Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina

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Название Animant Crumbs Staubchronik
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959913928



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ich mit der Hand zurückzuckte.

      Was war denn das gewesen?

      Langsam streckte ich die Laterne wieder nach vorne. Neben mir an der Wand stand ein Tischchen mit einem Spiegel, ähnlich einer Frisierkommode, in dessen Mitte eine Laterne stand. Ich nahm sie herunter und stellte stattdessen meine eigene dorthin. Sofort erhellte sich das gesamte Gewölbe in schummrigem Licht.

      Gegenüber meiner Laterne war ein zweiter Spiegel an der Wand, der das Licht wiedergab, und diesem gegenüber wieder einer mit demselben Effekt. Es führte sich fort bis in den hintersten Winkel des Archivs. Von Spiegel zu Spiegel, erleuchtet von nur einer einzigen Laterne.

      Ich war fasziniert und schockiert gleichermaßen, und leider tröstete mich diese außergewöhnliche Entdeckung nicht über das Unwohlsein hinweg, das ich in diesen Gemäuern verspürte.

      Ein leichter Zug lag in der Luft, die so trocken war, dass mir das Schlucken nach wenigen Augenblicken schon schwerfiel.

      Ich ließ die Laterne auf dem Tischchen und wagte mich langsam weiter in den Raum. Die Schränke standen in langen Gängen, Rücken an Rücken und sie alle waren mit metallenen Schildern beschriftet.

      Der Schrank für die Zeitungen war weit vorne. Als ich diesen öffnete, fand ich mehrere Kisten, für jedes Zeitungshaus eine. Ich beeilte mich, die richtigen Kisten für meine im Stapel befindlichen Papiere zu finden und schloss den Schrank wieder.

      Furchtsam schreckte ich zusammen, als ich im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, wich zurück und stieß mit dem Rücken gegen einen der Schränke, in dem es laut schepperte. Mein Herz schlug so heftig gegen meine Rippen, dass es wehtat. Es dauerte aber nur einen Moment, bis ich erkannte, dass ich mich vor meinem eigenen Spiegelbild erschreckt hatte, das geisterhaft in einer Vitrine schimmerte.

      Ich musste hier raus. Und zwar schnell. Mit eiligen Schritten lief ich in den Gang zurück und zu meiner Laterne, die mir den Weg zur Treppe erleuchtete. Ungelenk nahm ich sie von ihrem Platz auf dem Tischchen und sofort stürzte sich hinter mir wieder alles in Dunkelheit.

      Eine fiese Gänsehaut zog sich über meinen ganzen Körper, ich rannte so schnell mein Rock es zuließ die Treppenstufen wieder nach oben und versuchte, nicht an die Schatten zu denken, die von unten nach mir zu greifen schienen.

      Viel zu hastig schob ich die Tür am oberen Ende der Treppe hinter mir zu und lehnte mich mit dem Rücken dagegen, um wieder zu Atem zu kommen. Dieses Archiv war der wahrhaftig gruseligste Ort, an dem ich je gewesen war, und ich wollte mir gar nicht vorstellen, dass ich zukünftig jeden Tag da runtermusste.

      Ich atmete tief ein, löste meine verkrampften Finger um den Laternengriff und blies schlussendlich sogar die Kerze darin aus. Die Vormittagssonne schien durch die hohen Fenster auf den steinernen Boden und vertrieb die Gänsehaut von meinen Armen.

      Meine Bluse war voller Druckerschwärze. Na wunderbar.

      Stunden saß ich daran, die Kisten mit den Neuerscheinungen auszupacken und für jedes Buch eine Eintragung im Register zu erstellen, die Titel, Autor, Thema, Erscheinungsdatum, Herkunft und Nachbestellungsinformationen beinhaltete.

      Als Big Ben elf Uhr schlug, fühlte ich mich bereits erschlagen und sah mich doch einer Unzahl Bücher gegenüber, die ich noch nicht mal ausgepackt hatte.

      Was hatten denn die vierundzwanzig vor mir gemacht? Nur herumgesessen und Däumchen gedreht? Es konnte doch nicht sein, dass so viel liegen bleiben konnte und sich niemand darum kümmerte.

      Meine Finger waren voller Tinte, meine Ärmel bedeckt mit dunklen Flecken, die sich nicht hatten rausklopfen lassen, und eine Haarsträhne klebte mir verschwitzt im Nacken. Mein Rücken tat weh und ich beschloss, später weiterzumachen und erst einmal die Rückgabe vorzusortieren.

      Am Tresen fand ich Oscar, allein. Nachdem ich mich vorsichtig erkundigt hatte, erfuhr ich, dass Cody morgen wieder da sei und dass sie nur montags und freitags zu zweit waren.

