Der Seewolf. Джек Лондон

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Название Der Seewolf
Автор произведения Джек Лондон
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783963619649



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bei der Geburt schwimmen konnte oder nicht, bewiesen sie durch kriegerische Behauptungen und Angriffe auf Urteilskraft, Verstand, Nationalität oder Vorleben des Gegners. Die Widerlegung war entsprechend. Ich erzähle dies nur, um die geistige Beschaffenheit der Männer zu zeigen, auf deren Umgang ich jetzt angewiesen war. In geistiger Beziehung waren sie Kinder, in körperlicher ausgewachsene Männer.

      Und sie rauchten, rauchten unaufhörlich, und noch dazu einen billigen, stinkenden Tabak. Die Luft war dick und trübe vor Rauch. Das und die heftigen Bewegungen des Schiffes im Sturm würden mich sicher seekrank gemacht haben, wenn ich dazu geneigt hätte. So hatte ich nur eine Art Schwindelgefühl, das aber vielleicht auch von dem Schmerz in meinem Knie und meiner Erschöpfung herrührte.

      Wie ich so dalag, machte ich mir natürlich Gedanken über meine Lage. Es war sicher einzig in seiner Art, kaum im Traum auszudenken, dass ich, Humphrey van Weyden, ein Mann von akademischer Bildung, ein Dilettant, wenn ich so sagen darf, in künstlerischen und literarischen Dingen, mich hier auf der Fahrt mit einem Robbenfänger zur Beringsee befand. Mein ganzes Leben lang hatte ich keine schwere körperliche Arbeit getan. Ich hatte ein ruhiges, ereignisloses Leben, das Dasein eines Einsiedlers geführt, mich mit Büchern beschäftigt und mein sicheres, behagliches Auskommen gehabt. Sport und Athletik hatten mich nie gereizt. Ich war stets ein Bücherwurm gewesen, so hatten Vater und Geschwister mich schon in meiner Kindheit genannt. Nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich unter freiem Himmel kampiert, und da hätte ich beinahe die Gesellschaft zu Beginn des Ausfluges verlassen, um zu der Gemütlichkeit und Behaglichkeit eines Daches zurückzukehren. Und nun hatte ich die trostlose Aussicht auf endloses Tischdecken, Kartoffelschälen und Geschirraufwaschen. Und dabei war ich nicht sehr kräftig. Zwar hatten die Ärzte gesagt, dass ich eine vorzügliche Konstitution besäße, aber ich hatte sie nie durch Übung entwickelt. Meine Muskeln waren schlaff wie die eines Weibes, das hatten mir wenigstens die Ärzte immer wieder versichert bei dem Versuch, mich zur Ausübung eines Sports zu überreden. Aber ich hatte es vorgezogen, lieber den Kopf als den Körper zu gebrauchen, und nun saß ich hier in einer keineswegs geeigneten Verfassung für das raue Leben, das jetzt meiner harrte. Das waren einige der Gedanken, die mir durch den Kopf schossen und die ich hier gleich erzähle, um die Rolle von Schwäche und Hilflosigkeit, die ich spielen sollte, zu rechtfertigen. Daneben gedachte ich aber auch meiner Mutter und meiner Geschwister und malte mir ihren Schmerz aus. Ich gehörte zu den vermissten Toten der ›Martinez‹-Katastrophe, zu den nicht gefundenen Leichen. Ich sah die Überschriften in den Zeitungen vor mir, sah das Kopfschütteln der Kameraden im Klub und hörte sie sagen: »Armer Kerl!« Und ich sah Charley Furuseth vor mir, wie ich ihn beim Abschied gesehen, im Schlafrock auf dem Diwan liegend und seine orakelhaften tiefsinnigen Epigramme schmiedend.

      Inzwischen erkämpfte sich der Schoner ›Ghost‹ seinen Weg, rollend und stampfend, hinauf auf die wogenden Berge und hinab in die schäumenden Täler, immer weiter hinein ins Herz des Pazifik – und ich war auf ihm. Ich konnte den Wind dort oben hören. Wie ein gedämpftes Brausen drang er mir ans Ohr. Ab und zu stampften Füße über meinem Kopf. Von allen Seiten erklang ein unaufhörliches Knarren, das Holzwerk ächzte, quiekte und stöhnte in tausend Tonarten. Die Jäger stritten immer noch und brüllten wie eine halbmenschliche Amphibienbrut. Die Luft schwirrte von Flüchen und Zoten. Ich konnte ihre zornigen, erhitzten Gesichter sehen, ins Riesenhafte verzerrt durch das krankhafte Gelb der Schiffslampen, die mit dem Schiffe hin und her schwankten. In dem trüben Tabakdunst wirkten die Kojen wie die Käfige in einer Menagerie. Ölzeug und Seestiefel hingen an den Wänden, und hier und dort waren Gestelle mit Flinten und Büchsen angebracht. Es gemahnte an die Ausrüstung von Freibeutern und Piraten in vergangenen Zeiten. Ich ließ meiner Fantasie freien Lauf und konnte nicht schlafen. Es war eine lange, lange Nacht, ermüdend, unheimlich und endlos.

