Die Unwerten. Volker Dützer

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Название Die Unwerten
Автор произведения Volker Dützer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783839263648



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geschickt ein Tablett mit einer Champagnerflasche in einem Eiskübel und zwei Gläsern durch die Menge. Sie bewegte sich elegant durch die Lücken und steuerte auf Lubecks Tisch zu. Ihr blauschwarz glänzendes Haar trug sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Lubecks Herzschlag setzte aus. Die Frau war Malisha Bloch.

      Noch hatte sie ihn in dem Schummerlicht nicht erkannt. In seinen Tagträumereien nach ihrer Begegnung am späten Nachmittag hatte er sich ausgemalt, wie er seinen Einfluss gelten machen würde, um sie zu beeindrucken und für sich zu gewinnen. Nun, da er ihr in wenigen Sekunden in die Augen blicken würde, war sein Kopf so leer wie ein Blankomeldebogen.

      Sie stellte das Tablett auf dem runden Tischchen ab, verteilte die Sektkelche und schenkte den Schampus ein. Von der drallen Blondine auf Borsigs Schoss schien sie keine Notiz zu nehmen.

      Lubeck betrachtete Malisha Bloch verstohlen. Sie trug eine weiße, hochgeschlossene Bluse und einen schwarzen Rock. Damit unterschied sie sich deutlich von den Animiermädchen. Offenbar arbeitete sie hier nur als Bedienung.

      »Lassen Sie es sich schmecken.«

      Sie stellte die Flasche ins Eis zurück und griff nach dem Tablett. Borsig kniff dem blonden Mädchen in den Bauch, es quiekte wie ein rosiges Ferkel.

      Malisha hob für einen Wimpernschlag den Kopf und sah Lubeck an. In ihrem Augenwinkel zuckte ein Nerv. Sie kniff die Lippen zusammen und erbleichte. Sie hatte ihn erkannt. Bevor ihm etwas einfiel, mit dem er ihr Vertrauen gewinnen konnte, hatte sie sich abgewandt und war in der Menge verschwunden. Mit wild schlagendem Herzen sah er ihr nach.

      Liebe war es nicht, die ihn überflutete. Malisha erregte ihn auf eine rein körperliche Weise, und zwar so heftig, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Diese Frau repräsentierte alles, was er sich je erträumt hatte.

      Borsig schien seine Verwirrung zu bemerken und folgte seinem Blick.

      »Wo hab ich nur meine Manieren?«, sagte er kopfschüttelnd und prostete dem Mädchen zu. »Die Schwarzhaarige gefällt Ihnen, was? Normalerweise bieten die Kellnerinnen in der Pagode keine Extradienste an. Aber für SS-Obersturmbannführer Brunner sollen sie in dem Laden gefälligst eine Ausnahme machen. Mein Chef verlangt schließlich, dass ich Sie mit allem versorge, was Frankfurt zu bieten hat.«

      Er pfiff durchdringend auf den Fingern und winkte dem Barkeeper.

      »Den alten Gaston kenne ich gut«, erklärte er augenzwinkernd. »Er versorgt mich mit Frischfleisch, außerdem ist er mir einen Gefallen schuldig.« Er machte eine eindeutige Handbewegung und deutete auf Malisha, die das leere Tablett auf dem Bartresen abstellte.

      Sie drehte sich um. Durch das Lokal hinweg trafen sich ihre Blicke. Mein Gott, wie er diese Frau begehrte, sie besitzen und beherrschen wollte. Bei der Vorstellung, dass sie ihm gehorchen musste, weil ihr keine andere Wahl blieb, bekam er eine Erektion.

      Der Barkeeper sagte etwas zu ihr, daraufhin nickte sie und überquerte die Tanzfläche.

      »Na bitte, geht doch!«

      Borsig beschäftigte sich wieder mit seiner Blondine und goss Schampus nach. Lubeck wollte verlegen den Blick abwenden, aber diese Frau hatte ihn verhext. Er konnte nichts anderes tun, als sie anzustarren. Sie blieb vor dem Tisch stehen. Wie einen Schild hielt sie schützend das Tablett vor den Bauch.

      »Sie haben einen Wunsch?«, fragte sie.

      Seine Kehle war trocken wie Sandpapier. Er räusperte sich umständlich.

      »Wir sind nur zu dritt«, dröhnte Borsig, »zu viert wird’s lustiger.« Er zog ein Bündel Geldscheine aus seiner Hosentasche und warf es auf den Tisch. »Kümmere dich ein bisschen um meinen jungen Freund hier. Er ist neu in der Stadt und will was erleben.« Er klatschte der Blondine auf den Hintern. »Wie wär’s mit Gastons Spezialprogramm?« Das Mädchen kicherte.

