Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Heidepeter, der Fuchsbartl kommt!« schnaufte er unterwegs und guckte immer auf die funkelnde Kapsel unter dem Hahn.

      Vor dem Heidehause nagelte der Schulmeister die bretterne Hirschgestalt zusammen. Es war in der Nacht ein heftiger Wind gewesen, und der hatte das Ding von der Wand geworfen. Der Schulmeister nahm eine Leiter und befestigte den Hirschen wieder an seinem Platze. Gabriel langte ihm dazu die Nägel hinauf.

      Als sie mit der Arbeit fertig warm, gingen sie zum Bänkl unter den Tannen, und es begann die Lehrstunde.

      Gabriel hatte eine Schiefertafel auf den kleinen Knien und einen Stift in der Hand, und der alte Mann diktierte ihm folgende Worte:

      Rastlos mußt du vorwärts streben,

       Durch die Nacht zum Morgenrot;

       Denn im Lichte blüht das Leben

       Und im Dunkeln kriecht der Tod.

      Es ging wohl ein Stündchen vorüber, bis der Kleine mit diesem fertig war, und die Tafel wurde schier zu eng. Weil Gabriel die Gewohnheit hatte, das Gesicht sehr nahe an die Tafel zu halten, so fragte ihn der Lehrer heute:

      »Gabriel, schreibst du mit der Hand oder mit der Nase?«

      »Mit der Hand«, versetzte der Knabe schnell, erst später hielt er den Kopf empor und wurde sehr rot im Gesicht.

      Als der Heidepeter über den Hof ging, entließ der Schulmeister den Knaben und schritt dem Bauer entgegen.

      »Lernt der Bub' was?« fragte der Peter.

      »'s ist eine rechte Freude, was ich mit dem Kind erleb'«, antwortete der Greis.

      »Wenn's nur wahr ist; aber die Bauernarbeit muß mir der Bub' halt nach und nach auch lernen; er wird dazu, der Tausend, schon bald Mensch genug.«

      »Ich hab' ihn jetzt laufen lassen,« sagte der Schulmeister, »weil ich Euch sogleich was auszurichten habe. Der Bader läßt Euch noch sagen, Ihr sollt die Jagdtreiber verklagen wegen der Spanfackelgeschichte, durch die Eure Hausfrau in die schwere Krankheit gefallen. Die Leut' müßten Euch die Unkosten vergüten.«

      »Geht's, geht's mir mit diesen Geschichten!« rief der Peter abwehrend, »ich fang' nichts an, will im Frieden leben mit der Nachbarschaft. Und wenn ich sie all miteinander klagen tät vor dem Kaiser und vor Gott, und wenn sie mir alles auf der Welt geben könnten, meine Klara machen sie mir damit doch nicht gesund. Gott allein kann's, Herr Schulmeister, und ich fang' mit der Nachbarschaft keinen Streit an. Sie haben mich ins Elend bracht, 's ist wahr, aber daß es so traurig ausgeht, haben sie halt voraus nicht wissen können.«

      Der Schulmeister dachte:

      – Der nimmt's genau mit der Satzung: »Wer dir einen Backenstreich gibt auf die rechte Wange, dem halte auch die linke hin.« – Gesagt ist's recht schön, aber wenn's darauf ankommt, hau' ich schon lieber die erste Ohrfeige gleich wieder zurück. Da hat die christliche Lieb' einen wunden Fleck. »Wie du ausmissest, wird dir eingemessen werden«, wäre das Pflaster drauf.

      Der Peter schob einen Ziehkarren aus der Hütte und räderte ihn dem Wiesenrain zu, um das dort in Haufen gesammelte Moos und Heidekraut aufzuladen und zur Winterstreu heimzuziehen. Bei dergleichen Fuhrwerken sind die Kleinhäusler selber ihre Pferde und Ochsen.

      Hinter dem Hause im Haselgebüsch hatte der Peter eine Fuchsfange gelegt. Zu dieser ging Gabriel gern nachsehen, ob nicht einmal so ein Hühnertod in der Klemme wäre. Auch heute hüpfte er von der Tannenbank weg gegen das Gebüsch. Da hörte er in demselben etwas rauschen und bald darauf ein Gezeter. Als der Knabe vor Begierde brennend nachsah, fand er Zapfenwirts Davidl in der Klemme. Fest hatte der Eisenreif um das Bein geklappt. Neben dem Gefangenen lag das Gewehr.

      »Du lieber Gabriel, jetzt laß mich aus!« bat Davidl kläglich, »du bist immer mein Freund und Gespan gewesen, und ich hab' dich am liebsten von allen Menschen. Laß mich aus; ich bin ja zu dir gekommen und will dir dann was erzählen. Was ganz Merkwürdiges will ich dir als Lohn erzählen.«

      Vom Herzen gern hätte Gabriel der Bitte willfahren, aber er war zu schwach und konnte die starre Eisenfeder nicht bewältigen. So ging er und rief den Schulmeister.

