Название | Animant Crumbs Staubchronik |
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Автор произведения | Lin Rina |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959913928 |
Bibliotheken hatte ich immer schon geliebt. Doch die zu Hause in unserem beschaulichen Städtchen war ein Frühstückssalon im Gegensatz zu der Royal University Library. Diese prachtvollen Hallen waren wie für mich gemacht und ich war gewillt, für immer hierzubleiben. Selbst mit diesem unfreundlichen Bibliothekar.
Tief atmete ich die Eindrücke um mich herum ein: die säuerliche Schärfe von gebleichtem Papier, muffig angelaufenen Büchern, frischer Tinte, gegerbtes Leder, Metallbeschläge, Staub, altes und neues Holz; das Licht, das durch die riesige Glaskuppel fiel und den runden Saal in einen grau schimmernden Palast voll unentdecktem Wissen verwandelte.
Auch unten waren die Wände voller Bücher und das System setzte sich fort. Ich zog einen kleinen Notizblock und einen Bleistift aus der Tasche meines Rockes und begann mir eine schnelle Skizze von der Verteilung der Themen zu machen. Zwar folgte es einer gewissen Logik, doch ich würde mir trotzdem nicht sofort alles merken können.
Sowohl rechts als auch links führten wie oben hohe Türen in breite, mit Büchern befüllte Gänge, die vorhin beim Betreten meiner Aufmerksamkeit entgangen waren.
Dort fand ich die weniger wichtigen Thematiken, allgemeine Literatur und sogar eine unerwartet große Anzahl an Romanen und Gedichtbänden.
Die Regale, die Treppen, die Geländer und auch die holzgetäfelten Wände waren kunstvoll verziert mit Schnitzereien und mit Gold beschlagenen Einsätzen und Statuen. Der Künstler hatte sich dabei zwar an nur wenige Motive gehalten, die sich jedoch in den verschiedensten Varianten wiederholten. Die Wappentiere Großbritanniens, der Löwe und das Einhorn, und dazu eine Menge Lilien.
Die Zeit ging vorbei, ohne dass ich es bemerkte, und ich las gerade im Stehen in einem Buch über Napoleons Aufstieg und Fall, als sich neben mir jemand verhalten räusperte.
Ich las noch die Zeile zu Ende und hob dann die Augen, nur um erschrocken zusammenzuzucken. Aus Versehen ließ ich das Buch viel zu laut zuschnappen, sodass das Geräusch unangenehm durch den ganzen Saal hallte.
Mr Reed stand vor mir, die Augenbrauen fragend hochgezogen, den Blick über den Brillenrand auf mich gerichtet. »Haben Sie keine Uhr, Miss Crumb?«, fragte er mich mit so weicher Stimme, dass mir sofort klar war, dass irgendwas nicht stimmen konnte.
»Nein, Mr Reed«, antwortete ich lauernd und konnte einen harten Zug um seinen Mund erkennen. Wieder fiel mir auf, dass er keinen Bart trug, was ungewöhnlich war für einen Mann in seinem jungen Alter. Aber vielleicht legte er auch einfach keinen Wert auf die modischen Anwandlungen unserer Zeit und das würde ihn zumindest in meinen Augen ein kleines Stück sympathischer machen.
»Es ist eine Dreiviertelstunde vergangen, seit ich Sie entlassen habe. Und ich habe wahrlich keine Zeit, Sie im gesamten Gebäude zu suchen«, fuhr er mich an und die Weichheit seiner Stimme war gewichen, genau wie meine Hochstimmung.
Ich war immer gut mit Worten gewesen, hatte Menschen immer Paroli bieten können. Doch gegen die Barschheit seiner Worte wusste ich einfach nichts Schlaues zu sagen, ohne selbst unhöflich zu werden. Und das ärgerte mich über alle Maßen.
»Kommen Sie mit!«, wies er mich recht streng an und ich folgte ihm zwischen den Regalen hindurch und zurück in den Lesesaal.
»Jedes Buch hat seinen Platz«, begann er und ich rollte mit den Augen, was er nicht sehen konnte, da er vorausging und mir den Rücken zugekehrt hatte. »Sie finden dazu die Signaturen auf den Büchern«, erklärte er, als ob ich völlig verblödet wäre, und ich wollte gar nicht wissen, was er bisher an Leuten einlernen musste, dass er es jetzt für nötig empfand, mir so etwas Banales zu erklären. Oder aber er tat es, weil ich eine Frau war.
»Die Aufgabe eines Bibliothekarsassistenten ist es, so etwas zu wissen. Diese Bibliothek muss Ihr zweites Zuhause werden und Sie müssen das Ganze sehr ernst nehmen.« Er wandte mir sein Gesicht zu und nahm die Brille ab. »Weil ich es sehr ernst nehme«, fügte er hinzu und seine Stimme schien viel bedeutungsvoller zu sein als bei den Worten davor. Es war ein Moment der Intensität, wie er dort stand und mich ansah. Mir zu vermitteln versuchte, dass Bücher sein höchstes Gut waren und ich dies zu ehren hatte. Diese Bibliothek war ihm wirklich sehr wichtig.