      »Ich arbeite hier als Kellnerin. Für Ihre Wünsche haben wir … anderes Personal.«

      Borsig zog die buschigen Brauen zusammen. »Hab dich nicht so. Es soll dein Schaden nicht sein.«

      Lubeck überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Bisher war er passiv geblieben, aber eine bessere Gelegenheit würde er nicht bekommen.

      »Ich bin sicher, dass es nur eine Frage des Preises ist.« Borsig lachte und fischte einen Zwanziger aus dem Bündel. »Mit den besten Grüßen von Obersturmbannführer Brunner. Heil!«

      Malisha kehrte ihnen den Rücken zu und ging zur Bar zurück.

      »Man kann nicht nur mit Geld bezahlen«, rief Lubeck. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.

      Sie blieb kurz stehen, ging dann aber weiter.

      Borsig schob grob das Mädchen von seinem Schoß. »Arrogantes Luder. Der werd ich Manieren beibringen.« Er stand auf und ballte seine Fäuste.

      Lubeck war dankbar für das Rotlicht, das durch die Lampions sickerte. Es verbarg die Schamesröte in seinem Gesicht. Ich muss härter werden, dachte er. Viel härter.

      Borsig hatte keine Chance, das Separee zu verlassen. Der Rausschmeißer mit dem Narbengesicht vertrat ihm den Weg.

      Wie auf Kommando stimmte die Band einen hektischen Ragtime an. Lubeck konnte der Auseinandersetzung zwischen Borsig und dem Rausschmeißer nicht folgen. Plötzlich holte Brunners Adjutant mit dem verbliebenen Arm aus, aber sein Gegner blockte ihn mühelos ab. Der Türsteher umfasste mit einer Hand Borsigs Faust und zwang ihn in die Knie.

      Lubeck schob seinen Stuhl zurück, entschlossen, seine Macht als politischer Leiter und SS-Untersturmführer einzusetzen. Bevor er eingreifen konnte, erloschen unvermittelt die Lichter im Lokal. Die Kapelle verstummte, Menschen schrien durcheinander, kreischten und riefen Warnungen. Nach einer Minute wurde der Strom wieder eingeschaltet und das Lokal wimmelte von Braunhemden der SA. Mit Knüppeln und Holzlatten begannen sie, systematisch das Inventar zu zerschlagen. Unter den Gästen brach Panik aus. Ein Schlägertrupp blockierte den Ausgang zur Straße, am Notausgang im hinteren Teil bildete sich eine Menschentraube. Die Braunhemden droschen wahllos auf alles ein, was sich bewegte. Ein bulliger Mann mit kurzgeschorenem blondem Haar brüllte Befehle und heizte seine Leute zu brutaler Gewalt an. Lubeck identifizierte ihn an seinen Rangabzeichen als Rottenführer. Innerhalb von fünf Minuten verwandelte sich die Pagode in ein Trümmerfeld.

      Lubeck hielt Ausschau nach Malisha, konnte sie aber nirgends entdecken. Borsig wehrte sich verbissen gegen den Rausschmeißer und steckte einen Schlag nach dem anderen ein. Lubeck erschrak, ihm wurde klar, dass die SA in dem Durcheinander keinen Unterschied zwischen ihm und den restlichen Gästen machen würde.

      Langsam arbeitete er sich im Schutz der Separeeabtrennungen zum Eingang vor. Der Rottenführer stand auf einem Stuhl, gestikulierte mit den Armen und dirigierte seinen Trupp. Die Tür flog auf und weitere Männer stürmten in das Lokal, an ihren schwarzen Ledermänteln unschwer als Gestapo zu erkennen. Lubeck fiel dem Anführer in den Arm.

      »Was geht hier vor?«, blaffte er den SA-Mann an.

      »Halten Sie die Schnauze. Rothbauer, überprüfen Sie seine Papiere!«

      »Ich bin Dr. Joachim Lubeck, Politischer Leiter der NSDAP. Ich besuche dieses Etablissement im Auftrag von SS-Obersturmbannführer Fritz Brunner, dem Leiter des Anstaltswesens Hessen-Nassau«, brüllte Lubeck, so laut er konnte. »Ich verlange eine Erklärung!«

      Der Rottenführer stieg von dem Stuhl und knallte die Hacken zusammen. »Haben den Auftrag, dieses Widerstandsnest hochzunehmen. Alles Kommunisten und Volksverräter hier.«

      »Nicht so laut, Mann. Ich bin ja nicht schwerhörig.« Lubeck blickte sich suchend um. Mit dem Bürschchen von der SA wurde er fertig, aber nicht mit der Gestapo. Wenn die Geheime Staatspolizei Malisha erst verhaftet hatte, würde er nichts mehr für sie tun können.

      »Woher wissen Sie denn, was hier im Hinterzimmer passiert?«, wollte Lubeck wissen.

      »Aktion ist sorgfältig vorbereitet«, schnauzte der Rottenführer. »Haben verlässliche Informationen, dass das Lokal Treffpunkt für subversive Elemente ist, Juden und anderes kriminelles