Leben ohne Maske. Knut Wagner

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Название Leben ohne Maske
Автор произведения Knut Wagner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957163080



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Instituts zu sorgen. Auch Wolfgang und Mike fanden es ungemein ätzend, nur gefragt zu sein, wenn Bröml seinen großen Auftritt als Stadthauptmann hatte und der rustikal zurechtgezimmerte Königsstuhl zur rechten Zeit auf die Bühne getragen werden musste.

      Alle hatten es irgendwie satt, dass sie Abende lang auf den Proben herumsaßen, wo es für sie so gut wie nichts zu tun gab. Sie fanden es unbefriedigend, bei den Proben mucksmäuschenstill zuhören zu müssen, wie Doris oder Bröml ihre großen Monologe abließen. Denn Kuhnerts Augenmerk galt in dieser Phase nur den Hauptdarstellern und den Monologen, an denen herumgefeilt wurde, bis dem Regisseur die Puste ausging und die Darsteller total kaputt gespielt waren.

      Nach einer der abendlangen Proben fassten sich Edda, Biene, Wolfgang und Mike ein Herz und teilten Kuhnert unverhohlen mit, dass die gegenwärtige Situation sie anstinken würde.

      Kuhnert war kurzzeitig irritiert, dann begriff er, dass sie sich unterfordert und nicht-gebraucht fühlten, und er sagte: „Gut, dann macht ihr eben bis zu den Endproben der ‚Lederköpfe‘ Programmarbeit.“ Programmarbeit könne nicht schaden. Dabei könne man nur lernen, sagte er und fragte provokant: „Habt ihr schon eine Idee?“

      „Wie wäre es mit einem Heine-Abend?“, konterte Edda geschickt.

      Kuhnert ging auf den Vorschlag ein und innerhalb von sechs Wochen stampften sie einen Heine-Abend aus dem Boden.

      „Was mir vorschwebt, ist ein ausgeflippter Salonlöwe Heinrich Heine, der sich im Salon der Rahel Varnhagen auf Kosten seines Freundes Adalbert von Chamisso über die Romantik lustig macht, scharfzüngig über das Spießertum herfällt und sich abfällig über unglückliche Lieben äußert“, erklärte Edda, als sie Wolfgang, Biene und Mike in ihr Vorhaben einweihte. Weder der politische Dichter des „Weberlieds“ noch der melancholische Schwerenöter, der, an Syphilis erkrankt, seine Matratzengruft nicht mehr verlassen könne, wären für sie von Interesse.

      Das Programm könne überall dort aufgeführt werden, wo ein Podest vorhanden sei, auf dem ein Tisch und drei Stühle Platz hätten, sagte Edda, und die Besetzung der Rollen sei für sie klar.

      Biene hatte pechschwarze, lange Haare, die sie zu einem Dutt zusammengebunden hatte, und vom Profil her sah sie etwas jüdisch aus. Biene mache einen vornehmen Eindruck und sei eine belesene Frau, die ihre Kritik in einem leicht ironischen Unterton anbringen könne, sagte Edda. Von daher sei die Rolle der Gastgeberin, die in ihrem Salon Chamisso und Heine empfange, Biene wie auf den Leib geschrieben.

      „Als Rahel Varnhagen hast du die Aufgabe, den Gästen ab und an Rotwein einzuschenken und das Publikum darüber zu informieren, was es über die Freundschaft zwischen Chamisso und Heine wissen muss“, sagte Edda zu Biene. „Viel Text kommt da nicht auf dich zu. Aber du bist es, die die Geschicke des Abends lenkt, und du bist es, die vermittelnd eingreift, wenn Heine und Chamisso hart aneinander geraten.“

      Michael Mutzke, genannt Mike, war etwas kleinwüchsig. Sein wohl gescheiteltes Haar, das streng nach hinten gekämmt war, glänzte pomadig. Er wirkte äußerst naiv und hatte ein bleiches, rundes Kindergesicht.„Das romantische Schwärmen nimmt man dir ab“, sagte Edda zu ihm. „Deshalb schlage ich vor, dass du den Chamisso spielst und Wolfgang den Heine.“

      Die Rollenverteilung war klar, und der Text bestand aus einer Aneinanderreihung von Zeilen aus Heine-Gedichten, die einen abendfüllenden, aber rasant vorgetragenen Dialog ergaben.

      Für einen gewissen Wein-Nachschub war im Salon der Varnhagen durch Biene gesorgt, und so steigerte sich Wolfgang, von der Studentenkelleratmosphäre und dem Rotwein inspiriert, in die Rolle des Heinrich Heine hinein.

      In seiner Ironie und seinem Spott war Wolfgang nicht zu übertreffen, er spielte den kleinen Mike als Chamisso total an die Wand. „Das Gespräch auf der Paderborner Heide“, das eine ernsthaft gemeinte Abrechnung mit der Literatur der Romantik sein sollte, geriet zur Farce und wurde zu den Glanzpunkten des Abends. Chamissos Schwärmereien wurden durch Heines sarkastische Erwiderungen zunichtegemacht und dem Gelächter preisgegeben.

