Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Читать онлайн.
Название Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman
Автор произведения Patricia Vandenberg
Жанр Языкознание
Серия Dr. Norden Bestseller Paket
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740937553



Скачать книгу

beschädigt war. Dann hielt sie ein kleines Schlüsselbund in der Hand, das sie aus halbgeschlossenen Augen betrachtete. Sie vermeinte, die Stimme ihrer Mutter zu hören. »Wie ordentlich du bist, Christina. Das hast du nicht von mir«, hatte sie einmal lachend gesagt. »Aber kannst du dich gar nicht von dieser scheußlichen Tasche trennen?«

      Christina fand die Tasche nicht scheußlich. Sie hatte sie selbst auf dem Markt in Taormina gekauft, während des ersten Urlaubs, den sie allein mit ihrem Vater verbrachte. Vierzehn war sie damals gewesen, ihre Mutter hatte Freunde in Kalifornien besucht.

      Christina war es gar nicht bewusst, wie genau sie sich an diese Zeit so plötzlich erinnerte, eine Zeit, die wie andere Jahre auch in ihrem Gedächtnis ausgelöscht gewesen war.

      Sie wurde sich auch nicht bewusst, wie sich nun Bilder an Bilder reihten, kleine, an sich nebensächliche Begebenheiten, die sich zu einem Zeitabschnitt zusammenfügten.

      Wie in Trance schloss sie den Koffer auf, der gefüllt war mit zauberhaften, leichten bunten Sommerkleidern, zarter Spitzenwäsche und allem, was zu einer eleganten jungen Frau gehört.

      Mit bebenden Händen nahm sie eines der Kleider heraus, hielt es sich an, stellte fest, dass es ihre Größe war. Und da entglitt es auch schon ihren Händen, und mit schreckgeweiteten Augen taumelte sie an die Wand, suchte dort nach einem Halt und glitt, diesen nicht findend, zu Boden. Sie wurde nicht ohnmächtig, sie hatte nur den Boden unter den Füßen verloren. Im nächsten Augenblick waren da auch schon ein paar kräftige Hände, die sie emporhoben.

      »Was machst du hier, Christina?«, fragte Björn. »Was suchst du?«

      »Einen Koffer«, erwiderte sie tonlos. »Ich suche einen Koffer!«, schrie sie dann heraus. »Wem gehört dieser Koffer?«

      »Dir«, erwiderte er lakonisch.

      »Nein, diese Kleider habe ich nie gesehen. Der Koffer gehört mir nicht! Ich hatte einen ähnlichen, aber …« Sie schwieg abrupt und blickte zu Boden.

      »Und woher hast du die Schlüssel, wenn dieser Koffer dir nicht gehört?«, fragte Björn.

      »Schlüssel? Ach ja, die Schlüssel. Mein Gott, sie passen wohl zu jedem Koffer dieser Art.« Sie warf den Kopf herum. »Es ist nicht mein Koffer, Björn. Ich bin nicht verrückt, wie du denkst. Ich habe diese Kleider nie gesehen.«

      Björn sah sie einen Augenblick erstaunt an.

      »Ich denke nicht, dass du verrückt bist«, erwiderte er heiser. »Wie kommst du nur auf diesen Gedanken? Du hast manches vergessen, Christina. Du hast dir damals viele neue Kleider gekauft.«

      Sie legte die Hände vor das Gesicht und schluchzte lautlos auf. »Nicht diese, nicht diese«, wiederholte sie immer wieder. »Ich habe niemals so bunte Kleider getragen.«

      »Bob wollte es wahrscheinlich«, sagte Björn. »Bitte, erreg dich nicht. Wir haben viele Koffer im Hause. Du brauchst diesen nicht zu nehmen.«

      Sie löste sich aus seinem Griff und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.

      »Warum hast du eigentlich keine Frau?«, fragte sie. »Oder hast du eine und willst mich nur nicht mit ihr zusammenbringen? Vielleicht gehört ihr dieser Koffer mit den bunten Kleidern?«

      »Nein, zum Donnerwetter, nein!«, brauste er auf. »Ich habe keine Frau, und diesen Koffer fand ich in deinem Wagen, Christina. Ich habe ihn mitgenommen, weil ich dachte, dass du die Sachen einmal brauchen würdest.«

      »In meinem Wagen? In welchem Wagen?«, fragte Christina und sah ihn irritiert an.

      »In dem Wagen, den dir dein Vater zur Hochzeit geschenkt hat«, sagte Björn ruhig.

      Sie blickte zu ihm empor, mit einem trostlosen Blick, der ihn erschütterte.

      »Mein Vater, mein Vater«, flüsterte sie, und dann brach sie in haltloses Schluchzen aus.