Dann wandte er den Blick wieder ab und steckte die Brille an seine Weste, wie er es zuvor schon einmal getan hatte.
»Sie werden alle Aufgaben erledigen müssen, zu denen ich nicht komme, und das wird oft mehr sein, als Sie glauben bewältigen zu können«, stellte er mir in Aussicht und ich dackelte ihm weiter hinterher. »Ich erwarte Sie um sieben Uhr dreißig am Morgen. Sie werden die aktuellen Zeitungen von unserem Boten entgegennehmen und ihm seine Entlohnung zahlen. Die Zeitungen müssen dann in die Einspannungen gefasst und dort vorne in den Ständer gehängt werden.« Er zeigte ins Foyer, wo ich einen hohen Ständer mit unzähligen Zeitungen sehen konnte. »Die veralteten Ausgaben werden von Ihnen ins Archiv gebracht. Sie werden die Entleihe und die Annahme von Büchern durchführen. Die zurückgegebenen Exemplare müssen vorsortiert werden. Beschädigte Bücher werden gesammelt und bei einer bestimmten Anzahl an den Buchmacher geschickt, damit er sie restaurieren kann.« Nun wurde Mr Reed immer schneller. Man merkte ihm an, dass er das in den letzten Monaten schon oft aufgezählt hatte und ich zog schnell meinen Papierblock aus der Tasche, um mir Notizen zu machen.
Wenn ich ihm wirklich beweisen wollte, dass er mich unterschätzte, dann musste ich jetzt besonders gut aufpassen.
»Sie nehmen die Neuerscheinungen in die Kartei auf, präparieren das Buch mit den Signaturen und überprüfen die Schlagwörter für die Suchmaschine.«
Ich notierte es zwar, aber die Bedeutung seiner Worte verstand ich nicht. Was war eine Suchmaschine?
»Erlauben Sie eine Frage«, unterbrach ich ihn und störte mich nicht daran, dass er sich irritiert zu mir umdrehte.
Sein Blick fiel auf den Block und den Stift in meinen Händen und ich fragte mich kurz, wie viel er ohne die Brille eigentlich sah. Brauchte er sie nur zum Lesen?
»Schreiben Sie etwa mit?«, brachte er schockiert hervor und ich nickte, wusste nicht, ob es eine Beleidigung oder ein Lob darstellen sollte.
»Die Frage«, erinnerte ich ihn, als er nicht aufhörte, auf meine Hände zu starren und zunehmend verwirrt blinzelte. »Diese Suchmaschine? Wie muss ich mir das vorstellen? Ist es eine richtige Maschine? Steht sie hier in der Bibliothek?«, war ich an der Reihe, ihn mit Worten zu überfallen, und es schien ihm tatsächlich für einen kurzen Moment die Sprache verschlagen zu haben.
»Es ist eine richtige Maschine, Miss Crumb. Und sie steht hier im Gebäude. Um genau zu sein, ist sie direkt neben dem Raum, in dem Sie Ihren Mantel gelassen haben. Es wundert mich, dass sie Ihnen nicht aufgefallen ist«, fand er seine Sprache wieder und räusperte sich dann verhalten. »Aber dieses Thema werden wir zu einem späteren Zeitpunkt angehen. Sie werden vorerst mehr als genug zu tun haben.« Seine Stimme hatte unerwartet wieder diesen schroffen Ton angenommen und der kurze Augenblick an Menschlichkeit, den wir geteilt hatten, war schneller vorbei, als ich ihn hätte genießen können.
Mr Boyle hatte recht gehabt. Dieser Mann war wirklich kompliziert.
Wir liefen die Treppen zum Rundgang hinauf, einmal im Kreis herum und wieder nach unten, während Mr Reed mir unablässig die groben Vorgänge dieser Bibliothek erklärte und dabei so vage blieb, dass ich mir die Hälfte selbst zusammenreimen musste. Meine Liste wurde immer länger und mir wurde langsam klar, warum all die jungen Männer so schnell die Waffen gestreckt hatten. Es war einfach nicht zu schaffen. Nicht so viel in so wenig Zeit, und ich würde mich wahnsinnig anstrengen müssen, wenn ich wirklich vorhatte, meinen Wert zu beweisen.
Nach einiger Zeit, die mir vorkam wie Stunden und doch höchstens eine halbe gewesen sein konnte, entließ mich der Bibliothekar mit den Worten, ich solle mich an ihn wenden, wenn ich noch Fragen hätte, und dem klaren Befehl in seinem Blick, es ja nicht zu wagen, dieses Angebot zu häufig