Emsgrab. Wolfgang Santjer

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Название Emsgrab
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264287



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hatte es damals eigentlich mit diesem Vorfall im Büro. Seine Vorgesetzten hatten nicht erkennen können, dass die Kollegin, die er geschlagen hatte, auch zu denen gehörte, die sich gegen ihn verschworen hatten. Und um die Angelegenheit zu vertuschen, hatten sie ihn in den vorzeitigen Ruhestand schicken wollen. Seine Frau hatte ihn angefleht, dieses Angebot anzunehmen. Und er war schließlich darauf eingegangen, weil er die Blicke der Kollegen nicht mehr ertragen hatte.

      In seiner Heimatstadt hatte ihn ständig alles an sein Versagen erinnert. Auch die Nachbarn redeten über ihn. Deshalb war er mit seiner Frau in dieses kleine Dorf an der Küste umgezogen.

      Er starrte auf den Zeitungsausschnitt, der vor ihm lag. Auf dem Bild zum Text standen sie alle und grinsten frech in die Kamera. Wie er sie hasste!

      Es wurde Zeit, das überhebliche Grinsen von diesen Gesichtern zu wischen.

Zeitsprung

      12.

      An Bord des Saugbaggers »Arne Monsing«

      Der Saugbagger Arne Monsing befand sich auf der Ems in Höhe Papenburg. Die riesigen Hallen der Werft und die Brücke über die Ems lagen dahinter.

      Henk de Olde saß im Steuerstuhl auf der Brücke des holländischen Baggers. Die Abläufe waren immer gleich. Sobald der Bagger voll beladen war, würden sie die Löschstelle hinter der Flusskurve anlaufen. Diese Entladestelle bestand aus einem Ponton, auf dem eine offene Rohrleitung mit einem Gestell befestigt worden war.

      Die Besatzung würde dann die Löschleitung des Baggers mit der Rohrleitung verbinden. Die Pumpen des Baggers würden das geladene Schlick-Wasser-Gemisch hineindrücken. Danach würde es weiter über eine Schwimmleitung fließen und die Landseite erreichen. Dort verlief die Rohrleitung über den Deich und endete in einem Gestell, das über einem Spülfeld angebracht war, mehrere Fußballfelder groß und eingedeicht. Es würde sehr lange dauern, bis sich die festen Bestandteile des Schlick-Wasser-Gemischs am Boden des Spülfeldes absetzten.

      Aber so weit waren sie noch nicht. Henk de Olde verglich die Position des Baggers mit dem Plan auf dem Bildschirm.

      Das Profil des Flusses musste hier noch angeglichen werden. Dies war ein sensibler Punkt, weil die Kreuzfahrtschiffe, wenn sie das Docktor des Hafens passiert hatten, hier in den eigentlichen Fluss einliefen. Dafür musste das Schiff nach steuerbord gedreht werden. Sollte sich in diesem Bereich eine Sandbank gebildet haben, konnte es zu ernsten Schwierigkeiten kommen, weil die Kursänderung nicht vorgenommen werden konnte.

      Das Saugrohr des Baggers war unten und das Schlick-Wasser-Gemisch füllte langsam den Laderaum. Alles lief nach Plan und die letzten Binnenschiffe hatten den Bagger mit der ersten Flutwelle passiert. Diese Begegnungen verliefen nicht immer reibungslos. Das Fahrwasser war hier sehr eng und die Schiffe fuhren mit der Strömung und waren schwer zu navigieren. Der Bagger hatte die Signale für ein manövrierbehindertes Fahrzeug gesetzt, die anderen mussten also ausweichen. Auf welcher Seite sie passieren durften, zeigte der Bagger ebenfalls an, damit sich die anderen Besatzungen früh genug auf die nötigen Begegnungsmanöver einstellen konnten.

      Nach einigen Absprachen über Schiffsfunk waren alle Begegnungen ohne Probleme verlaufen und Henk de Olde konnte sich nun etwas entspannen.

      Der Maschinist Pieter ten Broek verriegelte die Tür zur Maschinenanlage des Baggers und in der Kombüse wurde es sofort etwas ruhiger. Der Duft von Kaffee zog durch den Raum, wo der Matrose Tassen auf ein Tablett stellte. Er wartete, bis der Maschinist die Ohrenschützer abgesetzt hatte, ehe er fragte: »Na, wie sieht es aus, Pieter?«

      »Die Bilge ist fällig, du kannst dich schon mal seelisch darauf einstellen. Und die Tanks müssen auch noch entwässert werden.«

      »Ach, lass uns erst mal Kaffee trinken, bevor wir das Saugrohr hieven.«

      Pieter ten Broek ging voraus und hielt Martin die Türen zur Schiffsbrücke auf. »Henk, de Koffie ist klar.«

      Während die Männer ihren Kaffee tranken und Kekse dazu aßen, wurde nicht viel geredet. Henk de Olde dachte an den Baggerplan, Pieter ten Broek zählte in Gedanken die Jahre bis zur Rente und Martin Kerstmann dachte an seine Freundin in Groningen.

