Die Ethik. Baruch de Spinoza

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Название Die Ethik
Автор произведения Baruch de Spinoza
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843802734



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Zweck die Natur völlig auf den Kopf stellt. Denn sie betrachtet als Wirkung, was in Wahrheit Ursache ist, und umgekehrt. Außerdem macht sie das, was von Natur das erste ist, zum letzten. Schließlich verkehrt sie das Höchste und Vollkommenste zum Unvollkommensten. Denn (auf die beiden ersten gehe ich nicht weiter ein, weil sie an sich klar sind) wie aus den Lehrsätzen 21, 22 und 23 hervorgeht, ist die Wirkung die vollkommenste, die von Gott unmittelbar hervorgebracht wird; je mehr vermittelnder Ursachen aber eine Wirkung bedarf, um hervorgebracht zu werden, desto unvollkommener ist sie. Wenn nun die Dinge, die unmittelbar von Gott hervorgebracht sind, deshalb gemacht wären, damit Gott seinen Zweck erreichte, so wären notwendig die letzten, um derentwillen die ersten gemacht sein sollen, die vorzüglichsten von allen. Weiter hebt diese Lehre die Vollkommenheit Gottes auf. Denn wenn Gott um eines Zwecks willen handelt, so begehrt er notwendig etwas, das er entbehrt. Wenn nun auch Theologen und Metaphysiker zwischen Bedürfniszweck und Assimilationszweck unterscheiden, so geben sie doch zu, dass Gott alles um seinetwillen, nicht aber der zu schaffenden Dinge wegen getan habe; weil sie nichts vor der Schöpfung außer Gott angeben können, dessentwegen Gott handeln sollte. Sie müssen also notwendig zugeben, dass Gott die Dinge, für die er die Mittel habe bereiten wollen, entbehrt hätte. Das ist an sich klar. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass Anhänger dieser Lehre, die im Angeben der Zwecke der Dinge ihren Scharfsinn zeigen wollen, eine neue Art der Beweisführung aufgebracht haben, um diese ihre Lehre glaublich zu machen. Sie führen dieselbe nämlich nicht auf die Unmöglichkeit, sondern auf die Unwissenheit zurück; was zeigt, dass ihnen kein anderes Beweismittel für diese Lehre zu Gebote stand. Wenn z.B. ein Stein von einem Dach auf den Kopf eines Menschen fällt und ihn tötet, so beweisen sie, der erwähnten Methode gemäß, dass der Stein gefallen sei, um den Menschen zu töten, folgendermaßen: Wäre der Stein nicht zu eben diesem Zwecke, nach dem Willen Gottes, heruntergefallen, wie mochten da so viele Umstände (denn oft treffen viele zusammen) durch Zufall zusammentreffen? Antwortet man, es sei so gekommen, weil der Wind wehte und weil der Mensch gerade dort vorbeiging, so wenden sie dagegen ein: Weshalb hat der Wind gerade damals geweht? Warum ist der Mensch gerade damals dort vorbeigegangen? Erwidert man darauf: Der Wind fing damals zu wehen an, weil das Meer tags zuvor, bei noch ruhigem Wetter, in Bewegung kam, und der Mensch ging damals dort vorbei, weil er von einem Freunde eingeladen war, so wenden sie – da das Fragen keine Grenzen hat – abermals ein: Warum aber kam das Meer in Bewegung? Warum war der Mensch damals eingeladen? Und so werden sie nicht aufhören, fort und fort nach den Ursachen der Ursachen zu fragen, bis man zum Willen Gottes seine Zuflucht nimmt, d.h. zum Asyl der Unwissenheit. Ebenso, wenn sie den Bau des menschlichen Körpers ins Auge fassen, stehen sie erstaunt und schließen, weil sie die Ursachen dieses großen Kunstwerks nicht kennen, dass derselbe nicht durch mechanische, sondern durch eine göttliche und übernatürliche Kunst gebildet und so eingerichtet worden sei, dass kein Teil den anderen verletzt.

      Daher kommt es, dass, wer die wahren Ursachen des Wunderbaren aufsucht und wer danach strebt, die natürlichen Dinge als Wissender zu verstehen, statt sie als Einfältiger anzustaunen, oft von denen als Ketzer und schlechter Mensch angesehen und verschrieen wird, die das Volk als die Dolmetscher der Natur und der Götter verehrt. Denn sie wissen, dass mit der Unwissenheit auch das Anstaunen, das einzige Mittel, womit sie ihre Lehren beweisen und ihr Ansehen behaupten, dahinschwindet. Ich verlasse dieses nun jedoch und wende mich jetzt zum dritten Punkt, den ich hier zu behandeln mir vorgenommen habe.

