A. S. Tory und die verlorene Geschichte. S. Sagenroth

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Название A. S. Tory und die verlorene Geschichte
Автор произведения S. Sagenroth
Жанр Контркультура
Серия A. S. Tory
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783749744053



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Aber du mel­dest dich zurück! Und mach kei­ne krum­men Sa­chen! Ich will nicht, dass dich am Schluss wie­der ein Kom­mis­sar nach Hau­se bringt. Das musst du mir ver­spre­chen!«

      »Na­tür­lich. Mach dir kei­ne Sor­gen! Dan­ke!« Ich fiel mei­ner Mutter um den Hals, was nicht mehr leicht ge­lang, da sie mitt­ler­wei­le ein gu­tes Stück klei­ner war als ich. Sie wehr­te schwach ab, lä­chel­te aber.

      Dann eil­te ich in mein Zim­mer zurück, und konn­te mir ein lau­tes, jauch­zen­des »Jipp« nicht ver­knei­fen. Ich schick­te Chia­ra drei Dau­men­hoch mit Lach­ge­sicht als Nach­richt, wo­rauf­hin sie mit ei­nem Zwin­ker­ge­sicht ant­wort­ete. Ich nahm die LP von Sting vom Plat­ten­tel­ler, fisch­te So­met­hing just li­ke this her­aus und star­te­te laut die Musik. Am Lap­top such­te ich nach ei­nem Flug von Han­no­ver nach Pi­sa. Abends pack­te ich mei­ne Sa­chen. Für Ka­na­da hat­te ich ei­nen neu­en gro­ßen Rei­se­kof­fer be­kom­men. Den al­ten zer­schlis­se­nen Ruck­sack vom letz­ten Jahr nahm ich trotz­dem da­zu, aus rein nos­tal­gi­schen Grün­den.

      Samstag, 29.09.18

      Die zwei Schul­ta­ge ver­gin­gen schnell.

      Am Sams­tag­mor­gen war es so weit. Mei­ne Mutter brach­te mich zu­sam­men mit mei­nem Bru­der Fer­di zum Flug­hafen. Kurz vor der Si­cher­heits­kon­trol­le drück­te sie mich fest.

      »Du machst wirk­lich kei­ne Dumm­hei­ten?«

      Ich schüt­tel­te den Kopf und gab ihr ei­nen Kuss – das mach­te ich sonst nie – und brach­te Ma­ma da­mit ver­mut­lich aus der Fas­sung, knuff­te Fer­di, der die gan­ze Zeit rat­los da­bei­stand, in die Sei­te und ver­sprach ihm: »Ich bring dir ein In­ter-Mai­land-Tri­kot mit, okay?«

      Fer­di nick­te. Dann wink­ten sie, ich pas­sier­te den Kon­troll­be­reich und lief zum Ga­te.

      Die verlorene Geschichte

       Den Jun­gen aus­zu­wäh­len, war ei­ne spon­ta­ne Ent­schei­dung. Der Na­me. Auf­fäl­lig. Und mir so ver­traut. Ei­ne Li­ai­son aus deut­schem Helden­tum und Sa­gen. Sieg­mund … Sieg­fried … Sa­gen­roth …

       Nein, ich woll­te mich lan­ge Zeit nicht er­in­nern, will ich das heu­te?

       Die­se zwei­te Rei­se … Eigent­lich war ich im letz­ten Jahr da­von über­zeugt, dass es ei­ne ein­ma­li­ge Sa­che ge­we­sen war. Wa­rum dann doch? Sen­ti­men­ta­li­tät? Angst, ver­ges­sen zu wer­den? Um die Din­ge end­lich rich­tig­zu­stel­len? Weil es lei­der wie­der ak­tu­ell ist? Weil es wie­der be­ginnt, und ich es nicht er­tra­gen kann, auf mei­ne al­ten Ta­ge zu­zu­se­hen?

      2. Rückkehr

      Nach ei­nem kur­zen Zwi­schen­stopp in Stutt­gart lan­de­te ich zur Mit­tags­zeit in Pi­sa. Am Himmel tum­mel­ten sich ein paar Schäf­chen­wol­ken. Mil­de Luft emp­fing mich.

      Ich muss­te nicht lan­ge su­chen. Chia­ras Rot­schopf war in der Men­ge der War­ten­den leicht zu er­ken­nen. Ihr Look war un­ver­än­dert. Schwar­ze Car­go­ho­se, ein T-Shirt mit fre­chem Spruch, I fre­ak my­self out, da­rüber ei­ne Leder­ja­cke, das fun­keln­de Na­sen­pier­cing, die grü­nen, leuch­ten­den Augen, die lus­ti­gen Som­mer­spros­sen und beim er­sten Grin­sen ih­re un­ver­kenn­ba­re Zahn­lü­cke.

