Herbstverwesung. Stefanie Randak

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Название Herbstverwesung
Автор произведения Stefanie Randak
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962298531



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bevor sie nachfragen konnte, kam ihre Chefin Dakota Jones um die Ecke. Selbstsicher und makellos gekleidet, ihre braunen Haare streng nach hinten geknotet. Doch als ihr Blick auf ihren neuen Hausgast fiel, verlor sie jegliche Fassung.

      Der nächste Morgen brachte bunte Herbstblätter mit sich, dunkle Wolken und jede Menge Regen. Als Eleonora aus ihrem Schlaf erwachte, war Lorenzo schon längst in der Arbeit. Er hatte eine leitende Stelle in einem Bauunternehmen angenommen. Dies war auch der Grund, weshalb die beiden Italiener aus Venedig umgezogen waren. Zumindest dachte das Eleonora.

      Sie lag alleine in dem verlassenen Ehebett, alleine in der großen Wohnung. Was sollten sie nur mit all den Zimmern anstellen? Ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer. Selbst wenn sich das junge Paar ein Büro einrichten würde, es wäre immer noch ein Zimmer frei. Ein Kinderzimmer, hatte Lorenzo mal gesagt. Eleonora verzog das Gesicht. Dafür war es noch zu früh. Für sie würde es wahrscheinlich noch in zehn Jahren zu früh dafür sein. Sie lag im Bett und drehte sich hin und her, geplagt von allerlei Gedanken. So eine große Wohnung, für so wenig Geld. Wo war der Haken? Hoffentlich hatte Lorenzo keinen Fehler gemacht.

      Eleonora selbst hatte den Makler nie kennen gelernt. Natürlich, der Holzboden war alt und rissig, knarzte beim Überqueren. Von den Wänden bröckelte die einst grün aufgestrichene Farbe und die Decke wies einige Risse auf, in denen sich Insekten versteckten. Doch es musste schon mehr fehlen, um eine solch große Wohnung so billig zu verkaufen. Sie bewohnten das dritte, und somit das oberste Stockwerk. Wahrscheinlich war das Dach undicht. Egal was es war, es würde sich noch als eine unangenehme Überraschung entpuppen. Da war sich Eleonora sicher. Sie stand auf, ging ins Wohnzimmer an den Schreibtisch und klappte im Morgenmantel ihren Laptop auf. Sie vermisste ihre Arbeit. Das Schreiben hatte sie schon immer gern gemocht. Und wenn sie nun auch keine Artikel zu verfassen hatte, warum nicht mal aus Spaß eine Geschichte schreiben?

      Doch hier drin, alleine in der großen, kühlen Wohnung war Eleonoras Vorrat an Fantasie und Ideen genauso wie die halbe Wohnung: völlig leer.

      Es war bereits Mittag, als die junge Italienerin die Wohnung verließ. Draußen war es, als würde der Himmel die Erde in Regen ertränken wollen. Eleonora hatte in den vielen Kartons keinen Regenschirm finden können. Sie hätten die Wände der Kartons über deren Inhalt doch beschriften sollen.

      Eigentlich hatte sie sich ihren ersten Spaziergang durch die neue Heimat etwas anders vorgestellt. Zum Beispiel zusammen mit Lorenzo, Hand in Hand in der goldenen Herbstsonne. Aber es blieb keine Zeit um sich umzusehen.

      Das Regenwasser drang durch ihre Kleider und auch ihre Schuhe waren schon nach wenigen Metern innen nass geworden. Erleichtert atmete Eleonora auf, als sie einige Straßen weiter das kleine gemütliche Cafe Fresh fand, in dessen Schaufenster bunte Cupcakes und andere Leckereien gestapelt waren. Ein großes Schild an der Eingangstüre leuchtete mit der Aufschrift „Open“. Mit eiskalten Händen und durchnässten Stiefeln trat sie ein. Ein betörender Duft von Kaffeebohnen und Backwaren nahm ihr die Entscheidung ab, sich zu setzen, etwas zu trinken und sich aufzuwärmen. Sie setzte sich an einen Tisch im Eck auf die Bank und klappte den Laptop auf.

      Neugierig betrachtete Eleonora das Cafe und seine Kundschaft. Zwei junge Frauen saßen an einem langen Tisch und rollten Pasta auf ihre Gabeln. Im Eingangsbereich saß ein Mann mit Glatze und trank ein Bier. Und direkt am Tisch neben Eleonora saß eine alte Dame mit Kopftuch. Neben ihr stand ein Kinderwagen. Wie schön, dachte sie. Bestimmt eine Oma mit Enkelkind, die sich einen schönen Nachmittag machten.

      Der Kellner brachte ihr den blauen Cupcake und den Kaffee.

      „Dankeschön, Lucas“, Eleonora hatte den Namen des Kellners auf seinem Namenschild erspäht und griff sofort nach ihrem Kaffee, als er ihn am Tisch abstellen wollte.

      „Die mit der blauen Glasur schmecken am besten“, zwinkerte da die alte Dame zu ihr herüber und deutete auf ihren Teller.