      Dankend lächelte ich ihm zu, worauf er die Augen verlegen zu Boden schlug, und um ihn nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, begann ich ohne ein weiteres Wort das Sortieren der Bücher. Ich war schneller als gestern und als der große Ansturm vor der Mittagspause begann, war ich bereits fertig. Wahrscheinlich war es aber auch der Tatsache geschuldet, dass sich seit gestern nicht so viel angesammelt hatte.

      Ich half Oscar beim Verleihen der Bücher, fragte nach Namen, schrieb Buchtitel auf und dann hörte ich plötzlich einen Namen, der mir so bekannt vorkam, als sei es mein eigener.

      »Henry Crumb«, sagte der Mann vor mir, den ich erst ansah, als er mir sein Buch reichte, und mir entfuhr ein leicht hysterisches Quieken.

      »Henry!«, rief ich viel zu laut und wäre meinem Bruder am liebsten um den Hals gefallen. Doch wir waren in der Öffentlichkeit, ich hatte zu arbeiten und ein Tresen stand zwischen uns.

      »Wann hast du Pause?«, wollte er schnell wissen und ich schaffte es kaum, meinen Blick von ihm abzuwenden, um in der Schublade C nach seinem Namen zu suchen.

      »Halb zwölf«, informierte ich ihn und Henry lachte.

      »Also vor fünf Minuten«, gab er zurück und mein Blick fuhr herum zu der Uhr, die schräg über uns wie in einem Bahnhof von der Decke hing.

      »Oh, ja«, stellte ich fest und Oscar hinter mir schnaubte.

      »Schreiben Sie das Buch auf und gehen Sie. Ich schaff das hier«, sagte er mürrisch und doch war sein Unterton nicht abfällig.

      Ich zog Henrys Karte heraus, notierte das Buch und schob sie wieder zurück.

      »Danke«, flüsterte ich Oscar zu und ich könnte schwören, einen Hauch Rosa auf seinen Wangen schimmern gesehen zu haben.

      Eilig lief ich nach oben, um meinen Mantel zu holen, und hakte mich dann bei Henry unter, der mir den Arm anbot.

      »Tante Lillian hat mir geschrieben, dass du da bist. Es ist so verrückt. Ich dachte, sie hätte sich verschrieben, als ich gelesen habe, dass du in der Bibliothek arbeiten sollst«, eröffnete Henry mir, während wir die Stufe nach draußen überwanden und den gepflasterten Weg entlangschlenderten.

      Seit Henry hier in London Rechtswissenschaft studierte, hatte ich ihn nur noch zu den Feiertagen und zu Mutters Geburtstag zu Gesicht bekommen. Und da er auch immer viel zu tun hatte, waren seine Briefe mit der Zeit immer kürzer geworden.

      Ich betrachtete ihn von der Seite und stellte überrascht einige Veränderungen an ihm fest. Er trug sein dunkelblondes Haar nun etwas länger, seine Koteletten waren verschwunden und der Schnauzer, den ich schon immer für albern gehalten hatte, auch.

      »Sagen wir, ich wusste nicht, worauf ich mich einlasse, als Onkel Alfred und Vater mich überredet haben. Aber Mutter hat mir damit gedroht, mich mit dem langweiligen Mr Michels zu verloben, wenn ich nicht bald von meinem Dachboden komme«, witzelte ich, obwohl es nicht einmal zur Hälfte als Witz gemeint war. Henry lachte und doch war sein Blick ernst geblieben.

      »Mr Michels, wirklich?«, wollte er skeptisch wissen und hob die Augenbrauen. »Der popelt in der Nase, wenn er sich unbeobachtet fühlt«, bestätigte Henry mich und nun musste ich wirklich lachen. »Hast du Hunger?«, wollte er von mir wissen und ich nickte eifrig. Denn ich hatte wirklich einen Bärenhunger.

      Henry führte mich in die Cafeteria der Universität, die im letzten Jahrhundert eine Orangerie gewesen war. Da das Wetter draußen grau war, wurde der Saal durch warmes Laternenlicht erhellt und schuf so trotz der Größe eine heimelige Atmosphäre. Der Geruch von gebackenen Kartoffeln hing in der Luft und mir lief das Wasser bereits im Mund zusammen, noch bevor wir uns ein deftiges Mittagessen, Tee und zwei Stück Kuchen besorgen konnten.

      »Und? Wie machst du dich bisher so als Bibliothekarsassistentin?«, erkundigte sich Henry süffisant, als wir uns an einen der unendlich vielen Tische setzten, und ich seufzte laut. Doch wenigstens machte es mir nichts aus, ihm gegenüber ehrlich zu sein.

      Henry verstand mich. Er hatte mich schon immer verstanden und ich wandte mich schon seit wir Kinder waren in allen Problemen vorrangig an ihn. Er war ein verständiger, fröhlicher