Sukkubus. Tobias Bachmann

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Название Sukkubus
Автор произведения Tobias Bachmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942602631



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genug. – Daraufhin hat er wissentlich genickt und mich gefragt, wie sich mein bestes Stück nach dem vierten Mal angefühlt habe. Ob ich der Meinung sei, ich könne noch weitere vier Mal. Ich habe verneint und er hat gesagt, die Refraktärzeit eines durchschnittlichen Mannes liege bei durchschnittlichen vierundzwanzig Stunden.«

      »Was ist denn eine Refraktärzeit?«, wollte Mauser wissen.

      »Das ist die Zeit, die du brauchst, um ihn nach einem Orgasmus erneut hochzukriegen.«

      »Und wie war die Refraktärzeit der Opfer?«

      »Nach dem männlichen Orgasmus wird das Enzym Prolaktin ausgeschüttet, das dafür sorgt, dass die Frau sich schon sehr bemühen muss, ihn noch einmal auf Touren zu bringen. Nun gibt es aber Medikamente, die den Prolaktinspiegel für eine gewisse Zeitspanne hemmen. Ein solches Medikament findet bei Parkinson-Patienten Verwendung. Unsere Opfer hatten es völlig überdosiert in ihrem Blutkreislauf. Die hatten einen Dauerständer und müssen laut unserem Pathologen regelmäßig immer wieder aufs Neue gekommen sein, bis der Körper zusammengebrochen ist.«

      »Sexuelle Folter?«

      »Vergewaltigung. Von einer Frau!«

      Kurz darauf hatten sie das Thema gewechselt.

      Angewidert schob Mauser die Zeitung von sich. So langweilig es auch war, keinen Fall zu haben, so war er auch froh, nicht in Harmanns Haut zu stecken. Der hatte nämlich massive Probleme seitens der Staatsanwaltschaft. Der Druck sei kaum zum Aushalten, hatte er seinem Freund gestern anvertraut. Zwar hatte Mauser gefragt, ob er helfen könne – sie hatten da so ein stillschweigendes Abkommen – aber Harmann hatte abgewunken. »Vergiss es, Alvin. Wenn unser beider ›Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip‹ bei diesem Fall rauskommt, dann wird der Bundespräsident persönlich Lynchjustiz an mir begehen. Das ist kein Fall wie jeder andere. Die Opfer sind bedeutende Persönlichkeiten des Landes.«

      Mit Harmann war Mauser buchstäblich bereits durch dick und dünn gegangen. Sie hatten gemeinsam die Schulbank gedrückt, sich dann für ein paar Jahre aus den Augen verloren und sich auf der Polizeischule wiedergetroffen. Doch während Harmann seine Karriere bis zum heutigen Tage stetig vorangetrieben hatte und nun als Hauptkommissar die Mordkommission leitete, hatte Mauser nach den ersten paar Jahren Streifendienst seine Polizeikarriere wegen einer künstlerischen Begabung an den Nagel gehängt: Er wollte Musiker werden. Doch der ersehnte Durchbruch im Jazz stellte sich trotz guter Ambitionen nicht ein, weswegen er nebenher zum Geldverdienen die Detektei Mauser gründete. Immerhin lernte er bei einem seiner Auftritte – er spielte seinerzeit Saxophon in einer kleinen Combo mit bedeutungslosen, aber gut improvisierten Standards – Juliette kennen.

      Alvin war sofort fasziniert von ihrer graziösen Ausstrahlung gewesen. Mit ihrem langen dunkelrot gefärbten Haar, ihrem dunklen Teint, in dem grünfunkelnde Augen lagen, hatte sie ihre Reize schnell zur Geltung bringen können. Hinzu kam ihr französischer Akzent. Im Nachhinein sprach er stets von Liebe auf den ersten Blick.

      Bereits zwei Jahre später hatten sie sich eine gemeinsame Wohnung gesucht und ein weiteres Jahr darauf das Ehegelübde abgelegt. Seitdem warteten sie vergeblich darauf, Kinder zu bekommen. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, war er froh, dass der Kinderwunsch sich nie erfüllt hatte. Im weitesten Sinne war er zufrieden mit seinem Leben. Er hatte eine wunderbare Frau, um die ihn andere Männer beneideten, und einen spannenden Beruf, sofern es denn mal einen Fall gab, den Harmann ihm zuschob. Leider war das schon seit Längerem nicht mehr eingetreten und die aktuellen Fälle, mit denen der Hauptkommissar betraut wurde, ließen eine Zusammenarbeit kaum zu.

      Er blickte auf die Uhr und entschied sich zu einer vorzeitigen Mittagspause.

      Mauser griff nach seinem Jackett und schaltete den Anrufbeantworter ein. Danach verließ er das Büro, sperrte die Tür ab und ging den Gang entlang, bis er den Aufzug erreichte, der außerhalb des Gebäudes nach unten führte.