      Mike: „Hörst du nicht die fernen Töne, / wie von Brummbass und von Geigen?“

      Wolfgang: „Ei, mein Freund, das nenn ich irren, / Von den Geigen hör ich keine, / Nur die Ferklein hör ich quirren, / Grunzen nur hör ich die Schweine.“

      Mike: „Hörst du nicht das Waldhorn blasen? / Jäger sich des Weidwerks freuen? / Fromme Lämmer seh ich grasen, / Schäfer spielen auf Schalmeien.“

      Wolfgang: „Ei, mein Freund, was du vernommen, / Ist kein Waldhorn noch Schalmeie, / Nur den Sauhirt seh ich kommen, / Heimwärts treibt er seine Säue.“

      Den Schlusspunkt unter das Programm aber setzte Wolfgang mit Heines „Wanderratten“. Nur im Licht des grellen Punktscheinwerfers stehend, das Publikum in Dunkel getaucht, deklamierte er: „Es gibt zwei Arten von Ratten. Die hungrigen und die satten. Die einen bleiben vergnügt zu Haus. Die anderen wandern aus.“ Diese Verse, einfach so ins Publikum hineingesprochen, verfehlten ihre Wirkung nicht. Zuerst Schweigen, dann ein unerwartet großer Beifall. Edda, Biene, Wolfgang und Mike freuten sich über den Erfolg.

      Hetzel, der im Clubrat war, tobte. Dass der Schwerpunkt des Abends nicht auf dem politischen Dichter des Weberlieds gelegen habe und „Das Wintermärchen“ mit seinen politischen Botschaften völlig unter den Tisch gefallen sei, könne nicht akzeptiert werden, erklärte er. Heine hätte eine andere Wirkung erfahren müssen. Der große Beifall am Ende der Vorstellung? Der habe nicht viel zu bedeuten. Platt aufs Heute übertragen, hätten die Leute in die „Wanderratten“ hineingeheimnist, was Heine gar nicht beabsichtigt habe, und dass mehr Publikum gekommen wäre als sonst, habe wohl an dem provokanten Titel „Ich hatte einst ein schönes Vaterland“ gelegen, der mehr als irreführend gewesen sei.

      Wolfgang habe eine beeindruckende schauspielerische Leistung hingelegt, sagte Edda. Sie saßen an der Bar des Studentenkellers und Edda griff nach einem großen Humpen Frischbier, der ihr über den Tresen zugeschoben wurde.

       4. Kapitel

      Die Aufführung der „Lederköpfe“ war ein großer Erfolg, und auf der Premierenfeier, die feucht-fröhlich bis in die frühen Morgenstunden andauerte, gab jeder irgendetwas zum Besten. Doris und Bröml sangen bis zum Erbrechen „Wenn die Igel in der Abendstunde“, und Wolfgang erzählte, wie das Arbeitertheater Schwedt zu seiner Goldmedaille gekommen war.

      „Weil das Stück noch nicht fertig geschrieben war, sollten wir nicht für die Arbeiterfestspiele nominiert werden“, erzählte Wolfgang. „Aber da erschien plötzlich Hans-Peter Minetti, den ich als Achtjähriger im Thälmann-Film bewundert hatte, auf einer der Abendproben.“

      Minetti war in der Programmkommission der Arbeiterfestspiele, und er war nach Schwedt gekommen, weil ihn sein Freund Gerhard Winterlich, der Leiter des Arbeitertheaters, darum gebeten hatte. Winterlich kannte Minetti vom Schauspielstudium in Weimar her, und er wollte wissen, ob sein Stück für eine Teilnahme an den Arbeiterfestspielen tauge.

      „Minetti, der Mitglied des ZK der SED war, zeigte sich nach der Probe beeindruckt und versprach, sich dafür einzusetzen, dass wir ins Festprogramm aufgenommen würden“, erzählte Wolfgang. „Minetti sagte, dass er auf der nächsten ZK-Tagung darüber sprechen wolle, wie ökonomische Probleme, die in Wirklichkeit noch nicht gelöst seien, auf der Bühne bereits gelöst würden. Und als Beispiel dafür werde er ‚Menschen in Bewährung‘ anführen. Nach Minettis Rede auf dem 9. Plenum des ZK der SED waren wir aus dem Schatten des Kulturhaussaales ins Licht der Öffentlichkeit getreten, und Minetti sorgte dafür, dass wir für die Arbeiterfestspiele nachnominiert wurden.“

      „Freunde im ZK muss man haben“, sagte Kuhnert, und der Stadträtin für Kultur, die Wolfgangs Rede vergnügt zugehört hatte, kam ein Gedanke. „Was hältst du davon“, sagte sie zu Kuhnert, „wenn wir euch zu den nächsten Arbeiterfestspielen delegieren würden?“

      Kuhnert war begeistert: „Wir müssten nur ein passendes Stück finden.“

      „Das dürfte doch keine große Schwierigkeit sein“, sagte die Stadträtin