Herbstverwesung. Stefanie Randak

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Название Herbstverwesung
Автор произведения Stefanie Randak
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962298531



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aber die Eingangstüre zum Wohnbereich der mysteriösen Misses Greenwood finden, um einige Worte mit ihr austauschen zu können und ihr ein paar Fragen zu stellen. Denn erst wenn sie Misses Greenwood besser kannte und ihr Leben verstand, würde sie über sie schreiben können. Hoffentlich nahm sich die alte Dame ein paar Minuten für ein Interview Zeit. Eleonora marschierte rüber zur nächsten Türe.

      Vor ihr erstreckte sich ein langer, enger Gang mit einem Teppich, der einst rot war, doch jetzt mehr braun mit undefinierbaren Flecken. Hier herrschte ein säuerlicher Geruch, Eleonora verzog das Gesicht und folgte dem Gang.

      Von der Decke hingen Spinnweben und an den Wänden krabbelten Käfer und saßen große dicke Spinnen. Eigentlich fürchtete Eleonora diese, doch hier, auf Red Side, waren sie vermutlich das geringere Übel und lösten lediglich ein leichtes Ekelgefühl aus. Der Gang war kalt, dunkel und schien unendlich lang. Endlich erreichte sie eine Art Eingangsbereich. Hier waren einige Nägel in die Wand geschlagen worden, an denen nun Mäntel von Misses Greenwood hingen. Dazu standen Stiefeletten am Boden. Alles braune oder schwarze Damenstiefel. Doch was war das?

      Eleonora bückte sich vorsichtig und hob mit frierenden Händen ein Paar Schuhe auf. Glänzende Schuhe, viel größer als die anderen. Sie holte ihr Handy heraus und leuchtete mit dem Display die Schuhsohle ab. Größe 42. Männerschuhe! Und die Sohle war nass. Das bedeutete, sie wurden kürzlich noch getragen. Vielleicht gab es doch einen verbliebenen Sohn, der hier auf Red Side lebte? Ja, so musste es sein. Da war sich Eleonora ganz sicher.

      Sie legte die Schuhe zurück und tappte weiter durch den finsteren Gang. So lange, bis sie einen Wohnbereich erlangte. Der rötliche Teppich schmückte auch hier den Boden und hielt vermutlich einen geringen Teil der Kälte des Bodens zurück.

      „Misses Greenwood?“, rief Eleonora zaghaft. „Misses Greenwood, sind Sie zu Hause?“ In diesem Raum gab es tatsächlich ein Echo. Der Saal war groß, spärlich eingerichtet, die Decke reichte sehr weit nach oben. Niemand antwortete und Eleonora traute sich nicht, den Raum zu betreten. Sie spähte vorsichtig hinein und konnte das kaputte Fenster sehen, über welches in dem Zeitungsartikel berichtet wurde. Die Polizei hatte von außen ein gelbes Absperrband drüber geklebt und das große Loch mit einer dicken Plastikfolie notdürftig verschlossen.

      „Es war um Punkt Mitternacht, Officer“, hörte sie da eine Stimme. Sie kam von nicht weit her. Misses Greenwood.

      „Diese Informationen haben wir bereits, Misses Greenwood. Jetzt möchten wir mit Ihnen über den verschwundenen Schmuck sprechen“, entgegnete da eine Männerstimme. Ein Polizist musste bei ihr sein. Die beiden befanden sich im Schlafgemach, welches mit einer Türe zum Wohnsalon verbunden war.

      „Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt hatte, fehlt mein Juwelenring, Officer!“,hörte Eleonora die alte Frau jammern. „Mein schöner Saphir!“

      „Laut der Spurensicherung sind keine Handabdrücke an ihrem Fenster, Misses Greenwood. In dem gesamten Wohnsalon konnten keine fremden Spuren sichergestellt werden“, entgegnete der Polizist.

      „Sie meinen also, es ist niemand eingebrochen?“, die Stimme der alten Dame war hörbar aufgewühlt.

      „Hören Sie, Officer! Ich bin doch nicht verrückt! Der Ring lag in meiner Vitrine, neben meiner Enkelin! Und heute Morgen war er nicht mehr da. Es muss ihn jemand gestohlen haben!“, schimpfte sie laut.

      Die Vermutung von dem Mann im Cafe sollte also wahr sein.

      „Misses Greenwood, beruhigen Sie sich doch. Niemand hier glaubt, dass sie verrückt sind. Es ist durchaus möglich, dass die Fichte das Fenster zerstört hat und dann jemand durch das bereits offene Fenster eingedrungen ist und ihren Juwelenring entwendet hat. Ich nehme das mit aufs Protokoll. Wir überprüfen den Fall in den nächsten Tagen. Und Sie ruhen sich nun schön aus, Misses Greenwood“, hörte Eleonora ihn sprechen. Dann wurde die Türklinke heruntergedrückt und der Polizist verließ das Schlafgemach durch den Wohnsalon. Und stieß mit Eleonora zusammen.

