Sukkubus. Tobias Bachmann

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Название Sukkubus
Автор произведения Tobias Bachmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942602631



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      Noch nie hatte Mauser etwas darin gekauft. Jetzt blieb er stehen und betrachtete die Auslage: Bücher mit Tiefgang zumeist. Richtige Literatur. Keine Thriller oder Fantasysachen. Er nahm ein Buch von Paul Auster näher in Augenschein, als ihm durchs Schaufenster hindurch eine Frau auffiel. Dabei handelte es sich nicht um die sympathische Buchhändlerin, die er vom Sehen her kannte. Nein: Es war ein wunderlich hübsches Ding. Ein Anblick, der ihm unverzüglich in Mark und Bein schoss.

      Dabei war es weniger die Schönheit der jungen Frau, die ihn in seinen Bann zog; obgleich sie nach allen gängigen Schönheitskriterien definitiv als schön galt. Daran bestand für Mauser nicht der geringste Zweifel. Vielleicht war sie ja Model oder Ähnliches, wobei er befand, dass dafür ihr Outfit nicht passend war. Sie trug ein schlichtes, dünnes Sommerkleid, das enganliegend ihre Rundungen perfekt zur Geltung brachte. Dazu Flip-Flop-Sandalen, in denen sie barfüßig vor der Ladentheke stand und sich mit der Buchhändlerin unterhielt.

      Mauser beobachtete sie unverblümt durch das Schaufenster, wie sie eine Strähne ihres dunklen Haares hinters Ohr schob. Das Gesicht war weich und konturenreich. Aber da war noch etwas anderes, was ihn faszinierte. Der Detektiv konnte nicht recht sagen, was es war. Eine Art Aura, die von der Frau ausging, deren Alter er auf fünfundzwanzig schätzte. Die Ausstrahlung an sich. Er sah sie lachen und ihre weißen Zähne aufblitzen. Sie blickte zum Fenster und ihre Blicke trafen sich. Etwas zu lang für einen flüchtigen Moment.

      Mauser zwang sich, auf das Buch in seiner Hand zu blicken und tat so, als hätte er daran Interesse. Plötzlich ging die Ladentür auf und die Frau mit dieser magischen, nicht näher definierbaren Ausstrahlung ging lächelnd an ihm vorüber. Sie hatte sich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Während sie vorbeilief, schob sie eine Plastiktüte mit einem Buch in ihre Handtasche, die sie sich unter den Arm klemmte. Eine Woge süßlichen Parfüms brandete an Mausers Nase.

      Er legte das Buch zurück auf die Auslage und blickte ihr nach. Intuitiv beschloss Mauser, ihr zu folgen.

      Zwei

      Juliette wartete in einem Café des Berliner Flughafens Tegel auf den Aufruf für Flugnummer ›LH 2053‹. Sie hatte ihr grünes Sommerkleid an, das ihrem Mann zufolge perfekt zu ihren Augen passte. Auf dem Tisch vor ihr stand eine frisch geleerte Tasse Cappuccino, in der sich der Restschaum am Tassenrand abgesetzt hatte. Mit dem Zeigefinger wischte sie ihn auf und lutschte den Finger ab. Unweigerlich dachte sie dabei an Alvin.

      Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen, sehnte ihr gemeinsames Pornofilm-Ritual herbei, das stets in einem für beide Seiten befriedigenden Höhepunkt gipfelte, egal, wie schlecht die Filme auch waren, die Alvin ausgesucht hatte.

      Traditionen dieser Art hatten sie einige. So war es etwa unausgesprochenes Gesetz des Paares, sich bei Telefonaten nicht voneinander zu verabschieden. Einer von beiden legte auf, wenn er das Gespräch für beendet hielt. Zwar erforderte dieses Vorgehen manch seltenes Mal einen Rückruf, aber im Großen und Ganzen war es ein Spiel, das sie bereits ihr gesamtes gemeinsames Leben spielten.

      Eine weitere Sitte war es, sich gegenseitig nicht vom Flughafen abzuholen. Dies war darauf zurückzuführen, dass sie sich einmal verpasst hatten, was sich zu einem Drama entwickelt hatte. Von daher würde Juliette mit dem Taxi vom Franz-Josef-Strauß-Flughafen in ihre gemeinsame Wohnung fahren. Dort würde sie das Gepäck abstellen, schon mal eine Ladung Wäsche in die Maschine schmeißen und einen Blick auf den Film werfen, den Alvin hoffentlich besorgt hatte.

      Einmal hatte er es vergessen und sie erinnerte sich daran, wie enttäuscht sie gewesen war. Doch Alvin hatte ihre Reaktion retten können, indem er sie spontan zum Besuch in einem Erotikkino überredet hatte. Derartige Liebeleien hielten ihr Liebesleben frisch und sorgten dafür, dass es auch nach zwölf Jahren Ehe ausreichend knisterte. Dass Juliette immer wieder für ein paar Tage oder Wochen beruflich unterwegs war, trug ebenso dazu bei. Sie freuten sich aufeinander und genossen ihre Wiedersehensrituale.

      Sie blickte auf die Uhr. Wie immer war sie viel zu früh am Flughafen. Noch eine ganze Stunde würde sie warten müssen. Sie griff nach ihrer Handtasche, stand auf und suchte sich eine Toilette. Ihren Koffer hatte sie bereits am Gepäckschalter aufgegeben. Ein Glück. Es wäre lästig gewesen, ihn die ganze Zeit hinter sich herziehen zu müssen.

