Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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vertreibt mir heut' die Gäst' wieder allsamt.« – Und laut sagt sie: »Du, Alter, 's kommt mir vor, als hätt' dich draußen wer gerufen.«

      Und der Alte weiß wohl, von wannen die Stimme kommt; er geht hinaus und mit verschränkten Armen ein wenig im Hofe umher. Aber das grelle Taglicht tut seinen rotunterlaufenen Augen nicht wohl, und da steigt er denn dann und wann in den dunkeln Hauskeller oder er schleicht gar hinüber zur Kapelle und tastet die Stufen hinab in die Gruft. Und da ragen sie der Reihe nach, die runden, bauchigen Särge; in einigen gärt es noch, in anderen ist es stille – Grabesruhe. – Sind aber nur scheintot, die Aufgebahrten hier, in jedem schlummert noch der Geist, der Erlösung und Auferstehung harrend. Der Zapfenwirt verweilt gern in dieser Gruft, und er wagt nicht selten ein verwegen Spielchen mit den Geistern.

      Diese Spielchen und die schattige Kühle tun dem Zapfenwirt immer wohl, aber wenn er endlich wieder heraufklettert aus den Kellerräumen, so kann er das grelle Licht schier nicht ertragen, es schwindelt ihm so, er taumelt – muß ins Bett gehen. Und wenn der Zapfenwirt in seinen Federn ruht, da ist für ihn eine schöne, friedliche Zeit.

      Die Zapfenwirtin geht, wie sie sagen, wohl schon auf ihren letzten Füßen, aber ihr Ehegespons geht eben auch nicht mehr auf den ersten. Indes hegt er zuzeiten ihretwegen noch manch gelinden Zweifel. Nicht ohne innere Unruhe stand der Zapfenwirt oft da und sah sein Söhnlein, den Davidl, an. Drei Eimer aus seiner »Gruft« hätte er gegeben, wenn Davidl gleich ihm eine »Beichtzettelnase« trüge. Aber der Gesichtsvorsprung des Jungen hatte ganz andere Formen, nicht die schmale, dünne Gesichtskante, die man in der Gegend Beichtzettelnase nennt, sondern eine fremde, stumpfwulstige Nase hatte der Davidl. – Weiß Gott, die Weiber! und erst die Schänkinnen!

      Davidl ist ein erwachsener Bursche geworden, hat aber noch immer die zerzausten Fuchshaare. Sein Mund ist nicht zu schmal und nicht zu enge und läßt die strohgelben Zähne sehen, die in verschiedenen Richtungen aus den Backen stehen. Die Wangen sind bereits ein wenig eingefallen und zeitweise von gelblichgrüner Farbe; um die Oberlippe liegt dunkler Bartanflug. Um die Augen hat er bläuliche Ringe bekommen, weswegen ihn boshafte Leute den Brillen-Davidl nennen. Die Zapfenwirtin aber heißt ihn den »jungen Herrn«, wie recht und billig, maßen er bestimmt ist, über kurz oder lang das Zapfenwirtshaus zu übernehmen. Vorderhand führt freilich noch die Wirtin das Regiment, und 's gibt Zeiten, in welchen sie mit ihrem Sohne in Zank gerät, ihn einen Taugenichts, einen Lumpen nennt. Davidl widerspricht ihr nicht hierin, sondern heißt sie kurzweg eine Schnattergans oder eine alte Vettel. Trotzdem zieht er regelmäßig den kürzeren, und die Zapfenwirtin schlägt in trauten Stunden Besenstiele ab auf seinem Rücken. Die Folge davon ist, daß der Davidl auf eine der alten Fichten klettert und dort in der dichten Krone bei einem Geierneste zu verharren beschließt, bis er verhungert und verdorrt wie die Zapfen herabkollert auf das Dach seines Vaterhauses.

      So weit indes läßt's die Mutterliebe nicht kommen; gar bald ruft sie bangend hinaus das Wort: »Davidl!«, und sie eilt unter die Fichten, und trotz des Zapfenhagels, den ihr holder Sohn auf sie herabrüttelt, schreit sie: »Laß mir die Unbild vergeben und vergessen sein, mein Kind, und komm' herab; ich hab' dir einen fetten Eiertomerl gekocht, und zum Hinabschwemmen ist auch etwas hergerichtet. Geh, steig nieder, mein Davidl, aber gib mir Gotts wegen Obacht, daß du dich nicht verstauchst!«

      Wenn auch nicht unmittelbar nach solcher Bitte, so siegt doch nach einiger Zeit die Liebe zum Eiertomerl gegen den Todesentschluß, und Davidl klettert vom Baume.

      Einmal ging der Hahnenkamp vorüber, als der Bursche nach einem ihm widerfahrenen Unrecht sich eben wieder in die hohe Baumkrone verkrochen hatte.

      »Eure Bäume tragen saubere Früchte!« sagte der Bauer zur Zapfenwirtin.

      »Die deinen tragen gar keine, Steffel!« entgegnete die Schänkin giftig, auf Hahnenkamps Kinderlosigkeit zielend.

