Das Honecker-Attentat und andere Storys. Dieter Bub

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Название Das Honecker-Attentat und andere Storys
Автор произведения Dieter Bub
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954622115



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ihre Frage: „Hast du den passenden Kühlschrank gefunden?“ Er wird sich zu erinnern versuchen, ob er nach einem Kühlschrank gesucht und ihn gekauft hatte oder ob zwischen ihnen ein Codewort vereinbart worden war.

      Müller weiß um seine Selbsttäuschung, begreift, wie sehr die Idylle täuscht, hinwegtäuscht über den so genannten „real existierenden Sozialismus“, der mit seiner propagandistischen Krake in die letzten Winkel vorgedrungen ist, der das Land ausbeutet, die Natur zerstört. Die Kleveschen Häuser sind kein unangetastetes Refugium. Ringsherum gibt es die großen Schläge der LPG, Seen, mit Gülle vergiftet, zerrüttete Straßen, verfallene Herrenhäuser und Schlösser. Der erste „Ständige Vertreter“ aus Bonn, Günter Gaus, hatte das fatale Wort von der „Nischengesellschaft“ erfunden und damit gemeint, die Bevölkerung der DDR schaffe sich ihre Freiräume durch den Rückzug ins Private. Das betulich kleinbürgerliche Leben in den Datschen oder in den kleinen Gemeinschaften von Kirchenleuten, die es nett miteinander fanden, unter ihnen der Gast aus dem Westen. Die Wortschöpfung suggerierte für die Westdeutschen, irgendwie ließe es sich doch angenehm leben, drüben, in der DDR, ärmlich, aber doch nicht ganz so schlimm.

      „Du könntest hier leben!“

      „Es wäre unmöglich.“

      „Du bleibst.“

      „Wie könnte ich bleiben?“

      „Du kehrst zurück und beantragst die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik.“

      „Eine absurde Idee.“

      „Eine Möglichkeit immerhin.“

      Freundin und Komplizin

      Unbemerkt, zunächst auch von ihm selbst, verwirrt von ihr, Gefühlschaos, wird sie zur Komplizin, nicht mehr nur Geliebte, mehr, Vertraute. Sie wird Informantin, Helferin. Er begleitet sie im Trabant zu Familie P. in Löwenberg, ein Ehepaar mit zwei Kindern, er bei der LPG, sie in der Konsum-Verkaufsstelle – eine nicht beantragte und nicht genehmigte Begegnung. Die Frauen kennen sich aus dem Konsum. Der Mann hat am Neubauernhaus Ausbesserungsarbeiten durchgeführt. Erzählungen über die Versorgungslage, die Probleme in der Landwirtschaft.

      Die Staatssicherheit, hier auf dem Lande nachlässig, nimmt den Kontakt zunächst nicht wahr, erfährt nichts von Müllers Besuch am ersten Mai auf dem Sportplatz mit Musik, Bockwurst, Berliner Bier. Die Geliebte nimmt ihn mit, in ihr Leben, zu ihren Freunden und Bekannten. Sie zeigt sich mit ihm, verschweigt ihn nicht. Keine Heimlichtuerei.

      Müller fragt, was ihm passiert, spürt die Fesselung, wie sich die Bindung verstärkt, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Kein Entrinnen. Will er entrinnen? Bindet er sich – selbst, gegen seinen Willen, mit seinem Willen?

      Er spricht über sie. Ihre Affäre ist öffentlich.

Hauptabteilung II/13 Berlin 13. Nov. 1982

       Die DDR-Bürgerin Brigitte B.

       Restauratorin, freischaffend tätig

       Familienstand:

       verheiratet mit

       WDB

       Tätigkeit: freischaffender Regisseur

       1 Kind (7 Jahre)

       Partei: ohne

       Massenorganisation: FDGB

       wurde als intime Verbindung des in der OKP „Wabe“ bearbeiteten in der DDR akkreditierten ständigen BRD-Korrespondenten

      Müller

      bekannt. Diese Verbindung besteht seit Anfang 1981 (Falsch! Genosse Major Menge! – seit Mitte 1980). Während der Realisierung eines genehmigten journalistischen Vorhabens lernte Müller die Familie B. kennen. (Auch falsch! Es war der private Ausflug zum 30. Geburtstag der Brigitte B.! Genosse Major Menge! Schlechte Recherche).