      Er wusste selbst nicht, wie es kam. Plötzlich hielt er sie in den Armen, streichelte tröstend ihr Haar, ihren Rücken, so, wie es vorher Fee gemacht hatte, und sie stieß ihn nicht zurück, wie sie es sonst immer getan hatte, wenn er die Hand nach ihr ausstreckte.

      »Wir werden jetzt deine Sachen einpacken, und dann fahren wir zur Insel der Hoffnung, Christina«, sagte Björn weich. »Dort wirst du Ruhe finden.« Noch immer hielt er sie in seinen Armen.

      Er spürte, wie ihr Körper bebte, und dann fragte sie ganz leise: »War Bob wirklich gern dort? Wie wenig wusste ich doch von ihm, wie wenig.«

      Ja, wie wenig, dachte Björn. Und das Wenige – nein, er wollte nicht darüber nachdenken. Christinas Genesung war wichtig, sonst nichts. Er wollte sie wieder so vor sich sehen wie an jenem Tag, als er sie kennenlernte. Ein Mädchen mit strahlenden Augen, die ihn fragend anblickten.

      Ihr seht euch aber gar nicht ähnlich, hatte sie gesagt. Und später hatte sie gefragt, warum er nur so schrecklich ernst sei.

      Leicht hatte Björn das Leben nie genommen, aber als er Christina sah, war ihm das Lachen restlos vergangen. Dieses heitere, unerfahrene Mädchen an Bobs Seite konnte er nicht anschauen, ohne Sorge zu empfinden.

      Langsam löste sich Christina jetzt aus seinen Armen. Sie sah ihn lange und aufmerksam an und nicht mit dem abwesenden Blick, den man nicht festhalten konnte.

      »Warum hast du mich eigentlich hierhergeholt, Björn? Warum, da dich doch nichts mit Bob verband?«, fragte sie schließlich sinnend.

      »Immerhin waren wir Brüder«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Es war selbstverständlich für mich, mich um dich zu kümmern.«

      Er streifte das Mädchen mit einem langen Blick.

      »Es ist wohl an der Zeit, dass ich meine eigenen Wege gehe«, sagte sie gedankenvoll. »Seltsam, wie dieser Tag das Leben verändert hat.«

      »Schau vorwärts, Christina. Nicht zurück«, sagte Björn eindringlich.

      Sie legte den Kopf in den Nacken. »Ich möchte doch erst morgen fahren, wenn es dir nichts ausmacht. Ich möchte nicht so überstürzt von hier fortgehen.«

      »Es ist gut.« Mehr wusste er nicht zu sagen.

      Christina war wieder allein. Sie hatte den Deckel des Koffers zugeschlagen, öffnete ihn dann aber wieder.

      Einzeln nahm sie die Kleidungsstücke heraus. Alles war ihr fremd. Niemals hatte sie solche Wäsche getragen, niemals Kleider, die so extravagant waren.

      Sie streifte ihr graues Gewand ab und schlüpfte in eines dieser Kleider. Es war etwas zu weit und viel zu lang, wie sie nun feststellte. Es passte überhaupt nicht zu ihr.

      Wieder geriet sie ins Grübeln. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie diese Sachen ausgewählt hatte. Aber sie konnte auch keine Erklärung dafür finden, wie sie in diesen Koffer und dann in den Wagen gekommen waren, den ihr Vater ihr damals geschenkt hatte.

      Auch an den Wagen konnte sie sich nicht erinnern. Es klaffte eine Lücke in ihrem Gedächtnis, eine große Lücke, die ganz leer war und doch ein Teil ihres Lebens.

      Nun hatte sie die Sachen alle aus dem Koffer genommen und auf dem Boden ausgebreitet, aber da lag noch ein Umschlag. Ein weißer länglicher Fleck war es, der vor ihren Augen verschwamm.

      Ihre Hand streckte sich danach aus, zuckte zurück und griff dann doch wieder danach.

      Sie drehte das Kuvert um. Es war nicht zugeklebt. Auf der Rückseite entdeckte sie die Initialen B. R.

      B für Bob, R für Reuwen. Oder galt das B für Björn? Gehörte dieser Koffer doch einer Frau, die ihm nahestand?

      War sie berechtigt, das zu lesen, was auf dem Briefbogen stand? Sie faltete ihn mit bebenden Fingern auseinander. Es war Bobs Schrift. O ja, sie kannte diese Schrift.

      Meine Geliebte,?las sie, nun werde ich bald bei Dir sein. Ich habe es geschafft. Ich habe das Geld bekommen. Der Weg ist frei für uns.

      Christina konnte nicht weiterlesen. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen, und in ihrem Kopf