Herbstverwesung. Stefanie Randak

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Название Herbstverwesung
Автор произведения Stefanie Randak
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962298531



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hatten schon lange keinen Besuch mehr hier auf Red Side“, meinte er, als der Gongschlag der Glocke vollständig verstummt war.

      „Ich habe Misses Greenwood vor einigen Wochen kennen gelernt“, schnaufte Eleonora, brannte darauf, ihm unendlich viele Fragen zu stellen und so schoss es ihr zeitgleich mit dem Mann aus dem Mund: „Wer sind Sie?“ Der Mann schmunzelte. Sein Gesicht wirkte freundlich, braunes Haar, einen Dreitagebart.

      „Richard Walker, der Sohn von Elisabeth Greenwood“, er tat ein paar Schritte auf die verdutzte Eleonora zu und reichte ihr höflich die Hand. Der Sohn? Eleonora konnte es nicht fassen. „Ich bin Eleonora Bianchi und ich habe unglaublich viele Fragen an Sie, Mister Walker“, antwortete sie und lehnte sich an die Mauer. Sie war immer noch völlig erschöpft.

      „Nenn mich Richard, Eleonora. Und natürlich, du darfst mir gerne ein paar Fragen stellen. Das würden vermutlich gerne mehrere Leute tun“, zwinkerte er. „Doch vielleicht tun wir das irgendwo, wo es nicht ganz so ungemütlich ist.“

      5

      Dieses Mal gab es im Cafe Fresh keine Cupcakes für Eleonora, sondern einen Teller mit Sandwiches und Pommes. Sie hatte unglaublichen Hunger, dieser Tag war schon viel zu lang, viel zu verrückt und viel zu anstrengend. Am Morgen hätte sie nie gedacht, dass sie am Nachmittag noch mit Richard Walker, dem Sohn von Misses Greenwood, der alten Red Side Hexe, ein paar Pommes im Cafe Fresh futtern würde. London steckte eben voller Überraschungen.

      „Darf ich jetzt mit meinem Verhör beginnen?“, lachte Eleonora. Am liebsten hätte sie einen Notizblock herausgeholt und alles festgehalten und zusätzlich noch mit einem Diktiergerät aufgenommen. Die beiden hatten sich einen schönen Zweiertisch am Fenster gesucht.

      „Du darfst. Aber für jede Frage die du mir stellst, darf ich auch etwas fragen“, meinte Richard und klaute sich Pommes von Eleonoras Teller. Er selbst hatte sich nur einen Kaffee bestellt.

      „Das klingt fair“, Eleonora nickte und steckte sich ebenso Pommes in den Mund. „Also, meine erste Frage ist, wohnst du auf Red Side?“

      „Nein.“ Er schüttelte den Kopf und schluckte seine Pommes runter. „Ich wohne schon seit vielen Jahren mit meiner Frau und meinen zwei Kindern und meinen zwei Katzen in einem schönen Apartment hier in London.“ Er lächelte, als er von seiner Familie erzählte.

      Das war eine sehr mustergültige Antwort, fand Eleonora. Elisabeth Greenwood lebte wohl tatsächlich ganz alleine in ihrem riesigen Schloss. Naja, ganz alleine ist sie ja nicht, dachte Eleonora. Immerhin hat sie ja stets ihre Puppen bei sich.

      „Ich bin dran“, grinste Richard sofort und wackelte mit den Augenbrauen. Auch er schien neugierig zu sein und hatte wohl schon einige Fragen parat, die er Eleonora stellen wollte. „Wieso warst du bei Mutter im Schloss? Du weißt hoffentlich, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat?“, er verdrehte theatralisch die Augen. „Auf Red Side gibt es eigentlich nie Besucher.“

      „Weiß ich“, kicherte Eleonora. „Aber ich habe von dem Einbruch erfahren. Und dass ein Ring geklaut wurde. Das hat mich neugierig gemacht“, erklärte Eleonora.

      Richard nickte stumm. Passte es ihm nicht, dass Eleonora von dem Juwelenring wusste? Vorsichtig fuhr Eleonora fort: „Ich habe vor kurzem den Detective Frank Harris kennen gelernt… Es scheint mir, als ob er deine Mutter als verrückt abgestempelt hat und jetzt nichts mehr unternehmen will. Das finde ich nicht fair. Also bin ich selbst zum Schloss… Ich wollte einfach noch ein paar Dinge überprüfen, verstehst du?“ Eleonora hoffte, nicht zu aufdringlich zu klingen. Unsicher lächelte sie und malte mit einem Pommes Linien durchs Ketchup auf ihrem Teller.

      Richard schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben. Entspannt zupfte er sein dunkelblaues Hemd zurecht. „Der Einbruch hat uns alle schockiert. Schon komisch, dass der Detective nichts weiter unternimmt. Der Ring ist schon seit mehreren Generationen in Familienbesitz… Ich hoffe sehr, dass er wieder auftaucht…“

      „Das kann ich gut verstehen. Dieser Frank Harris kam mir sowieso schon die ganze Zeit komisch vor“, lachte Eleonora und zuckte die Schultern. Doch sie wollte nicht vom Wesentlichen abkommen, sie hatte noch so viele Fragen an diesen Richard Walker.