      Nachdem die Menschen sich einmal eingeredet hatten, das alles, was geschieht, ihretwillen geschehe, mussten sie an jedem Ding dasjenige für die Hauptsache halten, was ihnen am nützlichsten war, und alles das als das Vorzüglichste schätzen, was am angenehmsten auf sie wirkte. Daher mussten sie folgende Begriffe bilden, mit denen sie die Natur der Dinge erklärten, nämlich: Gut und Schlecht, Ordnung und Verwirrung, Warm und Kalt, Schönheit und Hässlichkeit u.s.w. Und daraus, dass sie sich für frei halten, sind die weiseren Begriffe entstanden: Lob und Tadel, Verfehlung und Verdienst. Diese letzteren werde ich indessen erst später behandeln, nachdem ich die menschliche Natur behandelt haben werde; die ersteren aber seien hier kurz erläutert. Alles, was zum Wohlbefinden oder zur Verehrung Gottes beiträgt, nannte man gut, das Gegenteil aber schlecht. Und weil diejenigen, die die Natur der Dinge nicht erkennen, nichts von den Dingen selbst behaupten, sondern sich die Dinge nur sinnlich vorstellen und die sinnliche Vorstellung für Erkenntnis halten, glauben sie in ihrer Unkenntnis der Dinge und ihrer Natur fest an eine Ordnung der Dinge. Denn wenn dieselben so beschaffen sind, dass wir, wenn sie uns durch die Sinne dargestellt werden, sie uns leicht vorstellen und demgemäß uns leicht an sie erinnern können, nennen wir sie wohl geordnet; im gegenteiligen Fall nennen wir sie schlecht geordnet oder verworren. Und weil uns das, was wir uns leicht vorstellen können, angenehmer ist als anderes, darum ziehen die Menschen die Ordnung der Verwirrung vor, als ob die Ordnung, auch abgesehen von unserer Vorstellung, etwas in der Natur wäre. Sie sagen auch, Gott habe alles in Ordnung geschaffen, und auf diese Weise schreiben sie Gott, ohne es zu wissen, sinnliche Vorstellung zu; wenn sie nicht vielleicht meinen, Gott habe, die menschliche Vorstellung vorhersehend, alle Dinge so eingerichtet, wie sie von den Menschen am leichtesten vorgestellt werden können. Wahrscheinlich stoßen sie sich gar nicht daran, dass es auch Unendliches gibt, was unsere Vorstellung weit übersteigt, und sehr vieles, was ihre Vorstellung, wegen deren Schwäche, verwirrt. Doch genug hiervon.

      Auch die übrigen Begriffe sind weiter nichts als Vorstellungsarten, durch die die Einbildungskraft auf diese und jene Weise erregt wird, die aber von Unwissenden für die hauptsächlichsten Attribute der Dinge gehalten werden, weil sie, wie wir bereits gesagt, der Meinung sind, alle Dinge wären um ihretwillen gemacht, und sie nennen die Natur eines Dinges gut oder schlecht, gesund oder faul und verdorben, je nachdem, wie sie von demselben erregt werden. Wenn zum Beispiel die Bewegung, die die Nerven von den Gegenständen empfangen, die mit den Augen wahrgenommen werden, dem Wohlbefinden zusagt, so werden die betreffenden Gegenstände schön genannt; die aber, die den entgegengesetzten Eindruck machen, werden hässlich genannt. Was durch die Nase den Sinn erregt, nennt man wohlriechend oder stinkend; was durch die Zunge, süß oder bitter, schmackhaft oder unschmackhaft u.s.w.; was durch Tasten, hart oder weich, rauh oder glatt u.s.w. Von Dingen schließlich, die das Gehör erregen, sagt man, sie seien geräuschvoll oder wohlklingend. Das letztere hat die Menschen so betört, dass sie glaubten, Gott selbst erfreue sich an der Harmonie, und es gibt sogar Philosophen, die überzeugt sind, dass die Bewegungen der Himmelskörper eine Harmonie bilden. Das alles zeigt deutlich, dass jeder nach dem Zustand seines Gehirns über die Dinge geurteilt oder vielmehr die Erregungen seiner Einbildungskraft für die Dinge selbst genommen hat. Es ist daher kein Wunder (um auch das nebenbei anzumerken), dass unter den Menschen so viel Meinungsstreit, wie wir erfahren, entstanden ist und daraus schließlich der Skeptizismus. Denn obwohl die menschlichen Körper in vielem übereinstimmen, so weichen sie doch in sehr vielem voneinander ab. Darum erscheint dem einen oft etwas gut, dem anderen schlecht, diesem geordnet, jenem verworren, dem angenehm, jenem unangenehm, und dasselbe gilt vom Übrigen; doch gehe ich hier darüber hinweg, weil einerseits hier der Ort nicht ist, den Gegenstand eingehend zu behandeln, anderseits jeder darüber Erfahrung genug besitzt. Sind doch in aller Mund die Sprichwörter: »So viele Köpfe, so viele Meinungen«, »Jeder hat genug an seinem eigenen Kopf«, »Die Geschmäcker sind so verschieden wie die Köpfe«. Diese Redensarten zeigen zur Genüge, dass die Menschen je nach dem Zustand ihres Gehirns über die Dinge urteilen und dass sie die Dinge weniger erkennen als sich sinnlich vorstellen. Denn wenn sie die Dinge erkannt hätten, so würden diese, wie die Mathematik beweist, alle, wenn auch nicht anlocken, so doch überzeugen.

      Wir sehen also, dass alle Begriffe, mit denen das Volk die Natur zu erklären pflegt, nur verschiedene Vorstellungsarten sind und nicht die Natur der Dinge selbst, sondern nur die Beschaffenheit der Vorstellung anzeigen. Und weil sie Namen haben, die so lauten wie Namen von wirklich vorhandenen, außerhalb der Vorstellung existierenden Wesen, so nenne ich diese Wesen nicht Vernunftwesen, sondern Wesen der Einbildung. Daher können alle Argumente, die gegen mich aus derlei Begriffen geltend gemacht werden, leicht aus dem Felde geschlagen werden. Viele pflegen nämlich folgendermaßen zu argumentieren: Wenn alles aus der Notwendigkeit der vollkommensten Natur Gottes erfolgt ist, woher kommen dann so viele Unvollkommenheiten in der Natur, wie das Faulen der Dinge, sogar bis zum Übelriechen, die ekelerregende Hässlichkeit gewisser Dinge, die Unordnung, das Schlechte, die Verfehlung u.s.w.? Sie sind aber, wie gesagt, leicht zu widerlegen. Denn die Vollkommenheit