Urban Fantasy: going intersectional. Группа авторов

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Название Urban Fantasy: going intersectional
Автор произведения Группа авторов
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947720644



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sagte er leise. Plötzlich verzog er das Gesicht.

      »S-so schlimm?«, fragte ich, zwei Sekunden bevor er sich auf mein Hemd übergab.

      Einen unendlich langen Moment starrten wir beide einander nur aus weit aufgerissenen Augen an. »Oh Mann«, stöhnte er, ehe er das Bewusstsein verlor und in meine Arme fiel.

      Ich atmete tief durch – und erinnerte mich an meine blutige Unterlippe. »Oh Mann.«

      n

      Lena Richter

      Andere würden vielleicht sagen, du seist verflucht, dass du jetzt hier stehen musst, im Haus deiner Kindheit, nein, in dem, was die Flammen davon übriggelassen haben. Dass du in der Asche graben musst, und noch dazu allein. Doch das hier ist kein Fluch, das weißt du, denn alle, die ihn aussprechen könnten, sind tot. Du stehst in der Asche, und du bist allein, und seit zwei Wochen schon bist du die letzte Hexe von Berlin.

      Als der Anruf kam, dachtest du eigentlich, du hättest zum ersten Mal seit Jahren alles im Griff. Dein Sohn schlief endlich die Nächte durch, die Augenringe deiner Frau waren weniger tief. Du hattest das Gefühl, dass deine Medikamente richtig eingestellt waren, deine Ärztin war zufrieden, und du warst es auch. Im Entwürfe-Ordner deines Mailpostfachs befanden sich Bewerbungsschreiben, und du hofftest, bald den Mut zu haben, sie abzuschicken.

      Du hattest gerade ein Foto deines ersten selbst gekochten Essens seit Wochen gemacht, um es auf WitchCraft zu teilen, als das Festnetztelefon durch dein Glück schrillte.

      Sie bedauern, dir mitteilen zu müssen. Deine Cousine Tina. Du bist die letzte lebende Verwandte. Komplett niedergebrannt. Du stellst das Gespräch auf Lautsprecher, damit deine Frau mithören kann, damit keine wichtigen Informationen von dem Nebel verschluckt werden, der dein Gehirn in solchen Situationen überfällt. Während die Polizistin noch spricht, suchst du nach Zugfahrplänen. Deine Frau schüttelt den Kopf, aber du weißt, was auf dem Spiel steht.

      §§§

      Und jetzt bist du hier. Zwei Wochen warten, fünf Stunden Zugfahrt quer durch die Republik. Dann die Taxifahrt, die du dir eigentlich nicht leisten kannst. Aber das, was jetzt kommt, wird anstrengend, und du brauchst jedes Quäntchen Kraft. Löffel gespart, denkst du müde, als du dem Taxifahrer Geld in die Hand drückst.

      Die Ruine, die einmal ein Haus war, das einmal dein Zuhause war, ist ein Chaos aus Mauerresten, verkohlten Dachbalken und Bergen von Asche. Obwohl du weißt, dass kein Feuer mehr darunter schwelt, fühlt sie sich warm an. Die Feuerwehr hat das Gelände freigegeben, doch aufgeräumt hat niemand. Zwischen Asche und Schutt blitzen andere Dinge auf, wenn das Licht auf sie fällt. Scherben aus Glas, Porzellan und Ton. Du denkst an die Blumentöpfe voller Kräuter, die deine Mutter früher auf allen Fensterbänken verteilt hatte. Holzstücke, die das Feuer nicht vollständig verzehrt hat, Bruchstücke von Schränken, Regalen, Tischen. Du erkennst die verschnörkelten Endstücke einer Gardinenstange, den geschwärzten Einband eines dicken Lexikons. Dutzende kleine Gegenstände, die das Feuer zurückgelassen hat. Und alles, was du zu tun hast, bevor du endlich mit diesem Teil deines Lebens abschließen kannst, ist, unter ihnen den richtigen zu finden.

      Alles hat einen Kern, eine Essenz, etwas Wahrhaftiges im Zentrum seines Daseins. Auch normale Häuser, von normalen Menschen, du weißt das, du spürst es manchmal, wenn du über die Schwelle trittst. Manchmal ist offensichtlich, was es ist – die alte Standuhr im Flur, deren Ticken seit Jahrzehnten die Sekunden verzehrt, nur einmal, da blieb sie stehen, und niemand weiß, warum (eigentlich wissen sie es doch, aber manches Wissen kann nur dort existieren, wo nicht genau hingedacht wird). Oder der eine Teller in der WG-Küche, von dem niemand mehr weiß, wo er hergekommen ist. Manchmal ist es ein Geheimnis, das Bündel verborgener Briefe unter der losen Parkettbohle, die Zeitung unter vier Lagen Tapete. Manchmal ist es nicht das Haus selbst, sondern der Johannisbeerstrauch im Garten, gepflanzt über Generationen geliebter Haustiere. Und manchmal ist es schrecklich, manchmal ist es die Gedenkplakette am Haus, der Stolperstein vor der Tür. Was für normale Häuser gilt, gilt für dieses hier besonders. Irgendwo zwischen Trümmern und Asche liegt etwas, das die Essenz des Hauses in sich trägt. Starke magische Schleier sind in den Gegenstand gewoben, zu gefährlich wäre er sonst. Du wünschtest, sie wären nicht da, denn wie sollst du ihn finden? Und finden musst du ihn, heute noch, ehe die Schleier fallen, der Schutz erlischt und die Kräfte beginnen, unkontrolliert alles in ihrer Umgebung zu beeinflussen.