      »Na, Martin, kannst es wohl gar nicht abwarten, bis du wieder mit deiner Freundin knuffeln kannst«, fing Pieter ten Broek schließlich an zu frotzeln. »In deinem Alter habe ich mich auch noch gefreut, meine bessere Hälfte zu sehen.«

      »Genau, Pieter, du hättest sie am liebsten aufgefressen und heute ärgerst du dich, dass du es nicht getan hast«, spottete de Olde gutmütig. »Du wirst dich noch in unsere Gesellschaft zurücksehnen, wenn du erst Rentner bist und mit deiner Alten shoppen gehen musst.«

      Es wurde Zeit, das Geschirr abzuräumen, denn der Laderaum war inzwischen fast vollständig gefüllt. Nur die Schokokekse ließen sie stehen. Dann stellten sie die Saugpumpen ab und zogen das Saugrohr langsam über eine Winde hoch. Der junge Matrose spülte mit einem Wasserschlauch die Drähte und Hebel der Winde ab, die nach und nach aus dem Wasser auftauchten. Dabei verdeckte er teilweise den Bereich, den die Bordkamera normalerweise erfasste.

      Das Saugrohr war fast vollständig oben, und Henk langte gerade noch mal nach den Keksen, als sie über die Gegensprechanlage Martin schreien hörten.

      »Verdammt, was ist passiert? Hat er sich etwa verletzt?« Pieter eilte zur Winde, um zu sehen, ob der Matrose sich in den laufenden Teilen eingeklemmt hatte.

      Henk de Olde stoppte die Winde vom Steuerhaus aus. »Gott verdammich!« Seine Stimme hallte aus dem Decklautsprecher. »Was ist denn da los, Pieter? Ist Martin verletzt?« Er sah über die Bordkamera, wie der Maschinist seinen Arm um die Schulter des jungen Matrosen legte und ihn mit sich nach hinten zog.

      In diesem Moment sah Henk de Olde, was die beiden so erschreckt hatte. Ein menschlicher Körper hatte sich in Rückenlage zwischen dem Saugrohr und dem Hebedraht verklemmt und das vorbeiströmende Wasser bewirkte, dass sich ein Arm bewegte.

      Henk fiel vor Schreck der Schokokeks aus der Hand. Mein Gott, dachte er, wie Ahab auf dem Wal! »Pieter, ist der tot?«

      Der Maschinist brauchte einen Moment, um antworten zu können. Er schluckte. »So tot, wie man nur sein kann, Henk.«

      Am liebsten hätte de Olde das Saugrohr wieder abgesenkt. Seine Hand schwebte über dem entsprechenden Knopf. Wieso musste ihnen das passieren? Erst der Anschlag mit den Steinen und jetzt das hier …

      Widerstrebend nahm de Olde die Hand vom Schalter. Dieser Tote hatte Angehörige und die sollten erfahren, was mit ihm passiert war. »Pieter, bring Martin nach hinten und sichere das Saugrohr.« Er nahm den Hörer des Sprechfunkgeräts aus der Halterung. Als Erstes würde er Ems Radio informieren müssen.

      Der Maschinist brachte den bleichen Matrosen in die Kombüse, dann kam er auf die Brücke. »Henk, was machen wir jetzt?«

      »Die Verkehrszentrale sagt, wir sollen die Position halten«, sagte Henk, den Hörer noch in der Hand. »Sie werden sich bei uns melden, sobald sie die Polizei erreicht haben.«

      Nach endlos scheinenden Minuten meldete sich Ems Radio über den Schiffsfunk: »Arne Monsing für die Verkehrszentrale.«

      »Hier Arne Monsing.«

      »Nach Rücksprache mit der Polizei sollen Sie zunächst die genaue Position festhalten. Die Leiche soll gesichert werden und anschließend laufen Sie bitte den Außenhafen Papenburg an.«

      »Verstanden.« Henk de Olde legte den Hörer des Sprechfunkgerätes in die Halterung zurück.

      »Eins kann ich dir sagen, Henk, den Toten fass ich nicht an«, sagte ten Broek energisch. »Das kannst du vergessen. Außerdem, so wie ich das sehe, hat er sich sowieso am Hebedraht verklemmt.«

      Der Schiffsführer überlegte einen Moment. »Also gut. Wir hieven das Saugrohr so weit, bis der Tote vollständig aus dem Wasser ist. Ich schreib noch die GPS-Positionsdaten auf, dann drehen wir und laufen ganz langsam Papenburg an. Ich will nur hoffen, dass wir die Leiche so schnell wie möglich von Bord bekommen.«

      13.