      5

      Aber meine erste Nacht im Zwischendeck war auch die letzte. Am nächsten Tage wurde Johansen, der neue Steuermann, von Wolf Larsen zum Schlafen ins Zwischendeck geschickt, während ich die Koje in der winzigen Kajüte, die schon am ersten Tage meiner Seereise von zwei Personen besetzt gewesen war, erhielt. Den Grund des Wechsels erfuhren die Jäger bald, und er weckte ziemlich viel Unbehagen unter ihnen. Johansen schien im Schlaf die Ereignisse des Tages jede Nacht noch einmal zu durchleben. Sein unaufhörliches Reden, Schreien und Kommandieren war Wolf Larsen zu viel gewesen, und er hatte den lästigen Schlafgenossen deshalb zu seinen Jägern abgeschoben.

      Nach einer schlaflosen Nacht erhob ich mich, müde und leidend, um meinen zweiten Tag auf der ›Ghost‹ zu beginnen. Um halb sechs purrte Thomas Mugridge mich heraus, ungefähr so, wie Bill Sykes seinen Hund hinausgejagt haben würde; aber seine Rohheit gegen mich wurde Herrn Mugridge in gleicher Münze zurückgezahlt. Der unnötige Lärm, den er schlug, musste einen von den Jägern geweckt haben, denn ein schwerer Schuh sauste durchs Halbdunkel, und ich hörte, wie Herr Mugridge vor Schmerz aufheulte und demütig um Entschuldigung bat. Später bemerkte ich, dass sein eines Ohr gequetscht und angeschwollen war. Es bekam seine frühere Form nie ganz wieder und wurde von den Matrosen von jetzt an ›Blumenkohlohr‹ genannt.

      Der Tag wurde eine Kette von Verdrießlichkeiten verschiedenster Art. Ich hatte am Abend meine getrockneten Kleider vom Kombüsendach heruntergeholt und wollte sie nun zunächst wieder mit dem Zeug des Kochs vertauschen. Ich sah nach meiner Börse. Außer einigem Kleingeld (ich habe ein gutes Gedächtnis für derlei) hatte sie 185 Dollar in Gold und Scheinen enthalten. Die Börse fand ich, aber bis auf das Kleingeld war sie leer. Ich fragte den Koch danach, und wenn ich auch eine schroffe Antwort erwartet hatte, so überstieg ihre Niedertracht doch alle Grenzen.

      »Sag’ mal, Hump«, begann er knurrend, und seine Augen leuchteten vor Bosheit, »willst du, dass ich dir die Nase einschlage? Wenn du meinst, dass ich ein Dieb bin, dann hast du dich geirrt. Ich will blind sein, wenn das nicht der schwärzeste Undank ist, den ich je erlebt habe. Da kommt so ein elendes Gestell von Mensch, ich nehme es in meine Kombüse auf und behandle es gut, und das hab’ ich nun davon! Das nächste Mal kannst du meinetwegen zum Teufel gehen, ich werde schon dafür sorgen!«

      Damit hob er die Fäuste und ging auf mich los. Zu meiner Schande sei gesagt, dass ich dem Schlage feige auswich und zur Kombüse hinauslief. Was hätte ich tun sollen? Gewalt, nichts als rohe Gewalt herrschte auf diesem Schiffe. Moralische Begriffe galten hier nicht. Stellt euch vor: ein Mann von Mittelgröße mit schwachen, ungeübten Muskeln, der ein friedliches, ruhiges Leben geführt und nie eine Gewalttat gekannt hatte – was konnte der wohl machen? Es mit dieser menschlichen Bestie aufzunehmen, wäre für mich dasselbe gewesen, wie dem Angriff eines wütenden Bullen standzuhalten.

      So dachte ich jedenfalls damals aus dem Bedürfnis heraus, mein Gewissen zu beschwichtigen. Aber befriedigend war diese Rechtfertigung nicht. Noch heute leidet mein Mannesstolz schwer darunter, wenn ich an diese Dinge zurückdenke, und ich kann mich nicht freisprechen.

      Aber das gehört nicht hierher. Mein schnelles Laufen aus der Kombüse verursachte qualvolle Schmerzen in meinem Knie, und hilflos sank ich neben der Kajütentür zu Boden. Aber der gewalttätige Koch hatte mich nicht verfolgt.

      »Sieh mal, wie er laufen kann! Wie er laufen kann!« hörte ich ihn rufen. »Und mit dem Bein! Komm nur wieder her, Mamas Liebling. Ich schlage dich nicht, wirklich nicht.«

      Ich kam zurück und nahm meine Arbeit wieder auf. Für diesmal war von der Sache nicht mehr die Rede, wenn sich auch später weitere Verwicklungen daraus ergeben sollten. Ich deckte den Frühstückstisch in der Kajüte, und um sieben Uhr wartete ich Jägern und Offizieren auf. Der Sturm hatte sich im Laufe der Nacht etwas gelegt, wenn die See auch noch hoch ging und immer noch ein steifer Wind wehte. Die Segel waren wieder gehißt worden, sodass die ›Ghost‹ jetzt unter voller Leinwand bis auf die beiden Toppsegel und den Außenklüver dahin schoss. Diese drei Segel sollten, wie ich der Unterhaltung entnahm, gleich nach dem Frühstück gesetzt werden. Ich erfuhr auch, dass Wolf Larsen bedacht war, soviel wie möglich aus dem Sturm herauszuholen, der ihn nach Südwest, der Gegend zutrieb, wo er erwarten konnte, in den Nordostpassat zukommen. Mit diesem stetigen Wind hoffte er den größten Teil der schnellen Fahrt nach Japan zurücklegen zu können, und deshalb schlug er jetzt einen Bogen nach Süden in die Tropen, um dann, wenn er sich der asiatischen Küste näherte, wieder nach Norden umzubiegen.

      Nach dem Frühstück hatte ich wieder ein