Sie innen berühren, ganz tief in Ihnen drin. Ansonsten ist sie sinnlos.« Gerhild Vandenberg lächelte. »Dieser Mann hat uns alle berührt. Ganz tief, tief in uns drin.«

      »Wer ist der Maler?«, fragte Straubinger.

      Sie hob den Zeigefinger an die Lippen und sagte leise: »Psst, das wird nicht verraten.« Dann wandte sie sich um und ging weiter. »Kommen Sie, wir gehen raus. Ich habe gerade einen Tee aufgebrüht. Mögen Sie Tee?«

      Straubinger nickte. Nach einer Minute kam sie zurück mit einem Tablett, darauf altenglisches Porzellan, ein kleines Sahnekännchen und eine Keksdose.

      Sie nahmen Platz an einem weißen Tisch und ebensolchen Stühlen, die aus Gusseisen gefertigt waren, der morgendliche Regen war abgetrocknet. Gerhild Vandenberg goss den Tee ein und bot ihm Shortbread dazu an.

      »Ein beeindruckendes Anwesen. Sagen Sie, wohnen Sie alleine hier?«

      »Es gehört der Vandenberg-Stiftung und ich habe das Wohnrecht, lebenslang.«

      Straubinger ließ seinen Blick schweifen. Ihm fielen die Holzskulpturen auf. Große Figuren, die ihn ein wenig an afrikanische Kunst erinnerten. »Wunderbar, Sie sind Liebhaberin afrikanischer Kunst?«

      Sie lachte. »Gefällt es Ihnen?«

      »Ja, sehr. Wunderschön.«

      Sie wirkte ein wenig verlegen. »Ich mach das selbst. Schnitzen, behauen, bemalen. Meine Leidenschaft. Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen im Alter. Solange man noch kann.«

      Straubingers Blick fiel auf ein Nebengebäude, dessen Steinfassade zwar ebenso gepflegt wirkte wie der Rest der Anlage, dessen direkte Umgebung aber verwahrlost war. Keine gemähten Rasenflächen, keine Blumen, ungeputzte Fenster, und jede Menge Kinderspielzeug aus Plastik lag verstreut umher, ausgeblichen und teilweise kaputt. In einem Sandkasten aus angefaultem Holz spielten zwei unvorstellbar hässliche Bullterrier-Albinos, die an Ketten gelegt waren. Daneben stand ein verrosteter Blechgrill, an dem eine ebenso verrostete Grillzange hing.

      »Und wer wohnt dort?«

      »Das kann man nicht wohnen nennen«, schimpfte sie zischend. »Dort haust der Albtraum. Ich weiß nicht, wieso. Aber mein Onkel hat dieser Familie freies Wohnen eingeräumt, schon seit ewigen Jahren. Der Alte ist lange tot, aber nun wohnen sie in dritter Generation dort und sie werden nicht weniger, wie sie unschwer erkennen können. Ungebildetes und streitsüchtiges Volk!«

      »Wo sind sie denn alle? Sieht ja nach einem ganzen Klan aus.«

      »Sie hatten heute Morgen Streit. Danach setzte es Schläge. Wie so oft. Die Polizei kommt gar nicht mehr her, wenn ich sie anrufe. Jedes Mal haben die zusammengehalten wie Pech und Schwefel und mich der Lüge bezichtigt. Statt die Kinder zu beschützen, hat die Polizei mir Schwierigkeiten gemacht. Sollen sie sich die Köpfe einschlagen, mir ist es egal. Nach einer Stunde sind sie alle ausgelaugt und geben Ruhe.«

      »Und woher wissen Sie, dass sie sich nicht die Köpfe eingeschlagen haben?«

      »Weil der dreckige Kerl nach jedem Streit erst mal die beiden Kampf-Albinos vor die Tür setzt. Die machen mir echt Angst.«

      »Kann ich gut verstehen.«

      »Manchmal bedroht er mich damit und seine beiden Jungs, zehn und zwölf, sind auch nicht besser.«

      In dem Moment ging die Tür des Nachbargebäudes