Emsgrab. Wolfgang Santjer

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Название Emsgrab
Автор произведения Wolfgang Santjer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264287



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sahen ungepflegt aus. Lütters war klein und dick. Seine Uniformhose und das Hemd präsentierten sich ordentlich gebügelt und die Schuhe glänzten. Er bemühte sich, wichtig auszusehen, und verzog keine Miene.

      Der Mann in Handschellen räusperte sich, und mit süffisantem Grinsen stellte er sich selbst vor: »Weichers mein Name. Alias Der heiße Detlef. Die Hitze bezieht sich übrigens auf mein unehrenhaftes Handwerk.«

      »Nun, Herr Weichers, Humor haben Sie ja«, sagte Elzinga, »hoffentlich auch Vernunft. Ich möchte Ihnen die Handschellen zumindest für die Überfahrt abnehmen, wenn Sie …«

      »Bitte! Ich versprech auch, brav zu sein, Herr Flottenkommandeur.« Weichers hielt Elzinga die gefesselten Hände mit einer bühnenreifen Geste entgegen.

      »Dann schlage ich vor, Sie gehen mit meinem Kollegen Lütters in die Kombüse. Die Schubladen und Schränke sind abgeschlossen und eine Kamera ist auch vorhanden. Falls Ihnen schlecht werden sollte, melden Sie sich bitte frühzeitig.«

      »Jawohl Herr …« Weichers grinste. »Sie wissen schon.«

      Lütters nahm dem Gefangenen die Acht ab und führte ihn in die Kombüse.

      »Kollege Broning«, sagte Elzinga, »Sie können uns hier oben gerne Gesellschaft leisten.«

      »Gerne, aber nur, wenn wir uns duzen. Ich heiß Jan und ich versuch auch, nicht im Wege zu stehen.«

      Jan Broning verunsicherte Onno Elzinga etwas, er hätte nicht sagen können, wieso. Lag es am äußeren Erscheinungsbild? Die blonden Haare und der Vollbart waren eindeutig zu lang. Die große und kräftige Gestalt wirkte irgendwie eingesunken und kraftlos. Die breiten Schultern hingen leicht nach vorn. Die Augen waren gerötet. Dazu die dunklen Augenränder und die blasse Gesichtsfarbe … Der Mann sah müde aus, als hätte er seit längerer Zeit schlecht oder gar nicht geschlafen. Eigentlich passt das alles gar nicht zur Ausstrahlung des Mannes. Du hast schon bessere Zeiten erlebt, Kollege, dachte Elzinga.

      Er startete die Maschinen und Diekmann ging an Deck und löste die Festmacher. Nach drei kurzen Signaltönen legte Elzinga zunächst die Steuerbordmaschine auf ›Zurück‹, und nachdem das Heck den nötigen Abstand zum Anleger hatte, legte er auch den Fahrhebel der Backbordmaschine auf diese Position.

      Er drehte das Boot im Hafenbecken und Diekmann ging zum Bug als Ausguck. Ein langer Ton, und das Boot verließ den Schutzhafen. Elzinga hörte das Einlaufsignal einer Fähre. In der Fischerbalje kam ihnen die Friesland entgegen.

      10.

      Fahrt von der Insel Borkum nach Emden

      Jan Broning stand im Ruderhaus des Streifenbootes und schaute nach oben auf das Außendeck der Fähre, die an ihnen vorüberfuhr. Er fühlte einen Stich in der Brust. In Gedanken war er da oben und drückte seine Brigitte an sich. Ein Kurzurlaub vor vielen Jahren … Es kam ihm vor, als sei es gestern gewesen. Schon während der mehrstündigen Überfahrt nach Borkum hatten sie den Alltag komplett losgelassen.

      Broning wurde aus seinen Träumen gerissen, als sich die Ruderhaustür öffnete. Der Kollege Diekmann zog die Jacke aus und ging in Richtung Kombüse. Diekmann drehte sich zu Broning und Elzinga um und fragte. »Wie wär’s mit Tee? – Oder trinkt hier etwa jemand Kaffee …?«

      Broning hob die Brauen. »Das war doch keine Frage, oder?«

      Elzinga grinste. »Nee, Jan, das war keine.«

      »Viel Worte macht ihr ja nicht, Onno!«

      »Wir sind so bisschen wie ein altes Ehepaar«, sagte Elzinga. »Das ergibt sich so über die Jahre.« Er deutete mit dem Kopf Richtung Kombüse. »Bleibt er friedlich?«

      »Unser Gefangener?« Jan Broning lächelte. »Das Einzige, was an ihm gefährlich ist, sind seine Sprüche. Ein Kollege von der Sommerverstärkung ist auf ihn aufmerksam geworden. Detlef Kunze wollte vermutlich einen Hotelsafe knacken. Sein Pech, dass der Kollege ihn erkannte. – Kunze ist noch ein Gauner der alten Schule. Er weiß, wann er verloren hat.«

      Das Boot drehte nach Backbord und Elzinga sah, dass der Katamaran Nordstern ihnen entgegenkam. »Achtung!«, rief er in Richtung Kombüse. »Nordstern! Jetzt wird’s kabbelig!« Kurz darauf passierte sie der Katamaran mit dröhnenden Maschinen und das Streifenboot tauchte in zwei tiefe Wellentäler ein.