       Dieser familiäre Kontakt entwickelte sich dann zu der bestehenden Intimverbindung, die durch den Ehemann der Brigitte B. toleriert wird.

      Müller integriert die Brigitte B. in seine subversive Kontakttätigkeit in der DDR. Er machte sie mit verschiedenen DDR-Verbindungen bekannt. (Richtig Genosse!), nutzte sie zu Kurierdiensten und zur Aufbewahrung von nicht bekannt gewordenen Materialien. Er bezog die Brigitte B., inoffiziellen Hinweisen zufolge, wiederholt in genehmigte journalistische Vorhaben ein. (Richtig! Aber Genosse Major, was ist mit den nicht genehmigten Vorhaben?)

       Diese Erkenntnisse sind nicht gesichert.

       Menge

       Major

      Landleben

      Stadtflucht. Das Dorf als Ort der Geborgenheit, fern von Indoktrination. Hier haben sie ihre Ruhe. Die Emigration. „Angelika sollte nicht in Berlin bleiben“, sagt sie. Angelika, die siebenjährige Tochter, dunkelhaarig, hübsch wie die Mutter, schüchtern, verträumt.

      „Warum der Ausweg hierher?“, fragt er.

      „Sie soll in die Dorfschule gehen. Hier draußen ist sie fern von der sozialistischen Erziehung in der Stadt.“

      Er erinnert sich an die Prinzipien sozialistischer Erziehung, das neue Menschenbild, die Getreuen einer neuen Gesellschaft, die alten Lehren Ostrowskis (Wie der Stahl gehärtet wurde), die Heroen der Zukunft. 23 Jahre nach seinem Abschied aus diesem Land erkennt er die Strukturen und die Regeln des totalitären Staates: die tägliche Indoktrination, die Verordnung von Parolen, die Verweigerung der Diskussion, die Verfolgung Andersdenkender, das Verbot falscher Fragen. „Ich weiß, es hat sich nichts geändert seit meiner und deiner Zeit, vor 25 oder fünfzehn Jahren“, sagt Müller.

      „Nein, es hat sich nichts geändert. Du siehst es. Die Lobgesänge auf die Partei, die Losungen zu Planerfüllung und Völkerfreundschaft, die Aufmärsche. Das meine ich.“

      „Was meinst du?“

      „Das alles gibt es hier nicht, in der Dorfschule.“

      „Angelika, das Landkind?“

      „Ja, es ist besser für sie.“

      „In ein paar Jahren muss sie zurück, in die Stadt. Das wirst du ihr nicht ersparen.“

      „Dann wird es leichter sein, für sie und für uns. Dann war sie Jahre frei, dann hat sie etwas gelernt für später. Jetzt ist es erst einmal besser. Vielleicht muss sie auch zum Ernteeinsatz. So wie früher. Subbotniks. Heute machen wir unsere eigenen Subbotniks, wir dürfen nach der Ernte mit Genehmigung der LPG auf die Felder, nachernten, Kartoffeln und Spargel. Den gibt’s sonst hier nicht zu kaufen.“

      Zwischen den Welten

      Ist er aus Sehnsucht nach Heimat in dieses Land zurückgekehrt, hat er deshalb sich abgewendet von den Bequemlichkeiten Hamburgs, dort alles zurücklassen? Wie gemächlich kommod war es dort gewesen, an Alster und Elbe, in dieser Meeresstadt am großen Strom. Joggen rund um die Außenalster, Spaziergänge in Övelgönne, am großen Fluss, mit Paolino am Wasser, mit dem Chinesen im Kiez von St. Pauli, Hafenrundfahrten, mit der besseren Gesellschaft der Opernbesucher, Zadeks Othello und Hamlet, Peymanns Faust im Schauspielhaus, Boy Gobert am Thalia-Theater, mit Antonio in seinem „Erdbeerparadies“, mit dem Markt unter der U-Bahn, mit dem Fünf-Minuten-Fußweg von der Hansastraße zum Rothenbaum ins Studio, Sendungen morgens, mittags, abends, nachts, geregelt mit Dienstplänen, Begegnungen mit den Honoratioren der Freien und Hansestadt. Partys, Wochenenden im alten Land, bei den Malern und Dichtern in Lüchow-Dannenberg.