      „Ich … Ich habe keine Klingel gefunden“, stotterte sie. „Ich möchte zu Misses Greenwood. Ist sie da?“, fragte Eleonora, als wäre sie gerade erst hereingekommen.

      „Sie ist in ihrem Schlafzimmer“, nickte der Polizist und schien sich nicht weiter um sie zu kümmern.

      Dann verschwand er pfeifend in dem dunklen Gang.

      Eleonora betrat endlich den Wohnsalon. „Misses Greenwood?“, rief sie erneut.

      „Wer ist da?“, krächzte sie.

      „Ich bin Eleonora Bianchi, wir sind uns gestern im Cafe Fresh begegnet“, antwortete Elenora laut.

      Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Und da stand sie. Elisabeth Greenwood. Eingehüllt in ein altes Samtkleid, welches seine Blütezeit bestimmt schon im letzten Jahrhundert gehabt hatte. Ein Kopftuch bis zu den Augenbrauen gezogen. Sie drehte sich zu Eleonora und sofort fiel ihr Blick auf die starre Porzellanpuppe in ihren Armen. Das Schlafzimmer war dunkel und die weiße Haut der Puppe schien schon fast zu leuchten. Der Anblick schockte Eleonora.

      „Oh, ich erinnere mich an Sie“, grinste sie auf eine unheimliche Art und zeigte ihre vergoldeten Zähne. Langsam tat sie ein paar Schritte auf Eleonora zu. Ihr Gesicht kam dem von Eleonora beängstigend näher. Ihre Gesichtshaut war faltig, dünn wie Pergament. An ihrer Wange prangte eine dicke Warze und ihre hellen Augen schienen wässrig. „Aber was zur Hölle haben Sie in meinem Haus verloren, Kindchen?“, rief sie.

      Eleonora wich erschrocken zurück.

      „Nun, ich habe keine Klingel gefunden… Und die Tür war offen. Sie sollten einen Riegel anbringen“, meinte Eleonora um sie abzulenken.

      „Das beantwortet nicht meine Frage!“, rief sie aufgewühlt.

      Eleonora schluckte. Ihre Hände waren verschwitzt und sie fühlte sich unwohl. Wieso musste sie auch in dieses Schloss eindringen? Sie wurde sauer auf sich selbst. Es war nicht klug gewesen, alleine in einer neuen Stadt in ein angebliches Spukschloss zu laufen, um einer verrückten alten Lady ein paar Fragen zu stellen.

      Wie nur konnte Eleonora sie besänftigen? Sie versuchte es mit der Wahrheit und beschloss, diese ein wenig auszuschmücken.

      „Nun, um ehrlich zu sein… Wollte ich Sie und ihre Puppe ein wenig kennen lernen. Als Sie sie mir gestern vorgestellt haben, da war ich so hin und weg von ihrer Schönheit. Ich wollte Sie besuchen, und eventuell mein Buch über Sie und ihre Puppe schreiben, wenn das in Ordnung wäre…Ich habe ihnen auch einen Kaffee mitgebracht“, fügte sie hinzu und war erleichtert, dass sich die spröden Lippen von Misses Greenwood zu einem leichten Lächeln formten. Die Puppe war wohl immer ein gutes Thema für sie.

      „Ist sie nicht wundervoll?“, lachte sie und strich ihrer Enkelin über die Pausbäckchen.

      „Sie ist eine wahre bellezza, eine wahre Schönheit“, entgegnete ihr Eleonora gespielt interessiert.

      „Aber sie ist keine Puppe“, meinte die Alte plötzlich und ihr Blick verfinsterte sich.

      „Sie ist Ihre Enkelin, ich weiß“, lachte Eleonora und konnte den ironischen Tonfall nicht unterdrücken.

      „Sie denken ich bin verrückt!“, rief Misses Greenwood darauf hin. „Sie lebt! Sie versteht jedes Wort was ich ihr erzähle, sie hört mir zu und manchmal, da antwortet sie mir!“

      „Die Puppe antwortet Ihnen?“, fragte Eleonora ungläubig. Die alte Frau erzählte das mit einer solchen Überzeugung, dass man es ihr fast abnehmen konnte. Eleonora lief ein Schauer über den Rücken. Sie wollte nach Hause.

      „Natürlich antwortet sie mir. Auch wenn sie es nicht mit Worten tut, kann ich mit ihr kommunizieren“, sie schaukelte die Puppe im Arm und sah ihr tief in die Augen, lächelte sie an.

      „Hat sie einen Namen?“, forschte Eleonora weiter. Allmählich bekam sie die Informationen zu hören, die sie für ihr Buch brauchte.

      „Oh, sie haben alle sieben einen Namen“, antwortete die alte Dame, die Augen nicht ablassend von dem Gesicht des Püppchens.

      Sieben?