Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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sang Gabriel und schlug mit dem Stocke dazu den Takt. Und fort zog er, hinaus durch die Schluchten und Täler. Zu beiden Seiten hatte er hohe Berge. Und als diese zurückblieben, mit ihren Wäldern und Wildnissen, gab ihnen Gabriel keinen Abschiedsgruß.

      In Rattenstein machte er dem Arzt einen Besuch und bat ihn, wenn er irgendeinmal in die Einöde käme, sich nach seiner kranken Mutter umzusehen.

      Eine Stunde weiter, bei Karnstein, betrat er das breite Tal, in welchem viele Arbeiter am Bau einer Eisenbahn beschäftigt waren.

      Als er für die erste Nacht in einem Gehöfte übernachtete und vor dem Schlafengehen in dem Hausflur warme Milch und Brot genoß, setzte sich der Bauer zu ihm und sagte:

      »Nichts für ungut, wohin geht die Reis'?«

      »In die Fremde hinaus«, antwortete Gabriel.

      Der Bauer tat mit der Hand einen wegwerfenden Wink:

      »Da hab' ich schon genug. Halt' nichts auf das Länderpassieren; mit einem geflickten Rock geht man fort, mit einem zerrissenen kommt man heim. Arbeiten wollen die jungen Herren nicht, nur alleweil die Welt breittreten. Gleich mit dem Schnallendrucken seid ihr zur Hand und meint, unser Herrgott hätt' die Häuser nur für die Stromer an die Straße gerückt; – von glühendem Eisen sollt' jede Türschnalle sein, tät' euch's wünschen. – Nu, nu, Er mag seine Milch schon ausschaufeln, red' ja nicht von Ihm allein. Brocken mag er auch noch – g'segn Ihm's Gott! Aber das habt ihr schon so, viel lieber Hunger leiden, als einmal einen Haustiel angreifen. Allweg bequem, das ist eure Such'; wenn's euch auf der Straß' zuviel Staub hat, so lauft ihr über die Felder und stampft das liebe Gotteskörndl in den Grund. Und wenn ihr zum Haus kommt, gleich nistet ihr euch ein, man weiß gar nicht wie; die Flügel gehen euch noch ab, sonst wäret ihr prächtige Spatzen auf unseren Scheunen. – So, wenn Er 'gessen hat, so führt Ihn der Bub in den Stall hinaus, hab' ein frisches Heu; aber tu Er sich einen Strohbausch unter Haupten legen, sonst kennt Er sich morgen nicht aus vor lauter wüstem Kopf. Lass' Er mir aber seine Tabakspfeif' in der Stuben! – Ihr seid ein leichtsinniges Volk und fragt einen Kletzen danach, wenn ihr einem Haus und Hof niederbrennt. – Was schaut Er denn so? Red' ja nicht von Ihm, Er hat ja gar keinen solchen Trenstiegel, seh' ich. Fall' Er nicht über die Leiter. Schütz' Ihn Gott der Herr!«

      Die zweite Nachtherberge suchte Gabriel in einer Hütte, welche an einem Berghang klebte. Sie wurde ihm gewährt, und ein alter Mann setzte sich gleich zu ihm auf die Ofenbank, fragte ihn nach Neuigkeiten und bedeutete, daß er gar rechtschaffen wißgierig sei, was sich in der Welt draußen so hin und wieder zuträgt, und er halte sich deswegen gern lebendige Zeitungen mit zwei Füßen und einem Wanderstabe. Just auf alles dürfe man keinen Eid schwören, was solche Zeitungen bringen, aber die gedruckten seien auch nicht all' Tag ein Evangelium.

      Und der Alle hatte für seine zweifüßigen Zeitungen in der Dachstube ein bequemes Lager mit leidlich reiner Wäsche; wenn Gabriel auch sonst nichts zu erzählen wußte als vom Heidehause in der Einöde, von Haberturms Rudolf und von der Zapfenwirtin, die ein Redetalent habe wie keine zweite mehr auf der ganzen Welt, so wurde er dennoch gut gehalten und gepflegt.

      Am dritten Tage kam Gabriel in ein flaches Moorland, und als es Abend wurde, fand er keine Menschenwohnung und mußte hungernd und durstend in einer verfallenen Lehmhütte übernachten.

      Am vierten Tage wanderte Gabriel auf einer fruchtbaren Ebene; die Leute heimsen eben die Spätherbsternte ein. In der Richtung, in welcher noch einen Tag früher das Gebirge gelegen, mit den bläulichen Höhen der Einöde, mit den Kanten der Wildschroffen, deren Anblick den Wanderer lange begleitet hatte – lag heute auf der Ebene der Horizont mit fernen weißen Wölklein. Weit, weit war die Heimat zurückgeblieben.

      Die Gegend war sehr lebendig. Große Dörfer und Herrenhäuser hin und hin, und reiche Gärten. Die Straße hatte zahlreiche Abzweigungen, und auf allen fuhren Lastwagen und Herrschaftskutschen, trabten Reiter hin, eilten Menschen an Schiebkarren. An demselben Tage sah Gabriel die erste fertige Eisenbahn und den elektrischen Draht.

