Die dreißig tolldreisten Geschichten. Оноре де Бальзак

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Название Die dreißig tolldreisten Geschichten
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955014674



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weniger als einem Augenblick waren seine Leute auf den Beinen. Sofort wurde der Schrank gepackt und nach der Stiege getragen. Dabei kam der unglückliche Rechtsverdreher zufällig auf den Kopf anstatt auf die Beine zu stehen, und weil er solche Turnübungen nicht gewöhnt war, scharrte er unwillkürlich mit seinen Stiefeln an den Wänden.

      »Der arme Schrank«, sagte die Frau, »er kracht in allen Fugen.«

      »Es tut ihm weh, dass er weggetragen wird«, sprach der Mann, »er hatte sich so an Euch gewöhnt.«

      Ohne weiteren Widerspruch ließ sich der Schrank die Stiege hinuntergleiten.

      »Holla, Mann mit dem Karren!« rief drunten der Goldschmied. Und Stoffel, von den Gesellen und Lehrbuben unterstützt, machte sich daran, den Schrank aufzuladen.

      »Autsch, autsch!« rief drinnen der vom Hofgericht.

      »Meister, der Schrank spricht!« rief ganz erschrocken ein Lehrbub.

      »Französisch oder spanisch?« fragte der Meister und gab dem Buben einen Tritt vor den dünnen Hintern, der zum Glück nicht von Glas war. Denn es ist immer von Übel, wenn einer behauptet, das Gras wachsen zu hören; und der wollte nun gar einen Schrank sprechen hören!

      Dann führte der Stoffel, vom Goldschmied unterstützt, den Schrank zum Flussufer hinunter, ohne auf die laute Beredsamkeit des verhexten Holzes im geringsten achtzugeben.

      Am Ufer beschwerten sie den Schrank mit mächtigen Steinen und warfen ihn ins Wasser.

      »Schwimme, mein Freund, schwimme!« rief Stoffel und klatschte in die Hände, während der Schrank sich drehte und dann untertauchte.

      Nachdem dieses Geschäft glücklich beendigt war, machte sich der Stoffel auf nach der Rue du port Saint-Landry, nahe bei Notre-Dame. Er suchte dort nach einem gewissen Hause, erkannte es auch alsbald und fing an, heftig an die Tür zu pochen.

      »Öffnet«,rief er, »im Namen des Königs, öffnet!«

      Auf sein Rufen hin erschien unter der Tür ein weißbärtiger Greis, der niemand anders war als der berühmte Wucherer Versoris.

      »Mich schickt der Profos«, sagte der Stoffel, »er lässt Euch auffordern, diese Nacht wohl auf Eurer Hut zu sein. Er wird selber das Seinige tun. Der Bucklige, der Euch bestohlen hat, ist wieder in der Nachbarschaft gesehen worden. Darum also, wenn Euch Euer Geld lieb ist, haltet Euch wach und in Waffen.«

      Nach diesen Worten machte sich der Stoffel davon. Er eilte nun nach der Rue des Marmougets, wo der Hauptmann Schweinsleder sich gerade ein Fest gab mit der kleinen Pasquerette, dem schönsten und begehrtesten Mädchen dieser Art in ihrem Viertel. Nicht einmal ihresgleichen machte ihr diesen Ruhm streitig. Sie wusste Blicke zu werfen, die wie Dolche trafen, und wie keine verstand sie die Kunst, saftige Schweinereien als Leckerbissen einzumachen und um harte Taler loszuschlagen. Und was für Schweinigeleien! Verwegen war sie und schamlos wie nur ein Weib, das keine andere Tugend mehr hat als die Frechheit. Der gute Stoffel hatte nur eine Sorge: er könne entweder das Haus der Pasquerette nicht finden, oder das liebliche Paar möchte nicht mehr wach sein, wenn er ankam. Aber ein guter Engel fügte alles nach seinem Wunsch. Als er in die Rue des Marmougets einbog, sah er alle Fenster beleuchtet, und überall streckten sich Köpfe heraus mit Nachtmützen und Nachthauben, Männer und Weiber, alte und junge, wie sie aus dem Bett gesprungen waren; man hätte glauben können, es solle bei Fackelschein ein Dieb gehängt oder sonst ein Missetäter hingerichtet werden.

      »Was ist denn los?« fragte der Stoffel einen Bürger, der mit einer Hellebarde herunter an seine Tür geeilt war.

      »Oh, nichts«, antwortete der gute Mann, »wir glaubten schon, die Armagnaken seien in der Stadt eingebrochen, aber es ist nur der Schweinsleder, der die Pasquerette durchbleut.«

      »Wo?« fragte der Stoffel.

