Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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seines Knaben: »Vater, vergiß nicht deinen Erlefried!« Aber gleichzeitig war ihm, als höre er aus einem nahen Zimmer wieder das klägliche Stöhnen wie vorhin. Mit einem flinken Satze sprang er über die Leiche hinein auf den Boden und ging in die Zimmer.

      Zwei derselben waren leer und in zerfahrenem Zustande. Gauspostillen, Spielkartenblätter und Hundspeitschen, Crucifixe und Jagdgewehre, an der Wand Heiligenbilder und Hirschgeweihe. Geistliches und Weltliches, alles durcheinander. Die zahlreichen Schränke scheinen die Habe nicht fassen zu können, denn auf dem Tische lagen Ballen von Schafwolle und Leinwand. Auf dem Betpulte standen zwei Weingläser und lag in einer Schüssel Honigfladen und Weißbrot dabei, als hätte das Gespenst der Seuche die Bewohnerschaft des Hauses gerade beim heiteren Vesperbrot überrascht.

      Im dritten Gemache endlich fand Wahnfred den Kranken. Kaum erkannte er in diesem den Pfarrherrn. In eine Ecke gesunken lag aufgedunsen und fieberroth das Haupt. Der Athem war kurz: der Kranke stöhnte zuweilen. Jetzt that er die Augen auf – sie lagen schreckhaft tief, aber es waren die strengen, gefürchteten Augen – nur unsteter, nur noch glühender.

      »Wer – denn da?« fragte er mit heiserem Tone. »Ist ja alles davon. Habe ich denn – die Pest, das alles davon ist?«

      »Der Wahnfred vom Gestade kommt zu Euch.«

      »Leg’ ab – leg’ ab! – Du bringst doch was?«

      »Ich sehe, daß Euch die Heilmittel fehlen.«

      »Heilmittel? Die Zehnten sollst Du mir bringen, Lastthier!«

      Gar mühevoll und verwirrt stieß er die Worte heraus.

      »Ich verstehe nicht.« sagte Wahnfred, der sich heute das erstemal dem Herrn überlegen fühlte, »ich verstehe nicht, wie Ihr in Eurem Zustande noch an irdische Dinge denken könnt.«

      Der Kranke wendete sein Gesicht gegen den Besucher, versuchte zu lächeln und sagte: »Sterben meint Ihr? Nein, Trawiser Leut’, den Gefallen thue ich Euch nicht. Muß Euch früher zähmen.«

      »Mein lieber Pfarrherr,« entgegnete Wahnfred, »darüber wollen wir nicht streiten. Des Menschen Leben steht in Gotteshand, und Ihr wisset es so gut als ich, was in der Ewigkeit auf uns wartet. Die Gemeinde Trawies ist christlich, sie wird Euch verzeihen.«

      Der Kranke wollte sich jetzt aufrichten. »Verzeihen!« röchelte er, »wer hat zu verzeihen? Auf den Beichtvater willst Du Dich hinausspielen? Des priesterlichen Amtes spotten? – Heide! Heide!« Er sank zurück. Sein Athem ging noch wilder, sein Auge rollte; bald darauf fiel er in einen Schlummer.

      Wahnfred stand da und wußte nicht, was zu beginnen war. Er fühlte Mitleid. Nur den Ausbruch des Fieberkranken hatte er vernommen, nicht aber den Sinn der Worte. Er wußte und er dachte nichts zu dieser Stunde, als daß ein hilfloser Mensch vor ihm liege. Des Kranken Nacken war eingeknickt, so bettete Wahnfred das Kopfkissen flach, daß der Schlummernde freier athmen konnte. Dann legte er ein Decke, die aus dem Bette gefallen war, über ihn; hierauf öffnete er die Fenster, daß frische Luft hereinströmte, und schließlich legte er Holz in den großen Ofen und zündete es an, um die Luft zu reinigen und zu erwärmen.

      Als das Feuer fröhlich knisterte und Wahnfred am Bette saß und an seinen Großvater dachte, den in einer stillen Sommernacht der schwarze Tod dahingerafft hatte, und an die schrecklichen Zeiten, da die »große Sterb« das halbe Land entvölkert hatte, faltete er die Hände und murmelte: »Mein Gott, wenn man’s betrachtet, diese Welt ist des Unheils voll! Es verlohnt sich nicht der Mühe, daß man die kleinen Ungerechtigkeiten, die Einem von Mitmenschen zugefügt werden, so ernsthaft nimmt. Was bedeutet eine Wunde am Arm, wenn das Schicksal in Massen schlachtet! Wer das Weltunrecht einst richten wird! O, hüte mich, mein Gott, vor bösem Denken, und gieb nur Eine Gnade! Nur Eine gieb uns: daß wir, die gemeinsam leiden, uns gegenseitig beisteh’n!«

      »Wasser!« ächzte der Kranke, ohne die Augen zu öffnen, »einen Schluck Wasser!«

      Wahnfred erschrak. Er der in diesem Augenblicke der Herzensregung im Stande gewesen wäre, die Leiden der Menschheit mit seinem Blute zu löschen, wenn es gefordert worden wäre, er konnte dem Verschmachtenden nicht einmal einen Trunk frischen Wassers reichen. Er sollte auf dem Weg über die Todte und durchs Fenster zum Brunnen hinabsteigen. Er durchstöberte das Haus, er fand Wein, er fand Milch, er fand den Most, den man aus den Wildäpfeln gepreßt hatte, aber Wasser fand er erst, als er mit Gewalt die Thür aufgebrochen hatte, draußen im Hofe.