      Und an demselben Tage erreichte er die Hauptstadt.

      – Hast du gemeint, Gabriel, gleich, wie du mit Sack und Pack durch das Stadttor gingest, kämen sie dir entgegen und sagten: Ei schau, des Heidepeters Sohn aus der Einöde! Mit Freude nehmen wir dich auf; sei uns gegrüßt!

      – Nun, und ist dir keiner entgegengekommen und hat keiner so gerufen?

      Keiner von den vielen Tausenden, die hier zwischen den hohen Prachtbauten zu Fuß und zu Pferd und zu Wagen an ihm vorübereilten.

      Gabriel stellte sich anfangs an eine Mauernische und meinte, das Gedränge würde vorüberziehen. Als es aber nicht vorüberzog – als er immer wogte, als er immer brauste, der ewig schäumende, gischtende, hochbewegte Menschenstrom, da stürzte sich Gabriel denn auch hinein wie ein Tröpflein aus der Gebirgsquelle, und ließ sich mitreißen in das Meer...

      Da stand er auf einem großen Platz, den ein weiter Ring von Häusern und Palästen umschloß, und das war ein Hineilen über das Pflaster, ein Rasseln und Schnurren, ein Treiben an den Ständen und Buden, und das war ein feines, glattes Wesen an den Geräten, an den Kleidern, an den Gesichtern, und ein Glitzern und Funkeln an den Fenstern und Auslagen. Männer in blauen Kitteln zündeten die Laternen an, und es schien doch noch die Sonne auf die Türme und Giebel.

      – Gabriel, du hast immer gemeint, du seiest jemand, in der Einöd' haben sie dich geliebt, oder geneckt, oder verspottet, oder gequält, aber beachtet haben dich alle. Hier verschwindest du und bist nichts; ob du lebst oder stirbst, es fragt kein Mensch nach dir.

      Ein Trommeln und Wirbeln übertönte plötzlich allen anderen Lärm, und viele Leute eilten einem großen Bretterbaue zu, der zwischen wilden Kastanienbäumen stand. Auf diesem Baue waren weißrote Fähnlein und Fahnen gepflanzt; an den Wänden waren große Gemälde von Schlachten, Schiffsbränden, wilden Tieren und Menschen in den wunderlichsten Stellungen. Über einem roten Vorhang, zwischen welchem Spiegel und brennende Luster schimmerten, stand groß hingeschrieben: »Das Universum!« Und ein Mann in buntem Anzuge, der auf einem hohen Gestelle stand und die Trommel handhabte, schrie: »Das Universum, meine Herrschaften! Alle Hauptstädte der Erde, alle sieben Weltwunder, drei feuerspeiende Berge und ein Seesturm, die Völkerschlacht bei Leipzig und das brennende Moskau um zehn Kreuzer! Ferner alle Merkwürdigkeiten der Tierwelt, der Drache mit den sieben Köpfen, das Krokodil, der Walfisch, der den Jonas verschluckt hat, alles um zehn Kreuzer! Und im Extrakabinett das himmlische Jerusalem; die babylonische Schöne – unvergleichlich, meine Herrschaften!« – Die Stimme war heiser, es versagte der Atem. Mit einem Lappen wischte sich der Marktschreier den Schweiß vom Antlitz, und dabei vernichtete er die rote Schminke, und nun marktschreierte er mit fahlen Wangen. Dann wieder rührte er die Trommel, und die Menschen strömten in das hölzerne Haus.

      Das Universum! Wanderer von der Einöde, die ganze Welt auf einmal und um zehn Kreuzer!

      Gabriel stand in einem Winkel neben dem Eingang, hielt sein kleines Bündel unter dem Arm und legte die Hand an das Kinn, wie sein Vater tat, wenn er einen schweren Gedanken hatte. – Um zehn Kreuzer! – Ja, wenn das Ding billiger wäre! Zehn Kreuzer ist ein Teil seines Vermögens.

      »Um fünfe darf einer nicht hinein?« fragte er einen Mann, der in kohlschwarzen Kleidern an der Pforte stand.

      Dieser sah den Burschen eine Weile an, gab ihm aber keine Antwort.

      »Wenn Ihr mich nicht hineinlaßt, so tut mir die Gefälligkeit und sagt, wo der Professor Frei zu finden ist. Ich bin ganz fremd da und kenne keinen Menschen. Ich bin weit von der Einöde her und will mich umsehen in der Welt und was Neues probieren.«

      »Den Professor Frei weiß ich nicht, aber –« Der Mann mußte immer Karten abnehmen und konnte deshalb nicht weiterreden. Als niemand mehr kam und der größte Menschenhaufen sich verlaufen hatte, wendete er sich gegen Gabriel, und mit einer fremdartigen Stimme, welche die Worte nur so herausstieß, sagte er:

      »Die Welt wollen Sie ansehen, junger Mann, und was probieren wollen Sie? Heißa, dazu gibt's die herrlichsten Wege. Parbleu, junger Mann, kommen Sie mit uns! Unser sind wir einige fünfzehn – junge, tolle Bursche, Kerle