Änfach frei laafe geloss. Josef Peil

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Название Änfach frei laafe geloss
Автор произведения Josef Peil
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783898018999



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nach dem Wirbel, der um mich getrieben wird, arg geschunden.

      Wer bitte ist denn hier der Schinder?

      Reporter: Ihnen scheint der Gedanke, dass Sie eine berühmte Persönlichkeit wie den Schinderhannes getragen haben sollen, nicht sehr zu behagen. Fast habe ich den Eindruck, Sie empfinden das sogar als Vorwurf.

      Gebeine: Nicht als Vorwurf – nein, als Belästigung. Ich mag es einfach nicht, wenn es so laut um mich ist; ob ich nun der Schinderhannes war oder nicht, was spielt das noch für eine Rolle. Ich möchte meine Ruhe haben, und darauf habe ich in meinem Zustand doch wohl ein Recht.

      Reporter: Ich stimme Ihnen in diesem Punkt zu, vielleicht kann ich Ihnen sogar behilflich sein. Darf ich also davon ausgehen, dass Sie das Kreuz des Schinderhannes sind. Schmeichelt es Ihnen dann nicht, dass Sie quasi zur Symbolfigur einer Landschaft geworden sind?

      Gebeine: Ich bin noch sehr in Zweifel, welcher meiner beiden Möglichkeiten der Ansicht ich mich zuneige. Natürlich empfindet man Berühmtheit zuvorderst als angenehm. Aber ich wage hier die Frage zu stellen, ob der Schinderhannes den Aufwand, der heute mit und um ihn getrieben wird, überhaupt verdient hat. Oder fragen wir besser: Hat der Hunsrück – diese Landschaft meinen Sie doch – hat der Hunsrück eine solche Symbolfigur verdient? – Da prangt ein stilisiertes Bild, das mit Johannes Bückler nichts gemein hat, auf einer Postkarte und darauf die Aufschrift »Eich senn enn Hunsrecker«. Mit Verlaub, der Schinderhannes war weder im Hunsrück geboren, noch hat er sich jemals als Hunsrücker gefühlt. Und die Bezeichnung des Simmerner Turmes muss auf Johannes Bückler eher abschreckend wirken, erinnert sie doch an die schlimmste Zeit seines jungen Lebens, schlimmer noch als der Gang zum Schafott. Und was soll ich davon halten, dass mit dem Namen eines Räubers, der oft genug Hunger litt, Brot verkauft wird? Fehlte nur noch, dass man eine Bank nach ihm benennt.

      Reporter: Sie distanzieren sich also vom Schinderhannes?

      Gebeine: Im Gegenteil, ich solidarisiere mich mit ihm. Er hat sich in Mainz bei seinem Prozess zu seinen Taten bekannt. Er hat selbst gesagt, was er getan hat, war Unrecht. Und was man ihm als soziale Rebellion gegen die französische Besatzungsmacht aufbürden will, war nichts anderes als der unausweichliche Konflikt mit der Staatsmacht. Wer die Macht hatte, war ohne Bedeutung. Mit jedem Staat wäre der Schinderhannes in Konflikt geraten. Er hat ja nicht gegen einen Staat verstoßen, sondern gegen das Recht. Fragt sich nur, ob er in einem besseren Staat nicht gegen das Recht gehandelt hätte. Aber diese Frage bleibt sowieso Spekulation.

      Natürlich hat Schinderhannes beim armen Volk einen guten Ruf erlangt, natürlich hat er den Armen nichts weggenommen. Was war denn da zu holen? Ein armer Schlucker wie er wusste das doch. Aber nichts wegnehmen, das war doch damals so gut wie beschenken.

      Nein, nein, Eigentum und Menschenleben haben wenig gezählt, nur soviel sie dem Johannes Bückler zum Wohlergehen nutzen konnten.

      Reporter: Gut, wollen wir damit den geschichtlichen Teil einmal auf sich beruhen lassen. Kommen wir zu Ihrer Gegenwart beziehungsweise Ihrer Zukunft. Verschiedene Stellen, genauer gesagt zwei Städte, erhoben seinerzeit Anspruch, Sie beherbergen zu dürfen. Ja, es gab sogar den Kompromissvorschlag, Sie zu teilen …

      Gebeine: Hier muss ich energisch protestieren. Wer solche Vorschläge macht, sollte doch zuvor einmal in Goethes Zauberlehrling nachlesen. So weit käme es noch, dass ich zweigeteilt mich und den Streit um den Schinderhannes verdoppele. Am Ende müsste ich mit mir selbst streiten, wo denn nun die edleren Teile ansässig sind. Wollte man etwa auch meinen Schädel spalten? – Haare besitze ich ja nicht mehr. Nehmen Sie das als Aprilscherz, mehr hat das nicht verdient.

      Reporter: Ich verstehe Sie so, Sie nehmen für sich das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Anspruch. Nun, wenn Sie vor die Wahl gestellt sind, wo Sie in Zukunft Aufnahme finden möchten, für welchen Ort entscheiden Sie sich?

      Gebeine: Ich wiederhole, mir wäre es ein Greuel, öffentlich zur Schau gestellt zu werden.

