Herbstverwesung. Stefanie Randak

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Название Herbstverwesung
Автор произведения Stefanie Randak
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962298531



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du sicher, dass du das nicht doch lieber der Polizei überlassen willst?“, Lorenzo nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee.

      „Das geht nicht. Dieser Frank Harris hat den Fall aufgegeben und die Greenwood als verrückt abgestempelt. Wenn ich ihm erzähle, dass meiner Meinung nach vielleicht ihre Söhne in Gefangenschaft auf Red Side leben und einer womöglich ausgebrochen ist und auch den Ring gestohlen hat, dann lacht der mich nur aus. Ich mache das selbst.“ Sie stand auf und schob zwei Scheiben Toast in den Toaster.

      „Na gut. Aber sei vorsichtig. Und vergiss die Überwachungskamera nicht“, Lorenzo gab seiner Prinzessin einen Abschiedskuss. „Ich muss jetzt zur Arbeit. Ich liebe dich“, verabschiedete er sich und verschwand aus der Küche. Nachdenklich holte sie die heißen Toasts aus dem Toaster. Sie mochte sie heiß und dunkel angebrannt. In Gedanken versunken schmierte sie Butter auf ihr Frühstück und beobachtete, wie die weiße Creme auf dem heißen Toast langsam zerfloss. Nach dem Frühstück erledigte sie ihre Pflichten als Hausfrau und machte sich schließlich gespannt auf den Weg zum Schloss. Doch bevor sie die Wohnungstüre hinter sich schloss, lief sie noch einmal zurück in die Küche. Sie öffnete die oberste Schublade und holte ein scharfes Küchenmesser heraus. Sie schluckte. War das wirklich notwendig? Misses Greenwood war bestimmt eine friedliche Frau. Dennoch fand Eleonora ihren letzten Aufenthalt auf Red Side nicht nur verstörend, sondern auch sehr unheimlich. Sie atmete tief durch und verstaute es vorsichtig in ihrer Manteltasche. So sehr es sie auch nach Abenteuern, nach der Wahrheit und den Geheimnissen von Misses Greenwood und des Schlosses dürstete, ein klein wenig war sie auch unsicher. Unsicher und auch ein bisschen ängstlich. Denn hinter den finsteren Mauern von Red Side gab es noch so einiges, womit selbst Eleonora niemals gerechnet hätte.

      4

      Eleonora schlich langsam und behutsam die rutschigen, unebenen Treppen zum Schloss hinauf. Mit zittrigen Händen öffnete sie wie beim ersten Mal das schwere Eingangstor zum Innenhof. Sie war wie beim letzten Mal nicht verschlossen und ließ sich mit geringem Kraftaufwand nach innen aufdrücken. Eleonora sah sich aufgeregt um. Keine Misses Greenwood. Sie betrachtete die hohen Mauern. Irgendwo hier musste doch diese Kamera sein. Sie hing an der Dachrinne, über der Stalltür. Das bedeutete, sie filmte nur einen bestimmten Bereich auf dem großen Innenhof. Die Tür zum Wohnbereich von Misses Greenwood wurde nicht gefilmt. Eleonora atmete auf. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Wohnbereich. Der lange, finstere Gang schockte sie erneut. Der muffige, säuerliche Geruch stieg auf. Eleonora holte ihr Handy heraus und schaltete die Taschenlampe an. Das bläuliche Licht erhellte lange nicht den gesamten Gang, doch immerhin spendete es genügend Licht, um ein paar Schritte voraus sehen zu können. Hier die Garderobe. Eleonora überprüfte erneut die Schuhe. Diesmal waren keine Männerschuhe dabei. Das bedeutete, es war sicher niemand außer ihr auf Red Side.

      Endlich erreichte sie den Wohnsalon. Hier gab es einen Lichtschalter, Eleonora drückte ihn und der Salon erhellte in dämmrigem Licht. Mein Gott, die Puppen. Da saßen sie. Zu fünft. Drei saßen auf dem Sofa und zwei standen auf dem Tisch. Isabell fehlte. Sie war wohl gerade im Cafe Fresh mit ihrer Großmutter. Und Mirabell fehlte auch. Wo sie aufbewahrt wurde, war wohl Elisabeth Greenwoods Geheimnis. Die Puppen saßen starr auf dem Sofa, es war, als würden ihre Glasaugen jede einzelne von Eleonoras Bewegungen verfolgen. Ihre Häute waren schneeweiß und makellos. Die beiden anderen standen auf dem kleinen Wohnzimmertisch. Direkt nebeneinander, das Gesicht nach vorne zu Eleonora gedreht.

      Vorsichtig trat Eleonora an sie heran und setzte sich vor sie auf den Boden. Es war still hier im Wohnbereich, es herrschte auf ganz Red Side eine unheimliche, kühle Stille. Das einzige, was man hören konnte, war Eleonoras Atem, der laut war, aufgeregt und stockend. Ihr Blick wanderte erneut zu den Puppen. Sie waren so makellos, zu perfekt. Eleonora streckte die Hand aus, um ihr die schwarzen Haare aus dem Gesicht zu streichen und um ihre hellblauen Augen besser sehen zu können. „Du siehst gruselig aus, weißt du das?“, flüsterte sie und nahm sie auf ihren Arm. „Gruselig, und doch faszinierend.“ Andächtig strich sie über das rote Samtkleidchen.

