Urban Fantasy: going intersectional. Группа авторов

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Название Urban Fantasy: going intersectional
Автор произведения Группа авторов
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947720644



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als ich an die schlimmste Nacht meines Lebens dachte. »Frag einfach nicht.«

      »Mache ich nicht«, gab sie zurück. »Überrascht mich nicht mal.« Sie rümpfte die Nase. »Du hast ihn schließlich im Internet kennengelernt.«

      »Wo soll ich denn sonst tolle Männer kennenlernen?«, seufzte ich und setzte mich in Bewegung.

      »Wenn ich das Geheimnis eines Tages selbst gelüftet habe«, erwiderte sie niedergeschlagen, »weihe ich dich gerne ein.«

      Ich hatte mich am ersten Tag meines Design-Studiums geoutet. Ein neuer Lebensabschnitt, ein neues Ich – der bloße Gedanke daran hatte mir den Mut gegeben, den ich achtzehn Jahre zuvor nicht aufgebracht hatte. Manchmal wusste ich immer noch nicht, ob ich es bereuen sollte.

      Im Jahr 2006 war es nicht besonders einfach, schwul zu sein – nicht einmal in München, der Stadt, in der eigentlich alles möglich sein sollte. Männer verabscheuten einen, wenn sie nicht gerade selbst homosexuell waren. Sie riefen einem miese Sprüche hinterher und hatten schwul inzwischen schon als universelle Beleidigung für alles und jeden etabliert. Frauen fanden einen entweder komisch oder hingen einem aus den falschen Gründen am Rockzipfel.

      So wie Christina. Sie war meine beste Freundin. Um nicht zu sagen: eine meiner wenigen Freundinnen. Ich hatte sie im ersten Semester kennengelernt, und auch wenn unsere Schwerpunkte uns in verschiedene Kurse geführt hatten, trafen wir uns immer noch jede Woche.

      An manchen Tagen glaubte ich nicht, dass ihr etwas an mir persönlich lag. Wie jedes Mädchen in ihrem Alter brauchte sie unbedingt einen schwulen besten Freund. Damit ließ sich nämlich besser angeben als mit einer Handtasche.

      Ich mochte sie trotzdem, nicht zuletzt, weil es sonst niemanden gab, den ich Woche für Woche zum Yoga schleifen konnte. Nicht mal meinen Mitbewohner, den ich pünktlich alle sieben Tage damit nervte.

      Kev war ein typischer Mann. Bei ihm ging Fußball über Fitness, Bierabende über Badeurlaube und Feiern über Frisörbesuche. Wenn er abends auf der Couch fläzte und Chips in sich reinfutterte, widerte er mich an. Wenn er dann aber nur mit einem Handtuch bekleidet aus dem Bad kam, konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen.

      Er wusste, dass ich schwul war. Ich war mir sogar ziemlich sicher, dass er wusste, dass ich auf ihn stand. Er hatte mir noch nie eine klare Abfuhr gegeben – zumindest nicht, dass ich es kapiert hätte. Ein Teil von mir hoffte, dass er mich einfach nur hinhielt, weil er ein Fan von Slowburn war. Oder dass er sich erst noch selbst finden musste, weil er sein ganzes Leben gedacht hatte, hetero zu sein. Ich hatte schließlich auch lange genug dafür gebraucht.

      Da mein Schwulenradar mich normalerweise nie im Stich ließ, gab ich ihm Zeit, sich über seine Gefühle klar zu werden.

      Der Gedanke an ihn beflügelte mich, sodass der Nachhauseweg wie im Flug verging. Bis mir von einer Sekunde auf die andere kotzübel wurde. Und damit meine ich: kotzübel. Ich öffnete den Mund, um Christina zu sagen, dass ich mich nicht gut fühlte, doch stattdessen kam mir mein Mittagessen wieder hoch. Ich krümmte mich im letzten Moment und verteilte den halbverdauten Bulgursalat mit einem Platsch! auf dem Bürgersteig.

      Christina kreischte, und ich sah aus dem Augenwinkel, dass sie einen Satz zurückmachte. Dabei war der Spuk schon längst vorbei. Alles, was rausgewollt hatte, war draußen. Aber ich richtete mich nicht wieder auf. Der Geruch meines eigenen Erbrochenen stach mir in die Nase und ließ eine neue Welle der Übelkeit in mir aufsteigen. Gleichzeitig bemerkte ich, wie die Ränder meines Sichtfelds sich dunkel färbten.

      Mir wurde schwindelig – wieder so schnell und unerwartet, dass mir schwarz vor Augen wurde, bevor ich vornüber in meine Kotze kippte.

      Als ich später im Krankenhaus zu mir kam, fühlte ich mich furchtbar. Nicht körperlich – sondern weil mir die ganze Sache so unglaublich peinlich war.