      „Und wo leben deine Brüder? Und wie viele sind es?“, bohrte sie deshalb weiter. Gespannt legte sie ihr Sandwich auf den Teller. Sie brannte auf die Antwort. Ob die Gerüchte der sieben Söhne auf Red Side stimmten?

      „Ich habe sechs Brüder. Ich bin der Älteste. Und sie sind alle ausgezogen von zu Hause. Manche leben in London, manche sind weiter weggezogen. Momentan ist mein Bruder Moby in der Gegend, er möchte Mama besuchen. Ich komme gelegentlich vorbei. Aber meine Besuche verringern sich. Es ist nicht schön, zu sehen, wie es mit Mutter bergab geht.“ An den Gerüchten schien also doch etwas Wahres dran zu sein. Es gab tatsächlich sieben Söhne, die Misses Greenwood hatte. Und Richard war der Älteste. Doch man erzählte sich, dass die anderen sechs Söhne in einem Gefängnis auf Red Side versteckt gehalten werden. Eleonora rümpfte die Nase. Diese Schauergeschichten waren doch bestimmt nur erfunden worden, um Elisabeth Greenwood zu verspotten. Eleonora beschloss, Richards Erzählungen zu glauben.

      „Heute war ich nur kurz da, um mich zu vergewissern, dass sonst nichts von Red Side gestohlen wurde. Dass der Saphir Ring weg ist, ist schon ein Jammer. Das Ding ist so viel wert wie mein ganzes Apartment“, fuhr Richard fort und verzog den Mund. „Jetzt habe ich noch eine letzte Frage an dich, liebe Eleonora. Was schleppst du da mit dir rum?“ Er deutete auf die Schatulle. Die Schatulle, die mit Muscheln besetzt war und in der die grausige Mirabell lag. Eleonora schämte sich plötzlich sehr und hatte Angst, Richard die Wahrheit zu sagen. Ob sie lieber eine kleine Notlüge erfinden sollte, damit er sie nicht für gestört hielt? Eleonora holte tief Luft. Sie würde ihm die Wahrheit sagen. Immerhin war er auch ehrlich zu ihr und gab ihr alle Antworten, die sie wissen wollte. Richard war ein sympathischer Mann, der vertrauenswürdig zu sein schien.

      „Deine Mama sammelt Puppen“, begann sie.

      „Das weiß ich…“, Richard verzog das Gesicht. Er schien im Gegensatz zu seiner Mutter keine Leidenschaft für die Porzellanpuppen zu hegen.

      „Wie viele hat sie denn mittlerweile?“, fragte Richard besorgt. Er schien die Sammlung seiner Mutter offensichtlich gar nicht zu unterstützen.

      „Sieben. Eine hat sie immer mit dabei. Die, mit der blauen Schleife im Haar. Sie heißt Isabell. Sie sagt, es sei ihre Enkelin.“

      „Ich weiß. Die hat sie schon sehr lange. Aber früher waren es nur zwei. Isabell und Mirabell.“

      „Die Wahrheit ist… In der Schatulle da liegt Mirabell. Deine Mutter hat sie mir gegeben.“ Eleonora griff nach der Schatulle und legte sie auf den Tisch. Vorsichtig schob sie ihren Teller zur Seite, hob den Deckel der Schatulle. Vorsichtig warf Richard einen Blick hinein.

      „Igitt! Die hat ja der Teufel geholt“, lachte er. Doch dann verfinsterte sich sein Gesicht. „Diese Puppen haben meine Mutter wahnsinnig gemacht. Ich möchte ehrlich zu dir sein, Eleonora… Ich habe manchmal das Gefühl, dass mit denen irgendwas nicht stimmt. Gruselig, oder?“, sein Ton klang besorgniserregend. Sein Blick schien sich nicht mehr von dem kleinen Mädchen lösen zu können. Ihr Blick war starr nach oben gerichtet. Ihr Lächeln eingefroren, die Haut kalt wie Eis. Die leere Augenhöhle schien unendlich tief ins Innere ihres Kopfes zu gehen. „Ich weiß genau, was du meinst. Deine Mama sagt, sie werden nachts lebendig.“ Eleonora schluckte.

      „Na, dann würde ich die hier ganz schnell in den nächsten Müllcontainer schmeißen“, witzelte Richard und Eleonora musste mitlachen. Sie mochte Richards ironische, direkte Art und sie mochte es, dass er so offen und ehrlich mit ihr sprach. Eleonora legte vorsichtig den Deckel auf Mirabells Schatulle und ließ sie unter dem Esstisch verschwinden.

      Richard nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee und sah auf seine protzige Armbanduhr. „So spät ist es schon? Liebste Eleonora, ich muss jetzt leider zu meiner Frau und zu meinen Kindern. Heute wollen wir nämlich einen Filmeabend machen und ich muss noch die Chips besorgen“, er stand auf und klaute sich noch ein Pommes vom Teller.

      „Kein