Das Honecker-Attentat und andere Storys. Dieter Bub

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Название Das Honecker-Attentat und andere Storys
Автор произведения Dieter Bub
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954622115



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Geschenke, Blumen und Cognac, dankend entgegennimmt, ihn, wie sie ihm später erzählen wird, beobachtet wie einen merkwürdig exotischen Fremdling und sich insgeheim über die Farbkombination seiner Winterausrüstung amüsiert; ihren Mann vorstellt, einen großen bärtigen Naturburschen, der sie ins angrenzende Wohnzimmer führt. Im kleinen Bauernhaus neben der Küche die Runde der Gäste um einen großen Tisch platziert: der Jazzposaunist Gregor mit seiner Frau, ein Maler und ein evangelisches Pfarrerehepaar. Sie trinken in wohliger Wärme Bier und Schnaps. Die Neuen setzen sich dazu, unschlüssig, worüber sie sprechen sollen, zwei Fremde aus der anderen Welt, Exoten. Sie werden betrachtet, neugierig, willkommene Eindringlinge, die in ihr Gelage Abwechslung bringen. Sie rücken zusammen, holen Stühle an den Tisch.

      „Was wollt ihr trinken? Ist alles da.“ Annäherung, Neugier. Reden über das Wetter, über Straßenverhältnisse, Streudienst, später über die Arbeit der Korrespondenten in diesem Deutschland und die Reisen in den Osten Europas.

      „Wir sind ein Winterwunderland“, sagt der Pfarrer.

      „Du weißt nie, ob du ankommst oder ob du wieder wegkommst.“

      „Bei uns fühlen sich alle so wohl, dass sie bleiben wollen“, sagt der Hausherr lachend.

      „Wir sind hier zu Hause, glücklich für immer. Forever GDR.“ „Wir leben in einer Planwirtschaft, auch der Winterdienst funktioniert nach Plan. Und heute ist kein Winterdienst. Aber das versteht ihr da drüben sowieso nicht“, sagt Gregor. Bier steht auf dem Tisch, und Wein und Schnaps.

      Es geschieht. Müller sieht sie, betrachtet sie, verwirrt sich. Sekunden. Später wird er erzählen, es seien Sekunden gewesen, die alles entschieden hätten. Sein Leben gerät aus den Fugen. Was ereignet sich? Was passiert ihm? Verwirrung. Verirrung. Müller beobachtet die Frau in der kleinen Küche, unmittelbar neben dem Wohnraum, ohne Tür, einsehbar. Keine Hausfrau, keine von der Art, wie er sie von drüben kennt, verheiratete Hannover-, Hildesheim-, Stuttgart-, Regensburg-Hausfrauen. Er benutzt einen Vorwand.

      „Wo kann man hier mal?“, fragt Müller.

      „Haben wir den größten Komfort zu bieten“, sagt ihr Mann fröhlich, weist auf die Tür in den Garten.

      „Draußen über den Hof, Plumpsklo oder für kleinere Geschäfte die Natur, ein paar Schritte Richtung Wiese.“

      „Nur nicht direkt vor die Tür“, fügt sie hinzu, lacht ihn an, unbefangen.

      Frisches Weiß über Bäumen und Garten. Es hat aufgehört zu schneien. Die Luft sanft. Der Fremde im Winterland Brandenburg, russisches Märchen mit der Tochter der Babuschka am Kamin. Er entscheidet sich gegen das unbekannte Plumpsklo, schräg über den Hof in einem Schuppenanbau. Ein paar Schritte zur Seite, der Schnee jungfräulich, unbefleckt?

      Er erinnert sich an das Gemeinschaftspinkeln im alten Land, nordwestlich von Hamburg im komfortablen Bauernhaus des Manfred Bissinger, zusammen mit dem Dirigenten Christoph von Dohnányi, dem Bruder des adligen sozialdemokratischen Politikers der Freien und Hansestadt. Nach einem halben Dutzend Flaschen Bordeaux beschlossen sie im Wettbewerb möglichst viele Buchstaben ihrer Namen in den Schnee zu urinieren. Dohnányi hatte gewonnen. Eine lange Nacht in einem der Landhäuser der Hamburger, die sich entweder in Elbnähe oder bei Lüchow-Dannenberg ihre Wochenenddomizile ausgewählt und sie mit Geld und mehr oder weniger Geschmack ausstaffiert hatten: Sommer-, Wintergäste.

      Nun zeichnet Müller in einem Garten der Kleveschen Häuser bei Gutengermendorf gemächlich mit Spaß gelbe Schwünge in den Schnee, schließt den Reißverschluss seiner Hose, atmet die angenehme Frische. Nach der Rückkehr ins Haus sucht er ihre Nähe, bleibt bei ihr stehen, sieht sie mit einer altmodischen Kaffeemühle hantieren, zwischen den Knien, die Kurbel energisch gedreht, das vertraute Geräusch, das er von zu Hause von seiner Großmutter kennt, die für Bohnenkaffee, süchtig, Schmuck und Uhren versetzt hat, nach dem Krieg, als die Amis für ein paar Tage in Halle waren, bevor sie weiterzogen, Richtung Westen, gefolgt von den Russen.