      »Gottes Fürsicht. So ein Früchtel hätt' ich schon neunundneunzigmal ins Rübenfeld hineingehaut. Wär' der Bub' da mein Sohn, und er tät' sich so ducken da oben beim Geiernest, ich wüßt', was ich ihm sagen tät': Hol' dich der Geier, du Erzlump! Und kommst du mir noch einmal auf Gottes Erdboden nieder, so hau' ich drei Heustangen über dich ab!«

      »Hau' du die Heustangen über deine Leut' ab!« schrie die Wirtin mit funkelnden Augen, »deine Knechte ludern sauber genug beim Heurechen; wenn die Sonn' scheint, liegen sie unterm Baumschatten; wenn's regnet, bleiben sie auch liegen unterm Dach. Die werden dir noch faul mitsamt dem Heu! Und hau' lieber deine hochnäsigen Mägd' in den Rübenacker, eh' sie dir ganze Säcke Rüben davonschleppen und verschachern. Von deinem Weib gilt dasselb', gilt noch mehr, du Hahn'r du! Und wer vor seiner eigenen Tür soviel Mist hat, der soll vor einer fremden nicht kratzen. Hörst es, Winkelbauer, die mein' schlag ich dir vor der Nase zu, du bist mir Kas! Von dir wird kein Wirt reich, du Geizfilz; und ich dank noch meinem Gott, wenn du mir die Gläser rein läßt, 's will nach dir so keiner trinken draus. Wasch dir dein Maul einmal mit Bachsand, das ist ein guter Rat, du grauslicher Schmutzhammel, du!«

      Der Hahnenkamp lachte überlaut und rief noch durch das Fenster hinein:

      »Ich lach'! Du alte Waldschnepf, und dreihundert Zapfenwirtinnen zusammen sind nicht imstand', mir soviel Ärger zu machen, nicht soviel!« Er reckte einen Finger empor und deutete nach dem schwarzen Nagel. »Und daß du die Tür vor mir zuschlägst, ist mir auch recht; wenn das Bettelweib die Hand nicht auftut, so bleibt einem der Pfennig gespart, 's ist doch wahr, was die Einschicht-Res sagt: Der Herrgott und der Teufel sind zusammen durch die Welt gegangen; wo der Herrgott gerastet, da steht eine Kirchen, wo der Teufel gerastet, da steht ein Wirtshaus. B'hüt dich Gott, Zapfenwirtin!«

      Da flog die Tür auf, und die Wirtin goß einen mächtigen Kübel Schwemmwasser gegen den höhnenden Mann.

      Der Hahnenkamp ging langsam davon, aber sein Gesicht war dunkelrot und sein Hals merkwürdig angeschwollen. Als er über seine Wiese ging, wo die Leute bei der Heuernte waren, sagte er halblaut zu seinem Weibe:

      »Alte, komm mir in zehn Minuten nach, hab' was zu reden mit dir!« Dann schritt er dem Hause zu.

      Die Bäuerin begann zu schluchzen und klagte es der Magd, daß sie nun wieder Schläge bekäme, warum, das wisse sie nicht, es müsse ihren Mann wieder wer »wild« gemacht haben, er sei nun schon vorausgegangen, um den Strick zu drehen.

      »So geh ihm halt nicht nach, Bäuerin«, riet ihr die Magd.

      »O jegerl, da wär's aus!« jammerte das Weib, »nicht, daß ich's sag', aber bei den Haaren tät' er mich ins Haus schleppen, und erschlagen tät' er mich. Es ist wohl ein Graus, wenn man mit einem solchen Wildling zusammengebunden ist sein Lebtag lang.«

      Ergeben in ihr Schicksal, ging sie dem Hause zu. Ein Wirbelwind kam und zerzauste die Heuschichten, und die Fetzen tanzten in der Luft, und einzelne Halme trug er hoch empor; sie fielen nicht mehr zurück auf die Wiese des Hahnenkamps, sondern verloren sich im Walde, blieben hängen im Gestrüpp – ein Vogelpaar wird sie sammeln und sich ein trauliches Nest daraus bauen. Möchten die Ehen der Menschen immerdar so friedlich sein als die der heiteren Vöglein in den Lüften.

      Da ging's beim Haberturm ruhiger zu.

      Und der Haberturmhof zeigte, daß die Weiber überhaupt auf der Welt zu entbehren sind. Da gab's keine Stallmagd, sondern einen Stallbuben; keine Küchenmagd, sondern einen Küchenbuben; und am Herde und im Speisekasten und in der Vorratskammer, da war nur der Haberturm daheim. Und es mag wohl gesagt werden, er war hier daheim wie die umsichtigste Hauswirtin, und sein Sterz und seine Knödeln unterschieden sich in nichts weiter von denen weiblicher Erzeuger, als daß sie sehr oft – nicht da waren. Dieser Unterschied hatte seinen Grund darin, weil auch der Haberturm sehr oft nicht da war.

      Es gab Tage, wo der Bauer sich dennoch gern von weiblichen Wesen kochen, einschenken und bedienen ließ, und da saß er denn unten im Zapfenwirtshause beim mittleren Tisch oder beim Kachelofen, und die Gespräche der Wirtin hielten seinen Geist rege bis auf den Moment, wo der Haberturm mit dem Oberkörper langsam nach vorn auf den Tisch sank und friedlich einschlummerte.

      Indes hatte der einsichtsvolle Mann für derlei Fälle vorgesorgt.

      »Du, Hannes,« hatte er einmal zum Altknecht gesagt, »Mensch