      »Dort drüben in dem schönen Hause, wo Ihr über der Tür die Kröten gemeißelt seht. Hört Ihr das Geschrei der Hausknechte und Kammerzofen?«

      Aus dem Hause drang ein grässliches Geheul und Mordiogeschrei. Man hörte die Schläge niedersausen, und Hundsaffe mit seiner fetten Stimme schrie: »Du musst hin sein, du Luder! Was, du machst die Widerspenstige, und Geld willst du von mir? Da hast du!« Und dann hörte man die Pasquerette stöhnen. Alles zog sich zurück, die Lichter erloschen.

      »Hilfe, Hilfe!« rief sie, »er bringt mich um.« Dann ein letzter schwerer Schlag, dann das dumpfe Hinstürzen eines weichen Körpers, dann plötzliche Stille.

      Stoffel stieg mit dem Hausgesinde die Stiege hinauf. Droben vor dem Saal machte er halt. Da war ein Durcheinander von zerbrochenen Flaschen, zerrissenen Tapeten, das ganze beschmutzte Tischtuch mit allen Schüsseln und Tellern lag am Boden.

      Der ehemalige Schweinehirt, kühn wie ein Mann, der entschlossen ist, alles an einen Zweck zu setzen, riss die Tür auf, die zum Schlafgemach der schönen Pasquerette führte. Das Weibsbild lag am Boden auf einem blutübergossenen Teppich; sie war scheußlich zugerichtet, die Haare wirr und verzerrt, die weißen Brüste im Staub und Schmutz des Bodens gebettet. Der Schweinsleder stand verwirrt daneben, er war auf einmal ganz kleinlaut geworden, er machte die Augen größer auf als den Mund.

      »Auf, mein liebes Pasquerettchen«, sagte er endlich; »spiel nicht die Tote, komm, lass dich aufheben. Tot oder lebendig bist du entzückend, du Luder, zum Fressen bist du.«

      Mit diesen Worten hob er sie vom Boden auf und warf sie auf das Bett. Sie fiel hin, steif und regungslos wie der Körper eines Gehenkten. Da dachte der Landsknecht, dass es Zeit sei, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen, wenn er für diesmal seinen Buckel aus der Schlinge ziehen wolle; doch fiel ihm, da er die Weiber kannte, noch eine List ein.

      »Arme kleine Pasquerette«, sagte er, »wie hab ich nur ein so gutes Kind, das ich so sehr liebte, so zurichten können. Ich habe sie wahrhaftig getötet, es ist kein Zweifel mehr. Nie, solange sie lebte, sind ihr die weißen Brüstchen so elend am Körper heruntergehangen. Wie zwei leere Beutelchen mit einem armen, roten Heller darin hängen sie ihr an den Seiten.«

      Bei diesen Worten öffnete die schöne Pasquerette ein wenig das Auge und schielte nach ihrer Brust; sie war weiß und fest wie Marmor. Da kam ihr mit einem Ruck das Leben wieder, sie sprang auf wie eine Furie, und ehe der Hauptmann sich's versah, hatte er eine Ohrfeige weg, die nur so schallte. Sie lachte.

      »Die Toten, die sich nicht verteidigen können, soll man nicht verleumden.«

      »Mein liebes Bäschen«, fragte Stoffel mitleidig, »wie hast du es nur angestellt, um ihn so in Wut zu bringen?«

      »Wie ich's angestellt habe? Morgen früh kommen die Gerichtsknechte, um mir das Bett unterm Hintern wegzunehmen, und er, der so wenig Geld im Beutel hat wie Tugend in seinem Herzen, schäumte vor Wut, weil ich einem hübschen Junker gefällig sein wollte, der mich allein aus den Klauen des Gerichts erretten könnte.«

      »Schweig!« rief der Hauptmann, »oder ich werde dir alle Knochen im Leib zerbrechen.«

      »Langsam, langsam«, rief der Stoffel, der den Schweinsleder erst jetzt erkannte, »wenn es nichts weiter ist, da kann geholfen werden. Mein Freund, ich bringe Euch eine ganz beträchtliche Summe.«

      »Wo, wo ist sie?« rief der Hauptmann begierig.

      »Hört! Lasst es Euch ins Ohr sagen. Wenn einige dreißigtausend Taler heute Nacht unter einem alten Birnbaum irgendwo zusammenkämen, würdet Ihr nicht so mitleidig sein und sie in die Tasche stecken, damit sie keinen Schnupfen bekommen?«

      »Stoffel«, rief der Hauptmann, »ich erwürge dich wie einen wütigen Hund, wenn du dich lustig über mich machst, und ich küsse dich, wo du es nur haben willst, wenn du mich sofort und unverweilt in die ehrwürdige Versammlung dieser dreißigtausend Taler führst. Ich will auch ohne alle Gewissensbisse einigen guten Bürgern die Gurgel abschneiden, wenn sie so unvorsichtig sein sollten, mir in den Weg zu treten.«

      »Ihr sollt dabei noch nicht einmal eine Nachtmütze totstechen«, erwiderte Stoffel; »aber hört nun den Fall: Ihr kennt den alten Juden bei Notre-Dame, nicht weit von der Wohnung unsres Onkels. Seine Hausmagd