Emsgrab. Wolfgang Santjer

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Название Emsgrab
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264287



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Ein kurzes Nicken, mehr durfte man von ihm wohl nicht erwarten.

      »Kollege Wurpts, kennen Sie den Bernd Vogelsang?«, fragte Stefan Gastmann.

      »Ja, er ist ein engagierter Umweltschützer. In letzter Zeit hat er aber Probleme. Er hat sich bei uns beschwert, weil er wegen der Sache mit den verendeten Rindern beschimpft und bedroht worden war. Dann noch die Geschichte mit seiner Mutter. Schweren Herzens musste er sie im Altenheim unterbringen. Er lebt jetzt alleine hier.«

      »Danke Kollegen, damit können wir uns schon ein Bild machen«, sagte Gastmann.

      Albert Brede fragte den Stationsbeamten: »Können Sie mir zeigen, wo Sie durch den Flur gelaufen sind?«

      Stinus Wurpts ging voran und drückte vorsichtig die Eingangstür des Hauses auf. Die Männer sahen in den Flur, wo verschiedene Gegenstände verstreut auf dem Boden lagen. Wurpts ging um die Tür herum und die Kollegen folgten ihm. Im Flur blieb er stehen. »Michael und ich sind dann dicht an der Wand lang, also wo man normalerweise nicht läuft. Denselben Weg haben wir zurück genommen. Klinken und Türen haben wir außerhalb des normalen Griffbereichs berührt.«

      Wurpts’ Schilderung wurde vom Kollegen Brede nur durch ein kurzes Nicken kommentiert.

      »Sehr gut, Kollegen«, lobte Stefan Gastmann, »alles richtig gemacht. Den Rest könnt ihr uns überlassen.«

      Als die Uniformierten außer Hörweite waren, sagte Gastmann: »Hättest ja auch mal ein paar nette Worte sagen können. Die haben das doch hier ordentlich gemacht.«

      Als Antwort verzog Brede nur mürrisch das Gesicht.

      Die Kriminalbeamten sahen sich nacheinander alle Räume im Haus an.

      »Na, Stefan, was ist hier passiert?«, fragte Brede. »Was sagt dir der Tatort?«

      »Ich stell mir das so vor …«, begann Gastmann und wies in Richtung Wohnzimmer, aus dem TV-Licht flackerte und Stimmen zu hören waren. »Das Opfer hatte den Fernseher eingeschaltet. Vermutlich klingelte der oder die Täter an der Tür.« Er drehte sich zur Haustür um. »Das Opfer öffnete die Eingangstür. Es gibt keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen. Kannte er seinen Besucher?« Er ging ein paar Schritte und schaute ins Wohnzimmer. »Die Möbel sind umgestürzt und beschädigt. Es muss ein Kampf stattgefunden haben. Die Blutspuren – insbesondere die große Blutlache hier vorne – sprechen dafür, dass eine Person erheblich verletzt wurde und dort einige Zeit lag.«

      »Eins versteh ich nicht«, sagte Brede. »Wie gelangte das Opfer in die Ems? Warum lässt man ihn nicht einfach hier im Flur liegen?«

      »Das ist ’ne gute Frage«, seufzte Gastmann, »leider nicht die einzige.«

      »Der Ablauf ist aber schlüssig«, bestätigte Brede ihm, »auch wenn wir daran denken, wie unser Toter aussah.«

      »Aber wie sind die Knochenbrüche entstanden?«, fragte Gastmann. »Hier beim Kampf – oder nach Eintritt des Todes, und die Brüche wurden durch das Saugrohr verursacht?«

      »Egal«, winkte Brede ab, »nach der Obduktion wissen wir mehr. Du kannst schon mal mit den Außenaufnahmen beginnen. Ich werde Dirksen Bericht erstatten.«

Teil 2

      14.

      Uferpromenade Hafen Leer

      »Jan, sind wir hier fertig?«

      Die Stimme drang langsam wie durch Nebel in sein Bewusstsein. Jan Broning drehte sich langsam zu seinem neuen Kollegen Stefan Gastmann um.

      Der Tote lag auf dem Holzanleger der Hafenpromenade. Die Meldung über den Leichenfund war vor einer halben Stunde beim 1. Fachkommissariat eingegangen.

      »Jan, das ist ohne Zweifel unser vermisster Bootjefahrer Hauck aus Rhauderfehn.« Die Ehefrau hatte noch in der Nacht die Vermisstenanzeige erstattet. Ein Spaziergänger hatte die Leiche in Bauchlage treibend im Hafenbecken gesichtet und die Kollegen von der Wache alarmiert. Die hatten den Toten auf die Uferpromenade gezogen und den Holzanleger beidseitig abgesperrt.

