Die dreißig tolldreisten Geschichten. Оноре де Бальзак

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Название Die dreißig tolldreisten Geschichten
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955014674



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keine üble Figur macht, zur Erinnerung der hier erzählten Abenteuer, die wir aus den wahrhaftigsten Geschichtsbüchern ausgezogen haben.

      Die Belustigungen König Ludwig des Elften

      Der König Ludwig der Elfte war ein guter Gesell, der zu scherzen liebte und, solange es sich nicht um das Wohl seines Staates und die Sachen unsrer heiligen Religion handelte, gern lustig zechte und den ungefiederten Schnepfen nicht weniger gern nachjagte als den gefiederten und andrem königlichem Hochwild. Einige griesgrämige Skribifaxe haben uns diesen guten König als einen bigotten Duckmäuser

      und Kopfhänger geschildert, ihr Geschrei ist erstunken und erlogen. Der König war seinen Freunden ein guter Freund, er war ein Spaßvogel und Lacher wie nur einer seines Königreichs. Er war es, der in guten Stunden gern zu sagen pflegte, vier köstliche Dinge gäbe es im Leben: »Frisch trinken, warm scheißen, Hartes eingeben und Weiches schlucken.« Einige haben ihm den Vorwurf gemacht, dass er sich gern mit lasterhaften Weibern eingelassen. Aber auch das ist erlogen, da ja jedermann weiß, dass seine Töchter der Liebe, deren eine legitim gemacht wurde, aus hochangesehenen Familien stammten und große Häuser gegründet haben. Er hasste freilich allen Flitterkram und alles verschwenderische und prahlerische Getue. Auf den Schein und die Außenseite gab er keinen Dreck. Haushälterisch war er wie einer, den Leuteschindern, Volksaussaugern und sonstigen Blutegeln gab er auch kein Bröselchen zu verdienen. Sie haben ihn darum gehasst und verleumdet. Aber die wahren Gelehrten und Liebhaber der Wahrheit wissen, dass der genannte König in seinem Privatleben ein guter und charmanter Kerl war, und niemals hat er einen seiner Freunde den Kopf abschlagen lassen, womit er dennoch nicht knickerig umging, als wenn er schmählich von einem betrogen worden; seine Rache war immer gerecht. Nur in einem Fall, den Meister Verville erzählt, hatte sich der würdige König geirrt; aber einmal ist keinmal, und außerdem trifft die Schuld mehr den Tristan, seinen Gevatter, als den König selbst. Wenn ihr wollt, erzähle ich euch die Geschichte, wie sie Meister Verville berichtet hat, den ich im Verdacht habe, dass er sich einen Spaß damit machen wollte. Ich mag aber die Sache ganz gern erzählen, weil niemand das ausgezeichnete Werk meines geschätzten Landsmanns kennt. Doch ich kürze und gebe nur die Quintessenz, das Drum und Dran ist ein bisschen weitschweifig, wie die Gelehrten wissen:

      ›Ludwig der Elfte hatte die Abtei Turpenay (wovon in der »Schönen Imperia« die Rede war) einem Edelmann verliehen, der die Einkünfte bezog und sich einen Herrn von Turpenay nannte. Nun geschah es, dass der König zu Schloss Plessis-les-Tours hofhielt, wo dann eines Tags der wahre Abt, ein Mönch, sich an den König herandrängte und ihm vorstellte, dass er es sei, der nach kanonistischem und monachistischem, auch monarchistischem Recht sich Abt von Turpenay nenne, jener Edelmann aber wäre ein Usurpator und Kirchenräuber. Das möge Seine Majestät allergnädigst einsehen und dem wahren Abt und Hirten von Turpenay zu seinem Recht verhelfen. Der König, wie es seine Gewohnheit war, schüttelte seine Perücke und versprach dem Mönch, dass er ihn zufriedenstellen wolle. Dieser aber war ein aufdringlicher und lästiger Geselle, wie alle Esel es werden, wenn man sie in eine Kutte steckt, und stand nun Tag für Tag unter der Tür des Saals, wo der König speiste, und reichte Seiner Majestät das Weihwasser nach der Mahlzeit. Diese Zudringlichkeit ärgerte den König, und am dritten Tag winkte er seinem Gevatter Tristan. – ›Gevatter‹, sagte er, ›hier treibt sich einer von Turpenay herum, ein flegelhafter Zudringling, schaff ihn mir aus der Welt.‹ Ob nun der brave Tristan eine Kutte für den Mönch oder den Mönch für eine Kutte nahm, kurz, er ging hin zu dem Edelmann, den man am ganzen Hof den Herrn von Turpenay nannte, nahm ihn ein wenig auf die Seite und erklärte ihm, dass er sterben müsse, um dem König ein Vergnügen zu machen. Alles Sträuben und flehentliche Bitten nützte dem Armen nichts, er wurde zwischen Hals und Schultern mit einem hänfenen Strick so gekitzelt, dass er sich wahr und wahrhaftig zu Tode lachte, und eine Stunde später konnte Tristan dem König melden, dass der Turpenayer nach den Auen der Seligen abgereist sei. Aber fünf Tage danach, als welcher der Tag ist, an dem die Toten als Gespenster wiederkommen, sah plötzlich der König den widerwärtigen Mönch in seinem Saal. So etwas war ihm noch nicht vorgekommen. Er ruft den Gevatter und flüstert ihm ins Ohr: ›Ihr habt meinen Befehl nicht ausgeführt?‹ – ›Verzeiht, Majestät, ich habe ihn ausgeführt, der von Turpenay ist tot.‹ – ›Ei, Gevatter, ich hatte den Mönch gemeint.‹ – ›Ich habe den Edelmann verstanden.‹ – ›Es ist also geschehen?‹ – Ja, Majestät.‹ – ›So ist es gut.‹ Und sich zu dem Mönch wendend: ›Komm her, Pfäfflein! Auf die Knie!‹ Ihr könnt euch denken, wie das Priesterlein zitterte. Aber der König lachte. ›Danket Gott‹, sprach er, ›er hat nicht gewollt, dass Ihr gehängt werdet, wie ich es befohlen hatte. Der Strick hat sich an den verirrt, der Euch Eure Einkünfte weggenommen hat. Gott selbst hat Euch zu Eurem Recht verholfen. Gehet hin und betet für mich, aber für mein Weihwasser lasst mich selber sorgen.‹«