      Reporter: Wie wäre es aber mit einer Ruhestätte in Simmern, wo die Grundlage für die Berühmtheit des Schinderhannes gelegt wurde, denn ohne die Kerkerhaft dort wäre es wohl kaum zur Hinrichtung in Mainz und damit zur Bildung der Legende gekommen.

      Gebeine: Glauben Sie an Märchen? Die haben wenigstens noch einen Wahrheitsgehalt. Aber warum verbreiten Sie Meinungen in Form von Tatsachenmeldungen? Es ist zwar richtig, dass Johannes Bückler erst nach seiner Flucht aus dem Simmerner Turm zum Bandenführer wurde, aber glauben Sie mir, das wäre er auch ohne diese Erfahrungen geworden. Er war vorher nur einfach noch zu jung.

      Reporter: Also Simmern nicht, und damit scheidet eigentlich der Hunsrück insgesamt schon aus. Wie steht es dann mit dem Mainzer Pulverturm, damit sind doch angenehme, wenn auch vielleicht letztendlich wehleidige Erinnerungen verbunden. Dort verbrachte Johannes Bückler die letzten Stunden seines Lebens mit seiner Frau.

      Gebeine: Nein, von Julchen einmal abgesehen, ist auch Mainz für den Schinderhannes ein Ort der Schande, wohin er nicht zurückkehren möchte. Stellen Sie sich doch einmal vor: nach heutiger Rechtsprechung käme er mit Lebenslänglich, sprich fünfzehn Jahre bei guter Führung davon. Die neuerliche Gefangenschaft im Pulverturm würde aber womöglich noch länger dauern als das höllische Fegefeuer, das mir immer wieder aus der Presse entgegenlodert.

      Reporter: Ich habe Verständnis für Ihr Bemühen, Ihr Inkognito zu wahren. Heißt das nun aber, dass Sie hier im Heidelberger Keller verbleiben wollen, bis einst vielleicht doch noch das Rätsel Ihrer Herkunft wissenschaftlich gelöst wird?

      Gebeine: Eine wissenschaftliche Lösung hilft mir nicht mehr, dafür ist es schon zu spät. Vielleicht ist die Trennung des Schinderhannes von Johannes Bückler die beste Lösung. Johannes Bückler ist tot, und es tut ihm gut, in Ruhe gelassen zu werden. Den Schinderhannes haben sich Menschen erfunden. Und wenn sie merken, dass er ihre Fragen nicht beantworten kann, dann setzen sie ihm irgendwie ein Denkmal und vergessen ihn am Ende. Die Geschichtchen um den Johannes durch den Wald waren ja schon der beste Weg dahin. Aber Nationalheld? Dafür ist doch schon der Name zu schauerlich. Oder sollte die Wirklichkeit gar nicht schrecklich genug gewesen sein, um aus Johannes Bückler den Schinderhannes zu machen?

      Ich sage es offen, der Ort meiner Sehnsucht ist eine mit Erde gefüllte Gruft, wo mit den Knochen auch der Mythos des Schinderhannes vermodern könnte.

      Grand ohne drei

      Gleich wie er die Kart uffgeroff hot, hot de Gähle Adam gesiehn, das Spiel musst er hoch reize. Wenn er ’s tät laafe losse, konnt er nor verleere. Die drei stärkste Bauere honn em gefehlt, awer en Karospiel war das mit de Pik-As debei ohne Kreiz unn Herz.

      Wie das gepasst hot, grad harre se noch die Red devun gehatt. Drei Kinner harr-er, unn alle drei ware se fort, de ältst Bu beim Opel, de anner noch weirer fort uff eme Schiff, unn die Toochter in Kulenz mit eme Beamte verheirat. So war er mit seiner Änni allän im Haus geblieb.

      Awer das Autofahre is em in letzter Zeit immer schwerer gefall. Unn fahre musst er, Geschäft war käns im Dorf.

      »Achtzeh«, de Ewald war am Sahn, »zwanzig, zwo, drei«, do musst er passe. Awer de Kurt is hochgang. Bei 40 hot de Adam noch emoh iewerlaacht, sollt er ’s riskeere?

      Die Toochter war domit komm, se wollte baue. Unn wenn die Alte ehr Häisje verkaafe, mit baue unn dann die zwei Enkelcher verwahre täre, dass die Toochter mit könnt schaffe gehn, dann wär doch for all gesoricht, harre se gemänt.

      Er hot hien unn her iewerlaacht, mit Karo unn Pik war er stark, sollt er Hand spiele?

      Es hot em hart uffgang, ma hot’s gesiehn.

      Er hatt jo noch viel in das Haus ningestoch in de letzte Johr, Bad unn Heizung ingebaut, de Fußborem unn die Deere nou, die Decke verkläd unn vertäfelt. Ma hot kaum meh gesiehn, dass es en alt Haus war. Dreihunnerttausend, harr er gemänt, müsst er dofor kriehe könne.

      De Adam hot dem Kurt mitgehall, awer de Kurt hatt aach en gut Blaat.

      »Achtenveerzich«, das war de Punkt, alles ore nix.

      Was war em dann anneres iewerich geblieb, als wie alles uff die Toochter ze setze unn das Haus ze verkaafe.