      »Haben wir denn schon alles erledigt, Stefan?«

      Der neue Kollege war sichtlich nervös. Er wollte keine Fehler begehen und hatte zudem offenbar großen Respekt vor Broning – das machte die Aufgabe für ihn auch nicht leichter. »Wir haben die Fotos für den Bildbericht«, sagte Stefan Gastmann. »Bei der Leichenschau haben wir keine postmortalen Verletzungen festgestellt. Außerdem haben wir die Brieftasche des Toten gefunden. Sie ist eindeutig Eigentum des Vermissten Hauck. Die Verletzung am Schädel in Höhe des Hutrandes an der rechten Schläfe wurde ebenfalls dokumentiert.« Er zeigte Broning die Bilder im Display der Digitalkamera.

      Broning sah sich noch einmal genau das Gesicht des Toten an. Die Identifizierung durch die Ehefrau würde nicht einfach werden, vielleicht sollte er den neuen Notfallseelsorger um Unterstützung bitten. »Sehr schön, Stefan. Und was ist deiner Meinung nach nun passiert?«

      »Also, äh, entweder wurde er niedergeschlagen oder er ist, schlicht formuliert, ausgerutscht und ins Wasser gefallen.«

      »Das sind zwei Möglichkeiten. Stefan. Entscheide dich für eine.«

      Broning erntete nur Schweigen. Die jungen Kollegen legten sich nicht gerne fest, aus Angst, sie könnten danebenliegen. »Stefan, die Brieftasche ist noch da. Raubüberfall scheidet dann ja wohl aus. Die Ehefrau machte auch nicht den Eindruck eines Totschlägers. Was können wir also noch unternehmen, um den Sachverhalt zu rekonstruieren?«

      »Obduktion?«, schlug Stefan zögerlich vor.

      »Ja, später. Aber was können wir noch hier vor Ort tun?«

      Keine Reaktion.

      »Zeugen, Stefan«, sagte Jan Broning geduldig. »Zeugen suchen und befragen. Die mühselige, aber notwendige Polizeiarbeit. Als Erstes solltest du die anderen Bootjefahrer befragen, bevor die den Hafen verlassen. Die Kneipen in der Nähe nehmen wir uns anschließend vor. Es fehlt aber immer noch etwas.«

      Stefan legte die Stirn in Falten und fragte vorsichtig: »Was glaubst du denn, was passiert ist, Jan?«

      Schön ausgewichen, dachte Broning. Aber er wollte den Neuen nicht weiter unter Druck setzen. »Der Tote ist treibend aufgefunden worden. Also ist der Mann nicht im eigentlichen Sinne ertrunken, sondern erstickt. Das bedeutet, bei der Obduktion in der Gerichtsmedizin wird kein Wasser in der Lunge festgestellt, aber dafür vermutlich ein erheblicher Blutalkoholwert. Gestern hat es stark geregnet, der Holzanleger war deshalb sehr glatt.«

      Stefan nickte und Jan Broning fuhr fort: »Die Frau hatte ausgesagt, ihr Mann wollte noch ein Glas Bier trinken gehen. Also, unser Bootjefahrer verließ sein Boot, um sich noch einen Schluck zu genehmigen. Er ging dazu in eine Kneipe, nicht so weit entfernt, wegen des Regens. Entweder trank er zu viel oder er hat den Alkohol schlecht vertragen und wollte zurück zum Liegeplatz. Das Boot liegt hinter dem etwa einen Meter hohen Geländer und es gibt keine Durchgangspforte oder Ähnliches. Herr Haack musste also über diese rutschige Stufe des Geländers klettern. Dazu kommen jetzt noch der unsichere Gang, bedingt durch Alkohol, und das rutschige, nasse Holz. Er rutscht aus und schlägt mit dem Kopf entweder auf den Holzanleger oder gegen das Boot. Deshalb ist es wichtig …«

      »… den Anleger und das Boot nach eventuellen Blut- oder Haarspuren abzusuchen«, vervollständigte Stefan.

      »Genau. Alkohol und Wasser – das ist eine verdammt gefährliche Mischung, Stefan.« Broning lehnte sich auf das Geländer der Holzpromenade. Sofort schweiften seine Gedanken ab und führten ihn wie schon so oft zurück in eine bessere Zeit.

      Er verstand immer noch nicht, wie schnell sich sein bisheriges Leben in dieses Elend hatte verwandeln können. Vor genau 330 Tagen … Broning konnte sich noch an jede Einzelheit erinnern.

      *

      330 Tage zuvor

      Er hatte an seinem Schreibtisch im ersten FK gesessen, als das Telefon geklingelt hatte. Die Nummer im Display hatte angezeigt, dass sein Chef Renko Dirksen am Apparat war.

      »Unser