      Der Kranke trank mit Gier.

      »Das – das war gut,« stöhnte er dann zurücksinkend, »ich danke Dir, Kunigunde. Und jetzt – thue mir noch den Gefallen und jage den Schreiner fort. Dieser Mensch will mir nichts Gutes.«

      Ihr, die mit ihm gewesen war in seinen Tagen der Herrlichkeit und der Freude, und die ihn dann, als ihn die Seuche faßte, verlassen hatte, ihr dankte er und den Schreiner wollte er verjagen! So spielt auch in den Fieberträumen der Wahn des Gesunden behendig fort.

      Mit offenen Augen, die aber nicht zu sehen schienen, war sein Gesicht, auf welchem Flammenröthe und Todesblässe spielten, dem Schreiner zugewendet.

      »Nicht wahr,« sprach er nun, »Du bringst mir das Papier, das dort im Schranke liegt – im Schranke, ja in der zweiten Lade. Sie werden kommen und plündern. Diese Schrift dürfen sie nicht finden. – So, gieb sie her!«

      Die letzten Worte waren im Zorn herausgestoßen. Wahnfred öffnete die bezeichnete Lade, dort fand er auf Büchern liegend ein zusammengefaltetes Blatt, das überreichte er dem Kranken.

      »Mir?« fragte dieser befremdet, »ich brauche es nicht. Dem Gubernium mußt Du es schicken, aber schnell, schnell!«

      »Ich werde es thun,« antwortete Wahnfred.

      Der Pfarrherr versank wieder in einen bewußtlosen Zustand. Wahnfred sann nach, wie hier am vernünftigsten Beistand geschafft werden könnte. Rasch stieg er die Treppe hinab und verließ das Haus. In einem Winkel der nahen Kirchenwand standen mehrere Männer, diese huschten, als sie den Schreiner aus dem Pfarrhofe treten sahen, auf ihn zu und flüsterten: »Ist er hin?«

      »Eine Wärterin müssen wir auftreiben,« sagte Wahnfred, »er braucht Hilfe. Ich steige zu der Kofelarztin hinauf, daß sie Arznei schicke.«

      Die Männer stutzten. Uli der Köhler war unter ihnen, der trat vor und murmelte dem Schreiner ins Ohr: »Weißt Du nicht, was wir in der Rabenkirche ausgemacht haben?«

      »Daran habe ich jetzt nicht gedacht,« antwortete Wahnfred. »Der Herr hat die Krankheit von einem Versehgange mit heimgeholt. Man darf ihm nicht bei, jetzt nicht. Leute, das wäre schlecht! Und er geht ohnehin.« –

      Es war im Allerheiligen-Monat, als Wahnfred Tag für Tag in seiner Werkstatt hobelte und nagelte. Er zimmerte Särge.

      Die Seuche hatte sich ausgebreitet und fast jeden Tag legten sie einen Todten ins Grab. Das mußte ohne priesterliche Handlung geschehen; es geschah, und die Leute sagten: »Schau, es thut sich auch so.«

      Wahnfred hatte schöne weiße Bretter von Eschenholz in Vorrath; diese bewahrte er für den Pfarrherrn auf. Er hat seine großen Fehler gehabt, aber der Pfarrherr ist er doch gewesen. Auch die heiligen Weihen muß man ehren.

      Vom Pfarrhofe kam aber keine Bestellung.

      Da wurde jäh das Wohlwollen des Schreiners arg gedämpft. Wahnfred hatte in seinem Sacke die Schrift gefunden, die er damals am Krankenbette auf den Willen des Fiebernden zu sich stecken mußte. Diese Schrift war an die hohen Behörden adressiert und war mit aller bösen List abgefaßt, die Leute von Trawies als eine verwilderte, aufrührerische und heidnische Bande zu verklagen und die Vollführung von exemplarischen Strafen zu beantragen. Der Verfasser verlangte eine Anzahl Soldaten, die für beständig in den Häusern von Trawies eingelagert würden; er verlangte die Erlaubnis zur Vorenthaltung des kirchlichen Segens bei Todesfällen, so lange die Gemeinde nicht ganz und gar zu Kreuze kriechen würde; er begehrte schließlich, daß die geheimen Rädelsführer, die er entdeckt zu haben glaube, den Anderen zur Warnung verjagt und ihre Häuser dem Boden gleichgemacht werden sollten. Unter den Rädelsführern nannte er den Gallo Weißbucher,