Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina

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Название Animant Crumbs Staubchronik
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959913928



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knöpfte den Mantel auf und schälte sich aus dem dicken Kleidungsstück.

      »Duuu …«, begann Tante Lillian schimpfend und mit gerecktem Finger, schüttelte aber dann den Kopf und seufzte nur leise. »Ach, komm her, mein Abenteurer!« Ihre Stimme wurde milde und sie ging zu ihm, um sich von seinen bärigen Armen umschließen zu lassen.

      Die beiden waren ein sehr ungleiches Paar und doch wie füreinander geschaffen. Er war groß und stämmig, sie klein und zierlich. Seine Haare waren dunkel, seine Haut gebräunt, während sie leuchtete wie ein Engel mit hellblondem Haar und einer Haut so weiß wie Marmor.

      Nur ihr Humor war der gleiche und das war wohl auch der Grund, warum sie sich so gut verstanden.

      Ich knöpfte meinen Mantel auf und reichte ihn an einen stillen älteren Herrn, der mir den Arm hinhielt, damit ich das Kleidungsstück ablegen konnte. Ich nickte ihm höflich zu, er nickte zurück und dann richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Tante.

      »Das Essen wartet, Alfred«, sagte sie gerade und hob dann vielsagend die Augenbrauen. »Und ein Gast, der darauf besteht, noch heute eine Unterredung mit dir zu führen«, fügte sie hinzu und hatte dabei ein Lächeln im Mundwinkel.

      »Ein Gast, oho«, machte Onkel Alfred und Tante Lillian knuffte ihn verspielt in die Seite.

      »Habt ihr beiden denn Hunger?«, wandte sich meine Tante jetzt auch an mich.

      Jetzt, wo wir endlich da waren, spürte ich die Müdigkeit in meinem Körper und das Loch in meinem Magen. Außerdem würde ich zu einem guten Essen nie Nein sagen.

      Das Esszimmer war kleiner als unseres. Eigentlich waren hier alle Räume kleiner als bei uns, was nicht am fehlenden Reichtum meines Onkels, sondern an dem mangelnden Platz in den Londoner Straßen lag.

      Meine Tante ging voraus, ich folgte und mein Onkel wechselte noch ein paar Worte mit seinem Butler, der sich um unser Gepäck kümmern sollte.

      Ich war so hungrig, dass ich nicht mal den Drang verspürte, mich vor dem Essen umzuziehen und auch meine Tante schien darin kein Problem zu sehen. Bei ihr und meinem Onkel ging es so viel ungezwungener zu als bei meinen Eltern zu Hause. Mutter hätte mich sofort die Treppen hochgejagt und mich in einen netten Fummel gesteckt, wenn auch nur die geringste Hoffnung bestand, dass der besagte Besuch männlich, jung und ledig sein könnte.

      Und das war er tatsächlich. Unerwartet stand ich einem Paar hellbrauner Honigaugen gegenüber und musste sogleich aufpassen, dass mich das ausladende Kleid meiner Tante nicht in die Arme des dazugehörigen Mannes schubste. Ich kam allerdings trotzdem ins Straucheln und hielt mich an einem Tischchen fest, um mein Gleichgewicht wiederzuerlangen.

      »Verzeihen Sie«, stammelte ich, ohne die Hand des Mannes in Anspruch zu nehmen, die er mir bereitwillig entgegenstreckte, um mich wenn nötig aufzufangen.

      »Schon gut«, antwortete er mir mit leiser, aber fester Stimme und ich starrte ihn an wie ein verschrecktes Kaninchen.

      Der Mann vor mir war jung, vielleicht Mitte zwanzig, sein Haar dunkelblond und etwa mittellang, sodass es ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig, der Kiefer kantig, die Lippen auffällig, ohne dass ich wirklich sagen konnte weshalb.

      Die schweren Schritte meines Onkels auf dem Parkett rissen mich aus der Betrachtung des Fremden und holten mich in die Wirklichkeit zurück. Ich schaffte es, in meinem Kopf ein für mich überraschendes abschließendes Urteil über das Aussehen meines Gegenübers zu fällen: Er sah viel zu gut aus, um mich nicht wenigstens ein bisschen zu beeindrucken.

      »Winston!«, rief mein Onkel, als er den jungen Mann erblickte, und grinste breit. »Mein Freund, ich dachte, du wärst schon auf halbem Weg nach Glasgow.«

      Auch der Angesprochene lächelte und trat vor, um meinem Onkel die Hand zu schütteln. »Erst morgen in der Früh, Alfred. Deshalb nehme ich auch die Unhöflichkeit in Kauf, dich um diese Stunde noch zu stören.«

      »Ach wo«, wehrte Onkel Alfred ab, und dann schien ihm plötzlich wieder einzufallen, dass ich nach wie vor neben den beiden Männern an der Wand eingezwängt stand.