      »Sie haben nichts gefunden, Ron«, beruhigte Christina mich. »Vielleicht hast du nur was Falsches gegessen.« Sie legte den Kopf schief. »Du siehst etwas blass um die Nase aus. Hier.« Sie schob das Tablett, das auf der Kommode neben mir stand, etwas näher in meine Richtung. »Du musst was essen.«

      Ich beäugte es argwöhnisch und rümpfte die Nase. Neben einer undefinierbaren Pampe, in der man bestimmt Milchprodukte verarbeitet hatte, lag da ein Käse-Wurst-Sandwich. »Das einzig Vegane daran ist das Brot. Wenn überhaupt«, murmelte ich.

      Das Leben war nicht immer einfach, wenn man schwul war. Noch schlimmer wurde es aber, wenn man ein schwuler Veganer war.

      Kein Witz – manchen nimmt man damit jeglichen Wind aus den Segeln. Sobald sie wissen, dass du schwul bist, liegen ihnen schon hunderte von Sprüchen auf der Zunge. Wenn sie dann aber noch erfahren, dass du Veganer bist, sind sie vollkommen überfordert. Dasselbe Spiel andersherum – sie wissen gar nicht mehr, wo sie anfangen sollen. Ich war eine Goldgrube der blöden Sprüche oder der Kobold am Ende des Regenbogens, der anstelle eines Topfs mit Gold einfach nur grenzenlose Verwirrung dabei hatte.

      Umso glücklicher war ich, jemanden wie Christina zu haben. »Richtig.« Sie lächelte mich triumphierend an. »Aber ich hab mir so was schon gedacht. Und deshalb« – sie kramte in ihrer überdimensionalen Handtasche – »hab ich dir den hier mitgebracht!« Sie streckte mir etwas hin, das sich als mein Lieblings-Schokoriegel entpuppte. Vegan, Bio, Fairtrade – allein die drei Worte waren Musik in meinen Ohren und Grund genug, warum ich auf dem Schulhof den einen oder anderen Fausthieb ins Gesicht kassiert hatte.

      »Danke«, sagte ich und meinte es von Herzen. Ich nahm den Schokoriegel und riss die Plastikverpackung weg. Obwohl mir normalerweise beim bloßen Anblick (ich gönnte mir nicht oft Süßigkeiten) das Wasser im Mund zusammenlief, zögerte ich. Ich hatte überhaupt keine Lust, auch nur davon abzubeißen. Mein Hungergefühl hatte sich auf Nimmerwiedersehen verabschiedet.

      »Alles in Ordnung?«, fragte Christina vorsichtig.

      Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ja.« Ihr zuliebe biss ich ein großes Stück des Riegels ab. In meinem Mund fühlte er sich irgendwie zäh an, sodass ich gefühlt fünf Minuten darauf herumkauen musste, bis ich ihn endlich herunterschlucken konnte. Ich konnte förmlich spüren, wie der Brei meine Speiseröhre hinabsackte und in meinem Magen landete.

      Sofort wurde mir wieder schlecht. Ich atmete tief durch und versuchte, den Würgereiz zu bekämpfen, der langsam meine Kehle hinaufwanderte –

      Plötzlich ging die Tür auf, und Kev stand im Zimmer.

      Ich war so schockiert, dass ich mich an mir selbst verschluckte. Ich hustete und war froh, dass mir der Riegel dabei nicht hochkam. »Was machst du denn hier?«, fragte ich, als ich wieder Luft bekam.

      Er runzelte die Stirn. »Die haben mich angerufen. Ich bin dein Notfallkontakt.«

      »Was?« Christina zog eine Schnute. »Warum bin ich nicht dein Notfallkontakt?«

      »Du bist doch auch da.«

      »Das ist nicht dasselbe!«

      »Die Ärzte haben gesagt, ich soll dich abholen«, meldete Kev sich wieder zu Wort. »Los geht’s.«

      Ich blinzelte. »Willst du nicht mal wissen, was mir zugestoßen ist?«

      »Du hast aus Versehen Fleisch gegessen, dir den Finger in den Hals gesteckt und bist wie eine Diva in Ohnmacht gefallen.«

      Ich riss die Augen auf. »So war das –«

      »Können wir jetzt gehen?«, fragte Kev gelangweilt. »Ich verpasse das Spiel.« Damit meinte er natürlich kein Fußballtraining, sondern die blöde WM.

      Christina schenkte mir einen scharfen Blick. Und auf den stehst du?, stand ihr ins Gesicht geschrieben.

      Hilflos zuckte ich die Achseln, ehe ich mich aus dem Bett schälte – und bemerkte, dass ich nur einen Krankenhauskittel trug.

      »Oh!« Christina sprang auf. »Ich bringe dir deine Klamotten!« Sie stolzierte zu einem Tisch auf der anderen Seite des Raums und brachte mir einen Kleiderstapel – und das mit einem solchen Engagement, als wollte sie mir beweisen, dass sie der bessere Notfallkontakt war.