      »O heiliger Antonius, jetzt bringen sie mich um!« wimmerte der Davidl und schlug mit der Faust wütend auf das Fangeisen.

      Endlich kam der Schulmeister, faßte zuerst das Gewehr und hielt wegen desselben mit dem Jungen ein strenges Verhör ab. Davidl sagte, daß er es vom Jäger Herbert bekommen habe, um von den Hühnern des Heidepeters die Füchse wegzuschießen. Ob ihm das aufs Wort geglaubt wurde, hat er selbst nie erfahren. Endlich aber wurde er aus seiner peinlichen Lage befreit.

      »Weil du nur keine Wunde hast,« sagte Gabriel teilnehmend, »aber nun erzähle mir auch das Merkwürdige!«

      »Wirst es gleich hören!« rief der Davidl. »Deine Mutter lebt keine drei Tage mehr, es trifft sie der Schlag. Freilich! Ich weiß es gewiß, hab's vom Bader selbst.«

      Der Junge lief davon.

      Gabriel begann laut zu weinen, aber der alte Mann drückte ihn an seine Brust und sagte mit zitternder Stimme:

      »Du gutes Kind, das war ein Lügenwort. Aber ich bitte dich, sag's nicht daheim. Sei ruhig, mein Knabe! Den Wirtsbuben wird Gott strafen, du sei gesegnet. Bleib' gut, mein Gabriel, bleib' mir nur du gut!«

      Der Greis küßte den Knaben auf die Stirne.

      Nach zehn Jahren

       Inhaltsverzeichnis

      Was ändert sich in einer kleinen, ringsum abgeschlossenen Gemeinde in zehn Jahren? Ein Dutzend Sargdeckel werden zugeklappt, der Taufsteindeckel wird einige Male aufgemacht, ein paar Invaliden kommen heim, ein paar Rekruten jauchzen in die Welt hinaus. Eine oder die andere Hütte brennt ab, da und dort wird eine neue gebaut. Alles übrige holpert in gewohnter Weise fort, wie in der Vergangenheit, wie in der Zukunft, wie immerdar.

      Alljährlich wachsen die Erdäpfel, alljährlich grünt das Haferfeld, doch nicht alljährlich reift es vor dem Schnee.

      Aber Not und Entbehrung, Zwist und Tücke blühen und reifen jahraus, jahrein, und das Wirtshaus steht offen jahraus, jahrein.

      Und alles ist älter geworden um zehn Jahre, es wäre denn in dieser Frist geworden oder vergangen.

      Die Zapfenwirtin aber ist dieselbe geblieben. Sie ist stets wohlauf und die erste und letzte im Hause; sie ist höflich mit den Gästen – heißt das, mit den anwesenden –, sie spricht gern von den Abwesenden und weiß täglich funkelnagelneue Geschichten, die sie gehört hat, die, wenn sie wahr, ganz außerordentlich sind, die sie aber nicht weitersagen will, die sie aus purer Freundschaft und im Vertrauen auf Verschwiegenheit nur dem mitteilt – nun, der eben in der Schankstube sitzt.

      Die Zapfenwirtin ist den Gästen gegenüber die Gemütlichkeit selbst, bis es zur Zechrechnung kommt, bei welcher aus reiner Ehrfurcht vor den Gästen die Gemütlichkeit aufhört. Man sagt, sie könne kein Wort schreiben, aber die Ziffern macht sie wie eine; nur daß sie mitunter von all den Wirtschaftsgedanken und außerordentlichen Neuigkeiten zerstreut ist und anstatt des Sechsers einen Neuner macht – du lieber Gott, wenn eins die Gedanken überall haben soll, so ein Dingelchen ist leicht verkehrt und sieht lieber auf dem Fuß als auf dem Kopf.

      Ihr Mann ist bei weitem nicht so umsichtig. Wenn er auch zuzeiten bei den Gästen sitzt und die längste Weile seine Pfeife stopft, so weiß er nichts Rechtes zu erzählen, er scheint eben immer an das Pfeifenstopfen zu denken. Zwar sagt er nicht: »Ist ein schöner Tag heut'!« – sondern er gibt das viel getragener und ruft aus: »Nein, das muß man sagen, eine wunderherrliche Zeit jetzt, und die Sonne scheint alleweil so warm.« Er tut auch nicht die etwas einförmige Frage: »Wie geht's denn allweg, Vetter?« – sondern er lächelt: »Nu, wie schlägt's an? – Wie macht sich's Geschäft? – Ja, der liebe Gesund, das ist das Beste.« – Aber es kommt kein rechtes Leben in das Gespräch, und die meisten Gäste gehen nach dem ersten