      Wir skyp­ten re­gel­mä­ßig. Un­ser letz­tes Tref­fen lag aber ein Drei­vier­tel­jahr zurück. Ich ver­ges­se nicht die neu­gie­ri­gen Bli­cke und Kom­men­ta­re mei­ner Klas­sen­ka­me­ra­den, als sie am Schul­tor stand und mich ab­hol­te. Mar­lon pfiff kurz durch die Zäh­ne, Fe­lix und Tom zo­gen Gri­mas­sen und feix­ten: »Aha, Sid hat ’ne heim­li­che Freun­din!« und der dümm­ste Spruch kam von Gre­gor. »Der klei­ne Sieg­mund wird von sei­ner Ma­mi aus dem Kin­der­gar­ten ab­ge­holt.« Wor­te, für die ich nor­mal­er­wei­se ei­ne Prü­ge­lei ris­kiert hät­te. Ich schaff­te es nur knapp, mich zu­sam­men­zu­rei­ßen.

      Es war ei­ne Mi­schung aus »Oh Gott, ist das pein­lich!« und »Sie ist echt cool, oder?«, die mir durch den Kopf ging.

      Die meis­te Zeit ver­such­te ich, es zu ver­drän­gen. Aber … von An­fang an ge­fiel mir Chia­ra. Das Sel­fie von uns bei­den aus Ita­li­en hat­te sie mir ge­schickt und ich schau­te es mir oft an.

      Im Ja­nu­ar zeig­te ich Chia­ra Han­no­ver, wir waren im Ki­no, zock­ten am PC, hör­ten fast mei­ne ge­sam­te Plat­ten­samm­lung, waren zu­sam­men mit mei­ner Mutter und Fer­di beim be­sten Ita­lie­ner der Stadt, ge­ra­de gut ge­nug, um je­man­dem, der von der tos­ka­ni­schen Kü­che ver­wöhnt war, ge­recht zu wer­den, und un­ter­hiel­ten uns un­ge­heu­er viel. Das konn­te man mit ihr her­vor­ra­gend. Wir spra­chen über un­se­re Pat­chwork­fa­mi­lien. Ich über Pa­pa und sein neu­es Le­ben in Ka­na­da. Chia­ra von ih­rer Mutter in Ham­burg und ih­rem Vater in Cam­pe­to. Ich frag­te sie, ob er ei­ne neue Freun­din hät­te. Chia­ra zuck­te mit den Schul­tern. »Ab und zu nimmt er sich ei­ne Aus­zeit und fährt auch mal weg. Er spricht nicht groß­ar­tig da­rüber. Im Som­mer war Ma­ma bei uns. Fast hat­te ich das Ge­fühl, sie wä­ren sich wie­der nä­her­ge­kom­men.«

      Mein Bru­der Fer­di be­nahm sich wie so oft ziem­lich al­bern, schoss, wäh­rend wir auf dem Zim­mer waren, Flie­ger rein, platz­te mit sei­ner Clo­ne Troo­per-Mas­ke her­ein und führ­te Schein­ge­fech­te durch, was mich tie­risch nerv­te, Chia­ra aber stets zum La­chen brach­te.

      Am letz­ten Tag frag­te ich sie vor­sich­tig, ob sie ei­nen Freund ha­be.

      Sie zö­ger­te mit ih­rer Ant­wort.

      »Es gab da ein paar … aber ich glau­be, ich bin ein­fach kein Mensch für was Dau­er­haf­tes. Ty­pi­sches Kind ge­trenn­ter Eltern halt.« Mehr er­zähl­te sie nicht, und ich wag­te nicht, weiter nach­zu­fra­gen. Wie es ak­tu­ell aus­sah, wuss­te ich nicht. Bei mir war kur­ze Zeit was mit Ali­na aus der Pa­ral­lel­klas­se ge­lau­fen. Aber ir­gend­wie hat­te das mit uns nicht funk­tio­niert. Oh­ne es zu wol­len, ver­glich ich alle mit Chia­ra und da­bei schnit­ten un­wei­ger­lich die meis­ten in mei­nem Al­ter schlecht ab. Ent­we­der waren sie mir zu al­bern oder ge­fie­len mir ein­fach nicht so. Ob­wohl sie nicht dem Durch­schnitt ent­sprach – nicht die­se lan­gen glat­ten Haa­re wie fast alle an­de­ren Mäd­chen hat­te und auch nicht de­ren Ein­heits­look trug – hat­te sie was, kei­ne Fra­ge. Ich fand sie auf je­den Fall klas­se.

      Als sie mich am Flug­hafen be­grüß­te, ver­such­te ich die­se Ge­dan­ken zu ver­scheu­chen.

      »Hey, schön dich wie­der­zu­se­hen. Wie war dein Flug?« Chia­ra um­arm­te mich kurz.

      »Dan­ke. Der Flug war okay, die Zeit ging schnell rum.«

      Chia­ra mus­ter­te mich auf­merk­sam. »Sag mal, du bist noch grö­ßer und kräf­ti­ger ge­wor­den, kann das sein?«

      Ver­le­gen mur­mel­te ich vor mich hin. Tat­säch­lich über­rag­te ich sie mitt­ler­wei­le ein gu­tes Stück. Wie die meis­ten Ita­li­en­er­in­nen war Chia­ra eher klein und zier­lich.

      »Sieht gut aus.« Sie grins­te mich an.

      Viel­leicht merk­te sie, dass mich das ver­wirr­te. Je­den­falls ging sie za­ckig wie immer zu an­de­rem über. »All­ora, lass uns kei­ne Zeit ver­lie­ren und nach