      Eigentlich hast du keine Ahnung von solchen Dingen. Zum Glück kennst du die richtigen Leute. Billie ist eine der schlauesten Personen, die du kennst, und xier hat dich schon vor Jahren gewarnt, dass dein Ausstieg aus dem Hexendasein nicht so einfach sein wird, wie du dir das vorgestellt hast. Magie ist Magie, hat xier dir in einer privaten Nachricht auf WitchCraft geschrieben. Du kannst aufhören zu zaubern, aber du bleibst immer eine Hexe. Es folgte eine Liste von Eventualitäten, die deine Pflichten als Hexe erfordern würden. Dank Billie hast du gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Du wünschtest, das würde irgendwas leichter machen.

      §§§

      Du hast Angst vor dem, was du tun musst. Magie hat ihren Preis.

      Der erste Schritt ist einfach. Mit einer Nadel stichst du in deinen Finger, presst ein paar Tropfen Blut hervor und lässt sie in die Asche fallen. Hexerei braucht ihren Fokus, die Stofflichkeit, die Verbindung zu der Person, die sie wirkt. Deine Urgroßmutter hat dich gewarnt, niemals ein Haar zu verlieren in Gegenwart deiner Feinde. Deine Tante hat dir beigebracht, deine Tränen in einem Reagenzglas zu fangen. Du hattest den größten Streit deiner Teenagerjahre mit deiner Mutter, als sie darauf bestand, dass du benutzte Tampons nicht auf öffentlichen Toiletten zurücklassen darfst. Manchmal denkst du daran, wenn du auf der mit weißem Kunstleder bezogenen Laborliege sitzt und zusiehst, wie dein Blut in kleine Röhrchen rinnt, drei Stück, vier Stück, manchmal mehr als das. Wie die kleinen Etiketten sorgsam darauf geklebt werden. Winkler, Jennifer. Anschrift, Blutgruppe, Diagnose. Hättest du Feinde, sie könnten dich leicht finden. Aber die Zeiten von widerstreitenden Hexenzirkeln sind vorbei. Ihr seid nur noch wenige, und ihr habt verstanden, dass ihr einander braucht.

      Noch nie warst du der WitchCraft-Community so dankbar wie heute. Du hast aufgehört, eine Hexe zu sein, ehe du gelernt hast, das Innerste eines Hauses mit einem einzigen Zauber zu finden. Du erinnerst dich an die elegante Abfolge von Worten, die deine Tante benutzt hat, wenn sie den Dingen auf den Grund ging. An ihre langen Finger, die sich im Takt der Worte bewegten, während vor ihren Augen, nur für sie selbst sichtbar, Schicht um Schicht der Realität abblätterte. Häuser, Menschen, Geschichten. Tante Moni konnte den Kern von allem finden, und wenn sie ihn gefunden hatte, dann zupfte sie behutsam an ihm, in die eine oder andere Richtung, und die Dinge änderten sich.

      Du warst oft dabei, als du noch ein kleines Mädchen warst. Jemand musste schließlich dafür sorgen, dass Tante Moni den Weg nach Hause schaffte. Es zehrt an einem Menschen, das Wahrhaftige zu sehen. Wenn ihr Werk getan war, sah deine Tante blass aus, erschöpft auf eine Art, die über Müdigkeit hinaus ging. Dann warst du an der Reihe, in deinem Beutel Wasser, ein belegtes Brot und eine Tafel Zetti-Schokolade, im Kopf die Telefonnummer, um notfalls Hilfe holen zu können. Aber meist war das nicht nötig. Tante Moni lächelte mit blassen Lippen, biss einen Riegel Schokolade ab und drückte dir die Hälfte in die schweißnassen Finger. Dann nahmst du sie an der Hand, vielleicht auch sie dich, und ihr fandet gemeinsam den Weg nach Hause.

      Niemand in deiner Familie ist alt geworden.

      §§§

      Du hast natürlich nie aufgehört, eine Hexe zu sein. Wäre deine Tante noch am Leben, würde sie ihre eleganten Worte sprechen, um in dein Inneres, den Kern deines Daseins, zu schauen, dann stünde dort unter anderem in klaren, unzerstörbaren Worten: Hexe. Mit einem Zusatz vielleicht. Hexe, inaktiv. Hexe, unfreiwillig. Hexe, stümperhaft.

      Und stümperhaft beginnst du nun, zu zaubern. Du behilfst dir mit zwei simplen Kniffen, die du schon als Kind gelernt hast. Du sprichst die Worte, die dich die Aura eines Gegenstands sehen lassen, die umso heller leuchtet, je mehr Erinnerungen an ihn geknüpft sind. Und du sprichst die Worte, die die Wirkung auf den nächsten überspringen lassen, wenn du die Erinnerung gelesen hast. Dein Können reicht nicht,