      So gnädig und voller Güte war König Ludwig. Er hätte aus Ärger über den Irrtum den Mönch hängen lassen können, der schuld war, dass der König einen treuen Diener verlor.

      In den ersten Zeiten seiner Hofhaltung auf Schloss Plessis-les-Tours verschmähte es der Genannte, die Tapeten der königlichen Gemächer zu Zeugen seiner Saufgelage und sonstigen Liederlichkeiten zu machen; er hatte noch diesen Respekt vor der eignen Majestät, ein Feingefühl, das seine Nachfolger später abgelegt haben. Er war aber damals in eine gewisse Dame verliebt mit Namen Nicole Beaupertuys, eine Bürgersfrau aus der Stadt Tours (in deren nächsten Nachbarschaft das ebengenannte Schloss gelegen war), und der König hatte ihren Mann, ich weiß nicht in welchen Geschäften, nach der Levante geschickt und ihr selber in der Vorstadt Chardonneret ein Haus gekauft, nahe bei der Rue Quincangrogne, also genannt, weil die ganze Umgebung für eine unbewohnte und unheimliche Gegend galt. Der genannte Ehemann und seine Frau waren also dem König sehr ergeben, dem die Beaupertuys eine Tochter schenkte, die als Äbtissin gestorben ist. Die Nicole aber war eine gewitzigte Person, mit feinem Mundwerk, von ansehnlichem Leibesumfang, mit zwei ganz natürlichen Kissen vor der Brust, so weiß wie die Flügel eines Cherubs. Im übrigen war sie als große Philosophin bekannt. Ihre Philosophie war nur gerade nicht die peripatetische, als welche im Gehen betrieben wird. Und eine vollkommene Meisterin war sie in ihrer Wissenschaft, in der sie täglich neue Argumente, Beweise, Konklusionen, Schlüsse und Trugschlüsse und immer neue Ausdrücke und Wendungen fand, womit sie dem König ein großes Vergnügen machte. Auch war sie der lustigste Fink im Finkenbusch, sang und lachte, zwitscherte und trällerte den ganzen Tag, die Nacht mit inbegriffen, und konnte niemand ein Leid zufügen. Kurz, sie verstand ihr Handwerk aus dem Effeff, und der König besuchte sie oft in dem genannten Hause, wobei er auch gern einige gute Gesellen, seine Freunde, mitnahm.

      Nur zur Nachtzeit machte er diese frommen Wallfahrten, denn er hatte, wie gesagt, Respekt vor der eignen Majestät, die er auf solchen Gängen dann nicht mitnahm. Weil er aber selber der Gegend nicht traute, hatte er der dicken Nicole die bissigsten und geifrigsten Hunde seiner Meute geschenkt, unheimliche Gesellen, die jedermann bei der Gurgel packten, ohne erst Achtung zu rufen, und keinen Spaß verstanden, außer mit der Nicole und dem König. Sobald dieser seine Ankunft meldete, ließ sie die Rüden los, also konnte der König ungefährdet in das Haus gelangen, zu dessen eisenbeschlagener Tür er den Schlüssel in der Tasche trug, und konnte ohne Furcht vor Verrat seine Freunde regalieren und mit Schindludereien traktieren, ganz wie es ihm beliebte. Und sagt, war das nicht echt königlich gehandelt?

      Die lustige Kumpanei konnte um so sorgloser sein, als Gevatter Tristans schirmendes Auge über ihr wachte. Wer es sich in einer solchen Nacht hätte einfallen lassen, auf dem Maifeld von Chardonneret Astronomie zu studieren ohne einen königlichen Ausweis in der Tasche, hätte sich im Handumdrehen in die Lage versetzt gesehen, den Vorübergehenden seinen Segen mit den Füßen zu spenden. Nur mit königlichem Pass gelangte man zu dem Hause an der Rue Quincangrogne. Denn der König ließ oftmals, seinen Freunden zuliebe und sich zum Spaß, auch aus zarter Rücksicht auf Nicole und ihre Gäste gewisse Weibsbilder und andres Volk aus der Stadt herbeiholen, angesehene Bürger nicht ausgenommen, mit denen der König gern einen Jux machte, die aber wohl wussten, dass es ein wenig gefährlich war, aus der Schule zu schwatzen, so dass erst nach dem Tode des Königs das ganze lustige Treiben von der Nacht an den Tag gekommen ist.

      Das Possenspiel ›Küss mich am Hintern‹