      Elzinga sah dem Katamaran hinterher. »Komisch … Keiner hat mehr Zeit, alles muss schnell gehen, sogar der Urlaubsbeginn.«

      »Die Menschen haben es eilig auf der Suche nach dem Glück«, sagte Broning, »und sehen nicht, dass sie es schon längst haben.« Er sah am Stirnrunzeln seines Kollegen Elzinga, dass er ihn mit dieser Bemerkung verunsichert hatte.

      »Die Frage ist doch, Jan: Was ist das Glück? Jeder versteht doch unter dem Begriff etwas anderes. In diesem Moment freue ich mich, dass alles so läuft, wie es soll. Dazu klares Wasser, gute Luft, und nach Feierabend wartet zu Hause meine Frau auf mich.«

      Exakt das Thema, das Jan Broning im Moment lieber nicht vertiefen wollte. »Onno, stört es dich, wenn ich draußen mal etwas Luft schnappe?«

      »Kein Problem. Am Bug ist die beste Stelle. Nimm dir die Decke mit, dann kannst du dich auf die Verschanzung setzen. Aber halt dich gut fest«, rief ihm Onno Elzinga noch hinterher.

      Als Jan Broning nach draußen ging, fragte er sich, ob sein Verhalten als unfreundlich ausgelegt werden könnte. Aber er mochte dieses Gespräch über das Glück nicht weiterführen.

      Ferdinand Diekmann hatte für den Tee diesmal die großen Tassen genommen. Das Wasser war zu kabbelig für die kleinen. Er balancierte die Tassen über die Kombüsentreppe ins Ruderhaus, stellte sie auf den Tisch ab und sah, dass Broning auf dem Vordeck saß. Elzinga schaute zu, wie Diekmann das Ruderhaus verließ und an Deck kurz mit Jan Broning sprach.

      Als Diekmann zurückkam, sah er Elzinga ratlos an. »Der Kollege möchte keinen Tee.«

      Die Fahrt verlief ohne Probleme und das Boot lief schließlich, vorangetrieben durch den Flutstrom, in den Außenhafen Emden ein. Am Dienstanleger wartete bereits ein Streifenwagen und kurz darauf gingen Jan Broning, Lütters und ihr Gefangener von Bord.

      *

      Außenhafen Emden

      »Komischer Mensch«, sagte Elzinga. »Nun hat er fast die ganze Zeit da draußen auf der Verschanzung gehockt. Dabei hab ich doch bloß gesagt, weil er halt von Glück gesprochen hatte, Glück ist genau das hier für mich, und natürlich dass zu Hause meine Frau auf mich wartet – und da fällt dem plötzlich ein, er muss frische Luft schnappen, und er kommt gar nicht erst wieder rein. Sind ihm wohl zu konservativ, meine Ansichten. Genau wie unser Tee.«

      »Mensch, Onno!« Diekmann schüttelte den Kopf. »Kollege Broning hat doch seine Frau bei einem Verkehrsunfall verloren. Ist noch gar nicht so lange her.«

      »Ach du Scheiße …!« Elzinga fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und raufte sich die Haare. »Ich Idiot.«

      11.

      Nördliches Rheiderland

      Der Gedanke bohrte sich in sein Bewusstsein: Versagt, er hatte jämmerlich versagt!

      Er war einfach in Panik davongelaufen, das Werkzeug hatte er am Sperrwerk liegenlassen.

      Diese Aktion hatte er doch so gut vorbereitet gehabt! Alles war optimal gelaufen – bis dieses verfluchte Schiff seine Scheinwerfer auf ihn gerichtet hatte!

      Sollte er es wagen, seine Ausrüstung zu holen? Nein, es wurde schon hell und das Risiko war zu groß, dass sie ihn erwischten.

      Waren sie ihm gefolgt?

      Mit der Angst kamen auch die alten Minderwertigkeitsgefühle zurück, und er saß reglos im dunklen Wohnzimmer. Einerseits stellte er sich immer wieder vor, wie ihn alle für seine Taten bewundern würden, andererseits aber hatte er Angst, zu versagen.

      Er dachte an sein Berufsleben zurück. An seinen schnellen Aufstieg und das hohe Ansehen, das er