      Der gläserne Aufzug entließ ihn neben dem Karstadt-Kaufhaus auf der Schellingstraße. Der Verkehr brauste durch die flirrende Mittagshitze. Fensterscheiben waren heruntergekurbelt. Aus den Fahrzeugen schepperte laute Musik und das Röhren der Klimaanlagen war allgegenwärtig. Diverse Passanten gaben sich dem Einkaufsstress hin.

      Mauser wandte sich nach links und lief die Leopoldstraße entlang. In der Apotheke zur Münchner Freiheit kaufte er sich eine Packung Ibuprofen und einen Badezusatz für ›Wohlfühlmomente‹, der dort gerade beworben wurde. Danach bog er links in die Herzogstraße ein und erreichte alsbald in der Wilhelmsstraße das Il Bocco, eine kleine, aber feine Pizzeria. Hier gab es Pasta und Espresso für recht günstiges Geld, geschmacklich jedoch außergewöhnlich mediterran. Kaum zu glauben, dass es dergleichen im Herzen Bayerns zu finden gab.

      Er bestellte noch einen Espresso-Grappa nach und sinnierte über den heutigen Tag. Um sieben Uhr in der Früh war er aufgewacht. Juliette war natürlich nicht da gewesen. Sie hatte die letzten Nächte in einem Hotel irgendwo in Berlin verbracht, wo sie als politische Dolmetscherin die vergangene Woche wegen irgendwelcher französischer Austauschtage gebraucht wurde. Heute würde sie zurückkommen, und er freute sich schon darauf, sie wiederzusehen. Am Abend zuvor hatte er die gemeinsame Wohnung aufgeräumt.

      »Lass einen Mann nie eine Woche alleine in deiner Wohnung«, hatte er damals gesagt, als sie frisch zusammengezogen waren und Juliette das erste Mal für längere Zeit fortmusste.

      »Wieso denn nicht?«

      »Männer wie ich räumen nicht auf«, lautete seine Antwort. »Männer wie ich fangen an, sich Pizza zu bestellen und ein Sixpack nach dem nächsten zu trinken, wenn sie alleine sind. Männer wie ich lümmeln auf dem Sofa und rülpsen. Männer wie ich trinken Schnaps und schauen sich unanständige Filme an.«

      »Soll ich absagen und lieber hier bei dir bleiben?«

      »Männer wie ich räumen erst in letzter Sekunde auf. Vorausgesetzt, sie lieben ihre Frau. Unterstehe dich also, eher als vereinbart heimzukommen. Es könnte noch nicht aufgeräumt sein. Und glaub mir: Eine Wohnung, wie sie Strohwitwer führen, steht der Chaostheorie in nichts nach.«

      Juliette hatte gelacht und war angenehm überrascht gewesen, dass die Wohnung picobello in Schuss war, als sie wieder zurückkam. Danach hatte sie nach Alvins unanständigen Filmen gefragt, und sie hatten sich einen angeschaut. Seitdem hatte sich dieser Ablauf in ähnlichen Variationen zu einer Art Ritual entwickelt.

      Das Problem war nur: Alvin sah sich im Normalfall keine unanständigen Filme an. Seit über zehn Jahren war er daher dazu verdammt, sich immer einen solchen zu besorgen, sobald seine Frau mal beruflich ein paar Tage weg war. Sie bestand darauf. Und irgendwie schmeichelte es ihm.

      Heute Morgen war er daher nicht direkt in sein Büro an der Münchner Freiheit gegangen, sondern hatte sich zunächst diesen Pornofilm angeschaut, den er sich aus dem Internet bestellt hatte. Es war ein Film, in dem ausnahmslos vermeintliche Lesben miteinander Verkehr hatten und das Beste an dem ganzen Film war letztlich die Musik gewesen: träumerisch jazzige Midtempo- bis Downbeat-Nummern. Das Saxophon brillierte auf exorbitant hohem Niveau und für kurze Zeit hatte sich Mauser überlegt, ob das nicht eine Möglichkeit für ihn sei: Musik für Pornofilme zu schreiben.

      Nachdem er sich im Beisein des Filmes erleichtert hatte, verwarf er diesen Gedanken wieder. Er hatte geduscht und sich mit reichlicher Verspätung ins Büro aufgemacht. Da er dieses alleine betrieb, gab es auch keinen Menschen, mit dem er hätte sprechen können oder vor dem er sich hätte rechtfertigen müssen. Er hatte die Post geöffnet – Rechnungen und Mahnschreiben – hatte sie teilweise via Onlinebanking beglichen und dann zum hundertsten Mal versucht, seine Steuererklärung anzufangen. Wenig später war er trüb vor sich hin sinnierend auf dem Bürostuhl eingenickt.

      Er brauchte einen Fall. Wenn auch nicht zur Abdeckung seiner Finanzen – denn das wusste er: Sollte es hart auf hart kommen, würde ihm Juliette aushelfen, ohne mit der Wimper zu zucken – so doch zur Abschaltung dieser gähnenden Langeweile.

      Er zahlte und verließ das Lokal. Rechts daneben befand sich die sogenannte Autorenbuchhandlung ABC. Ein kleiner aber feiner Laden, der vor rund vierzig Jahren einmal