      „Sie kennen sich wohl gut aus?“, lächelte Eleonora und rutschte ein Stück näher zu ihrem Tisch, um sich besser mit ihr verständigen zu können.

      „Oh ja, ich komme jeden Tag zur selben Zeit hier her“, nickte sie. „Meine Enkelin ist ganz verrückt nach den Kuchen und all dem süßen Zeug.“ Sie streckte die Hand aus und bewegte den Kinderwagen sanft nach vorne und zurück.

      „Da ist ihre Enkelin nicht die einzige“, lachte Eleonora und biss großzügig von dem klebrigen Cupcake ab. Eine dickflüssige, rote Beerenfüllung quoll heraus.

      „Ich habe sie hier noch nie gesehen“, die Dame musterte sie von oben bis unten.

      „Ich bin heute zum ersten Mal hier. Ich möchte eine Geschichte schreiben, doch zu Hause haben mir die Ideen gefehlt.“

      „Schreiben Sie über London!“, rief die Alte begeistert. „In London gibt es so viel zu entdecken. So viele Menschen und so viele wunderbare Orte. Da fällt ihnen bestimmt etwas ein.“ London. Keine schlechte Idee.

      „Oh, es ist schon so spät. Ich muss nun wirklich los, ich möchte zu Hause noch mit meiner Enkelin spielen, bevor sie ihren Mittagsschlaf hält“ Sie stand vorsichtig auf und zupfte ihr Kopftuch zurecht.

      Eleonora stand ebenso auf und reichte ihr die Hand. „Danke für die schöne Idee. Auf Wiedersehen, Misses…“

      „Greenwood“, beendete sie den Satz und zeigte mit einem Lächeln ihre goldenen Zähne.

      „Und auf Wiedersehen, Kleines“, lächelte Eleonora und beugte sich über den Kinderwagen.

      Verwundert sah sie auf und musste ein zweites Mal hinsehen. Was…? In dem Kinderwagen, welchen Misses Greenwood so sanft schaukelte, lag keineswegs ihre Enkelin. Es lag überhaupt kein Kind darin. Dort, eingebettet auf Lammfell, liebevoll angekleidet und gerade noch mit Kuchen gefüttert, lag eine Puppe. Eine Porzellanpuppe. Ihre grünen Augen sahen starr an das Dach des Kinderwagens. Beängstigend. Eleonora sah entsetzt in Misses Greenwoods Gesicht.

      „Ist sie nicht wunderschön?“, flüsterte sie.

      In ihrer Verwunderung konnte Eleonora nur nicken.

      Doch als Misses Greenwood das kleine Cafe verließ, musste Eleonora ein wenig grinsen. London wäre bestimmt ein gutes Thema für ihr Buch gewesen, doch nun hatte sie wohl eine bessere Idee.

      2

      Dieser Herbst war grau und düster. Die Wolkendecke bildete eine nicht mehr aufreißende Mauer, die die Sonne unerbittlich verschluckte. Die Bäume des Gloomy Forests wirkten schon beinahe schwarz und der dichte Nebel konnte einem den Orientierungssinn rauben. Was sich da alles in jener Nacht zwischen den Dornensträuchern umhertrieb, wusste niemand so genau. Und es gab ein Gewitter, während der Vollmond zwischen den grauen Wolken silberne Schatten auf die Erde warf. In dem kleinen Schloss Red Side, wo Misses Greenwood unter einem Hirschkopf in einem alten Himmelbett ihren Schlaf hielt, drangen seltsame Geräusche durch die Schlossmauern und es war, als kämen diese nicht von einem Menschen.

      Es herrschte eine unglaubliche Kälte in dem Moment, als der Biltz einschlug. Es war derselbe Moment in dem sich die Wurzeln einer uralten, morschen Fichte aus der Erde lösten und sie von der Schwerkraft durch ein Fenster direkt in Misses Greenwoods Wohnsalon gezogen wurde. Und am Boden lagen Scherben, jedoch nicht nur von dem zersplitterten Fenster, sondern auch von einer Vitrine, die von der Fichte umgestoßen worden war.

      Der Donner drang laut vom Himmel herab, die Blitze zuckten über ganz London. Der kühle Nachtwind brauste unaufhaltsam in den Wohnsalon, verwüstete alles, was nicht befestigt war. Am Morgen danach sollte Misses Greenwood nicht nur einen völlig zerstörten Wohnsalon vorfinden, sondern auch eine kleine weiße Hand, die unter der Glasvitrine hervorschaute.

      Unwissend, von dem was in der letzten Nacht in London geschehen war, packte die schöne Eleonora am nächsten Morgen ihren Laptop in eine Handtasche, zog sich Gummistiefel an, schnappte sich einen Regenschirm und verließ die Wohnung. Lorenzo war schon früh am Morgen zur Arbeit gegangen, was Eleonora furchtbar aufregte. Sie wollte nicht zu so einem traditionellen Pärchen werden, in dem der Mann morgens zur Arbeit abhaut und erst spät abends wieder nach Hause kommt. Und in dem sie als Frau