      Als Pubertierende war sie von Frankreich aus das erste Mal nach Deutschland gereist. Damals waren die Gepäckbestimmungen noch anders gewesen. Heute durfte es nur ein Koffer pro Kopf sein, und der durfte bei Inlandsflügen nicht mehr als zehn Kilo wiegen. Eine Folge von Gesetzen, die von Beamten entwickelt wurden, die nicht die geringste Ahnung hatten, was eine Frau für eine Reise alles benötigte. Doch für einen einwöchigen Berlinaufenthalt langten zehn Kilo gerade noch aus.

      Juliette fand ein Hinweisschild zur Damentoilette, trat durch eine gläserne Flügeltüre und folgte dem Weg eine Treppe hinab. Ein dicklicher, älterer Herr kam ihr entgegen und zog sich beim Laufen den Reißverschluss seiner Hose hoch. Juliette grinste bei der Vorstellung, dass der Mann sich soeben erst mit seinem Pullermann in der Hand erleichtert hatte. Händegewaschen hatte er mit Sicherheit auch nicht. Der Mann bemerkte ihren Blick, errötete und eilte an ihr vorüber.

      Sie erreichte das Ende der Treppe, folgte einem langen Gang, vorbei am Herren- und am Behindertenklo und erreichte endlich die Damentoilette. Eine Frau im Stewardesskostüm stand am Spiegel und zog ihren Lippenstift nach.

      Juliette betrat eine der vier Kabinen und schloss hinter sich ab. Es roch nach Handwaschseife, Desinfektionsmittel und Urin. Eine Geruchsmischung, die Juliette stets an einen Vorfall erinnerte, den sie vergeblich versuchte, zu vergessen.

      Sie war jung gewesen. Anfang zwanzig. Die Disco war dafür berühmt, dass man nur dann alleine nach Hause ging, wenn man entweder zu betrunken war, um einen Partner für eine Nacht zu finden, oder aber die Sache gleich vor Ort erledigte. Sie hatte sich einen muskulösen, gutaussehenden Kerl geangelt. Mehrere Drinks hatte er ihr ausgegeben und sie beim Tanzen ordentlich angemacht. Ganz eng war er von hinten an sie herangetanzt und deutlich hatte Juliette seine pochende Erregung durch seine Jeans hindurch gespürt. Sie hatte die Sache erwidert und ein paar Mal wie zufällig mit der Hand seinen Schritt gestreift. Irgendwann hatten sie es nicht mehr ausgehalten und sie waren lachend und knutschend auf die dortigen Toiletten geeilt. In einer der Kabinen dann hatte er sie gepackt und gegen die Kabinenwand gedrängt. Fordernd hatte er ihr Höschen zerrissen, während sie den Reißverschluss seiner Hose öffnete, um sein Gemächt aus der Enge zu befreien. Sie hatte ihn in den Mund genommen und ihn noch schärfer gemacht, als er es ohnehin schon war. Danach hatte sie sich umgedreht, sich mit den Händen auf der Kloschüssel abgestützt und darauf gewartet, dass er in sie eindrang. Das tat er auch, jedoch im falschen Loch. Das war es, was sie ihm sagte: »Du bist im falschen Loch«, doch er hatte nur gesagt, sie solle ihr Maul halten und sie als Schlampe bezeichnet. Furchtbar tief hatte er ihren Anus gestoßen. Juliette hatte zuvor noch nie Analverkehr gehabt, weswegen sie versucht hatte, sich zu wehren. Doch der Kerl war zu kräftig. Zu stark. Zu geil. Vermutlich konnte er es selbst nicht mehr kontrollieren, redete sie sich ein.

      Als sie um Hilfe rufen wollte, drängte er ihren Kopf in die Kloschüssel, stieß sie noch ein paar Mal und kam alsbald in ihr oder auf ihr – sie wusste es nicht mehr genau. Auch nicht mehr, wie die Sache endete, ob er etwas zu ihr sagte, nachdem er mit ihr fertig war. Was sie jedoch auf ewig in Erinnerung behalten würde, war dieser Geruch, den sie nun auf der Flughafentoilette wahrnahm und der wohl auf jeder öffentlichen Toilette vorherrschte.

      Aus dem Vorfall hatte sie zwei Dinge gelernt. Erstens: Analverkehr war nichts für sie. Und zweitens: Wenn sie einen Mann zu sehr aufheizte, würde sie die Kontrolle über ihn verlieren.

      Immerhin war die Sache glimpflich ausgegangen. Sie hatte keinerlei Verletzungen geschweige denn irgendwelche Krankheiten aus der Sache davongetragen. Auch psychisch hatte die Sache keinerlei Folgen für sie, sah man einmal von der Geruchsaversion gegen öffentliche Toiletten ab sowie Alvins enttäuschten Blick, als er einmal den Wunsch geäußert hatte, mit ihr Analverkehr machen zu wollen.

      Alvin war ein guter Mann. Sie hatte ihm die Geschichte erzählt und er hatte nie wieder darum gebeten oder irgendwelche Versuche unternommen, sie umzustimmen.