      Einen Moment lang versank Eleonora in den Augen der Puppe, der eingefrorene Blick fesselte sie. Dann schauderte sie, stellte sie schnell wieder zurück. Meine Güte. Hatte sie gerade wirklich mit der Puppe gesprochen? Sie zupfte das Kleid des Mädchens wieder zurecht. Plötzlich ertönte ein lauter Gong, Eleonora fuhr zusammen. Die große Uhr mit dem Pendel schlug zur vollen Stunde. Eleonora musste sich beeilen. Sie musste einen Keller finden.

      Sie lief im Wohnbereich des Schlosses umher, doch es gab weder eine Kellertreppe, noch eine Leiter, die nach unten in den Boden führte. Eleonora war bereits im Badezimmer, in der Küche und im Wohnsalon gewesen. Die Räume waren alle miteinander verbunden, in jedem Zimmer gab es mehrere Türen, die in weitere Räume führten. Red Side war ein echter Irrgarten, und Eleonora musste sich konzentrieren. Die meisten Räume waren aber nicht bewohnt, sie waren vollgestellt mit Möbeln, über die Leinen gehängt worden waren, sie waren staubig, dunkel oder gar leer. Der Boden knarzte bei jedem Schritt unter den Füßen.

      Jetzt fehlte nur noch das Schlafzimmer. Doch auch hier gab es keine Treppe, die in einen Keller führte. Genervt verdrehte sie die Augen. Eleonora wurde müde, dieses kleine Abenteuer kostete sie viel Kraft, sie fühlte sich unwohl und war unzufrieden, weil sie einfach nicht das fand, wonach sie suchte. Sie nahm sich einen kurzen Moment für sich, um einen klaren Kopf fassen zu können und erlaubte sich, sich kurz auf das alte Himmelbett von Elisabeth Greenwood zu setzen. Die unheimliche Stille wurde durch einen plötzlichen Knall durchbrochen. Erschrocken zuckte Eleonora zusammen. Es war ein dumpfes Geräusch, als hätte jemand eine Türe zugeschlagen. Es war nicht von draußen, es war nicht weit fort, kam aus dem Wohnsalon. Eleonora sprang auf. Elisabeth Greenwood musste zurück sein. Vorsichtig steckte Eleonora ihren Kopf durch die Tür. Niemand war zu sehen. Der ganze Wohnsalon war ruhig. Erleichtert atmete Eleonora auf. Das Geräusch war wohl doch von draußen gekommen. Sie setzte sich erneut auf das alte, schwere Bett und ließ den Kopf in die Hände sinken. Sie hatte nicht das gefunden, was sie gesucht hatte.

      Womöglich hatte Frank Harris Recht gehabt. Es hatte weder einen Einbruch noch einen Ausbruch auf Red Side gegeben und die alte Greenwood war einfach nur eine Verrückte, die sich vermutlich mehr einbildete und ausdachte, als sie tatsächlich noch raffte.

      Sie lehnte sich zurück auf das alte, muffige Kissen. Doch sie fuhr sofort erschrocken hoch, denn etwas drückte sie in den Nacken. Vorsichtig hob Eleonora das schwere Kissen in die Höhe. Im Schatten des Hirschkopfes über dem Bett lag ein kleiner Gegenstand. Verwirrt musterte Eleonora ihren Fund. Was lag da unter dem Kopfkissen? Es war ein Schlüssel. Ein rostiger, verzierter Schlüssel mit Schnörkel. Eleonora hob ihn auf und ließ ihn durch ihre kalten Finger gleiten. Er war groß, schwer. Es war keineswegs ein Schlüssel für einen Schrank oder eine Truhe. Mit diesem Schlüssel sollte eine Türe oder ein Tor geöffnet werden, ein Verließ oder ein Gitter. Und was auch immer man mit diesem Schlüssel aufschließen konnte, Misses Greenwood wollte nicht, dass es jemals so weit kommt. Denn er war gewiss nicht ohne Grund unter ihrem Schlafkissen versteckt.

      Ein leises Knarzen ertönte auf einmal. Ein Keuchen. „Was hast du denn hier zu suchen?“, krächzte plötzlich eine Stimme, laut und nah.

      Eleonora fuhr erschrocken zusammen, drehte sich augenblicklich um. Und da stand sie, am Fußende des Bettes, als hätte die Teufelshand sie gemalt: Elisabeth Greenwood. Im dämmerigen Licht blitzte ihr Glasauge unheimlich aus dem grauen, faden Gesicht, die Warze prankte auf der Wange, ihre trockenen Lippen zu einem schmalen Strich des puren Zorns gezogen. Das Kopftuch schütze ihre grauen, feinen Haare, die wie die Weben einer Spinne an ihrem Kopf umherflogen, die Kleider zerfetzt, alt und muffig. Eleonora schluckte, wich ängstlich zurück und erhob sich erstarrt von dem Bett.

      „Misses Greenwood, Sie haben mich erschreckt“, flüsterte sie, der Atem stockte.

      Die Alte tat wortlos ein paar zitternde Schritte auf sie zu, kam immer näher, langsam, grummelnd.

      Mit ihren weißlichen Augen hatte sie Eleonora fixiert wie eine Schlange eine kleine, zitternde Maus, die sie gleich mit einem Bissen töten und verschlingen würde. Eleonora griff instinktiv in ihre Manteltasche, fühlte nach dem Küchenmesser. Sie spürte es in der Brusttasche und ihre Finger umgriffen es so fest, dass ihre Knöchel weiß