      »Oh, natürlich«, begann mein Onkel und trat ein Stück zur Seite, damit ich mit meinem Rock mehr Platz zum Stehen hatte. »Ani, darf ich bekannt machen? Dieser junge Mann ist Winston Boyle, der neue Rechtsbeistand meiner Abteilung«, stellte er mir Mr Boyle vor, der höflich den Kopf neigte, ein verschmitztes Lächeln im Mundwinkel. »Winston, das ist meine Nichte Animant Crumb. Ich habe sie nach London mitgebracht, damit sie sich als Bibliothekarsassistentin versuchen kann.«

      Mr Boyle fiel bei diesen Worten das Lächeln aus dem Gesicht und er zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Wie? In dieser Bibliothek? Bei Mr Reed?«, wollte er entgeistert wissen und so langsam war ich bereit, mir doch ein wenig Sorgen zu machen.

      »Wie fürchterlich muss dieser Mann denn sein, dass alle so entsetzt reagieren, wenn das Thema auf ihn kommt?«, fragte ich in einem leichten Ton und lächelte sanft, um meine Gefühle nicht zu offenbaren. Wenn ich die ganze Sache nicht mit Humor nahm, würde ich am Ende vielleicht wirklich Angst bekommen und ich war fest entschlossen, mich nicht so leicht einschüchtern zu lassen. Mutter würde es nur zu gern sehen, wie ich alles hinschmiss und nach Hause zurückgekrochen kam. Aber diesen Gefallen würde ich ihr garantiert nicht tun.

      »Er ist nicht fürchterlich«, beeilte Mr Boyle mich zu beruhigen und als er mein Lächeln sah, kehrte auch sein eigenes zurück. »Nur … kompliziert.«

      Ich hob eine Augenbraue, legte den Kopf leicht schräg und beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, den gut aussehenden Mr Boyle auszuquetschen. Wenn schon niemand anderes bereit war, meine Fragen zu beantworten, dann musste eben er herhalten.

      »Setzt euch doch erst mal und esst«, unterbrach Tante Lillian meine Gedanken mit weicher Stimme und streckte die Hand nach mir aus, damit ich mich auf ihre Seite des Tisches setzte. »Dabei könnt ihr immer noch reden.«

      Ich lächelte ihr zu, obwohl ich innerlich seufzte, raffte meine Röcke und manövrierte mich zwischen Onkel Alfred und Mr Boyle hindurch, die mir bereitwillig den Weg frei machten.

      Meine Mutter hätte mich wohl niemals unterbrochen, wenn ich gerade mit einem netten jungen Mann geplaudert hätte. Aber so war das Leben nun mal, man konnte an jeder Situation etwas beanstanden.

      Wir setzten uns, Onkel Alfred sprach das Tischgebet und eine beleibte Frau mit Spitzenhäubchen trug eine Terrine mit dickem Eintopf herein, aus der sie uns einem nach dem anderen ausschöpfte.

      Ich hatte gerade den Löffel aufgenommen, da richtete ich das Wort auch schon wieder an Mr Boyle. »Mr Boyle«, sagte ich mit leiser Stimme, hoch erhobenem Kopf, das Kinn hielt ich jedoch ein wenig gesenkt, genau so, wie meine Mutter mir immer einredete, wie man mit jungen Männern zu reden hätte. »Geh ich recht in der Annahme, dass Sie diesen Mr Reed persönlich kennen?«, fragte ich sehr direkt und Mr Boyle nickte, während er kaute.

      »Das tun Sie, Miss Crumb«, erwiderte er charmant und seine ungewöhnlichen Lippen verzogen sich zu einem leichten Schmunzeln. »Wenn man so viel Zeit wie ich in dieser Bibliothek zugebracht hat, kann man gar nicht anders, als diesem Herrn persönlich zu begegnen.«

      Ich rutschte mit dem Po ein Stück weiter auf die Stuhlkante, um aufmerksamer zuzuhören und mein Interesse an diesem Thema zu unterstreichen. »Mein Onkel hat mich dazu überredet, mein Glück in der arbeitenden Schicht zu versuchen, bisher allerdings alles verschwiegen, was mir in diesem Bezug wichtig erscheint. Sie werden mir wohl verzeihen müssen, dass ich meine Neugierde so offen zur Schau trage«, erzählte ich und Mr Boyle lachte, ein Lachen, das mich anstecke.

      Er stützte die Unterarme auf der Tischkante ab und beugte sich mir ebenfalls entgegen. »Ich werde Ihnen mit Freuden alle Fragen beantworten, die ich imstande bin aufzuklären«, versicherte er mir verschwörerisch und hob dann den Blick zu Onkel Alfred, als wäre ihm eingefallen, dass es sich nicht gehörte, Versprechungen in Aussicht zu stellen, die man vielleicht nicht einhalten konnte. »Wenn es Ihrem Onkel denn genehm ist«, fügte er schnell hinzu und seine Stimme bekam einen nüchternen Ton.

      Onkel