      „Ein komisches Ding, das“, sagt Müller umständlich. „Kenne ich noch von zu Hause“, stolpert sein Satz dann unbeholfen weiter: „Ich habe gerne Kaffee gemahlen, wenn irgendwo welcher aufzutreiben war, später mit den ersten runden elektrischen Mühlen.“

      „Die alte geht noch immer, sie ist gut in Ordnung, reicht völlig für hier draußen“, sagt sie und lacht. Sie beobachtet ihn und weiß, was er will: sie. In ihm der Wunsch nach ihrer Nähe. Sie ist unerreichbar. Er fühlt sich tapsig, kompliziert. Ein schwieriges Unternehmen. Verheiratete Frau mit Kind, eine Autostunde von der Stadt entfernt, ohne eigenen Wagen, geliebt von ihrem Mann, verehrt, begehrt von anderen. Es gibt Leichteres.

      Der Kaffee für die Gäste aus der Stadt, nach langer Fahrt. Essen wird aufgetischt. Neben ihr auf der Ofenbank. Die grünen Kacheln kräftig aufgeheizt, der Rücken wohlig warm. „Gemütlich hier“, sagt er. „Wir haben noch eine geschnitzte Ofenbank zu Hause, von meinem Großvater in Halle.“

      „Du kommst aus Halle? Ich denke, du kommst von drüben.“

      Das „Du“ hat Schmitt mit der Vorstellung organisiert. „Das ist der Dieter, und das ist auch der Wolf, und das ist die Brigitte!“ Hier sagen alle Du zueinander.

      Er erklärt sein Ost-West-Leben, Kindheit und Jugend in der Stadt an der Saale, Flucht in den Westen, berufliche Karriere, Arbeit in Westberlin, Rückkehr als Korrespondent in der DDR. Sie sagt: „Wir haben auch in Halle gelebt, in Dölau.“ Ihr Vater war Oberarzt in einer Lungenheilstätte. Danach sind sie nach Wittenberg gezogen. Als sie nach Halle zurückkam, ins Internat der Franckeschen Stiftungen, hatte er die Stadt schon verlassen, über Berlin, in den Westen.

      „Abgehauen?“, fragt sie.

      „Abgehauen, wie so viele aus der Klasse.“

      „Und jetzt bist du wieder hier? Ist das nicht merkwürdig?“

      „Eigenartig, ja.“

      „Warum bist du zurückgekommen?“

      „Um dich zu treffen“, sagt er und ahnt noch nicht, dass es stimmt. Sie lacht.

      „Wo hast du gewohnt?“, fragt er.

      „In Dölau“, sagt sie, „beim Krankenhaus.“

      „Ich kenne dich. Du bist das kleine Mädchen auf dem Weg zum Waldsee. Immer wenn ich mit dem Fahrrad zum Waldsee unterwegs war, ist mir ein kleines lachendes Mädchen mit braunen Haaren begegnet“, sagt er.

      „Du hast ja Phantasie.“

      „Doch, doch“, sagt er. „Und nun sitze ich neben dir. Das soll so sein.“

      Warten auf Brigitte B.

      Empfang in der Botschaft, die nicht Botschaft heißt, denn das wäre die Anerkennung von zwei Staaten in Deutschland – und auch wenn es zwei Staaten sind, durch Grenzen voneinander getrennt, mit eigenen Parlamenten, eigenen Gesetzen, eigenen Armeen, eigener Währung, eigenen Staatsbürgerschaften. Erforderliche Wortklaubereien. Diplomatie. Staatsrecht. Während der Staatsmaler und Oberregulierer der bildenden Kunst, Willi Sitte, Ralf Winkler, der unter dem Namen A. R. Penck im Westen mit seinen Bildern bereits anerkannt und gefragt ist, den Dresdner Maler einen Schmierfinken nennt, „den wir hier nicht brauchen“, hat der „Nicht-Botschafter“ sondern „Ständige Vertreter“ Klaus Bölling den Mann mit dem Hut eingeladen, der verkündet, jeder Mensch sei ein Künstler, der, selbst im Westen, mit Fettecken, Schlittenrudeln, Krankenbetten irritiert, niemals offiziell ins Land des sozialistischen Realismus gebeten worden wäre. Beuys ist ein Exot, nicht eine einzige Installation hätten sie ihm in der DDR gestattet, ihn stattdessen einen Pfuscher, Revanchisten, Spinner gescholten.

      Zu Beuys wollen sie alle – die in Vorschriften und Genehmigungen eingezwängten Maler, Bildhauer, Schriftsteller und selbst ihre Verweigerer, die Partei-Kulturfunktionäre kommen, diskret, haben nichts zu sagen, sagen nichts, könnten sich in diesem Fall aber durchaus einverstanden erklären – Beuys zeigt Zeichnungen aus den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit. Müller wartet nicht auf Beuys, Müller