Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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die Luft. Über dem Trasank war zur selben Stunde ein Gewitter aufgestiegen, ein Blitz leuchtete hin und Wahnfred sah bei diesem Scheine das Weib in seiner unbegrenzten Schönheit.

      In jenem Augenblicke waren seine Himmel zusammengestürzt. Er floh durch Sturm und Wetter seinem Hause zu, und die Donner schienen zu grollen über den Blick seines Auges in das Allerheiligste des irdischen Glückes, dem ja doch die Wolken selbst ihr Licht geliehen hatten.

      Für alle Zeiten hatte der Blitz die Lichtgestalt fixiert auf dem dämmernden Grunde seines Herzens. Am Morgen des Gottesleichnamsfestes, da die Jungfrau ihre weißen Arme hinter das Haupt hob, um für die Kirche den grünen Zweig zu flechten in ihr Haar, das da schimmerte wie das Kornfeld, wenn es reif ist – stürzte Wahnfred lodernden Auges in ihre Kammer und rief: »Küsse mich mit den Küssen Deines Mundes, denn köstlicher ist Deine Labe als Wein!«

      »Was willst Du, Wahnfred?« lispelte sie und war gar sehr erschrocken über den blassen Jüngling, aus dessen nächtigen Zügen Blitze zuckten.

      »Wenn Du es nicht weißt, o Du schönstes der Mädchen!« rief er, sein Knie sank auf den Boden hin und seine Hände streckten sich aus, sie zu umarmen. »Wie schön, o Holde, bist Du! Ein Myrtenstrauß mir, der an meinem Busen ruhet!«

      Das war seine Werbung gewesen. An seinem Arm hatte er sie heimgeführt ins Haus am Gestade. Sie war seine Hausfrau, die sorgende und liebende. Sie hörte gern zu, wenn er ihr vorlas aus dem Schwanengesange des weisen Königs, aber sie erwiderte seine Worte nicht. Sie war ein stiller See, der immer klar ist; sie war ein häusliches Weib, das dem Schwärmer praktischen Sinnes die Wirthschaft aufrecht hielt, sonst wußte die Nachbarschaft nichts von ihr. Im ersten Jahre erstickte sie der Mann fast mit seiner Liebesglut. Sie trug ihr Glück still mit friedensvollen Herzen. Im zweiten Jahre hing sein Auge oft fragend an ihrem Lippen. Sie sah ihn mit mildem Lächeln an und hatte kein Geheimniß. Im dritten Jahre wendete er sich wieder den heiligen Schriften zu und suchte die Pforten des Himmels noch einmal zu öffnen, aus denen voreinst entzückende Seelenlust auf ihn niedergeflossen war. Sein Weib schwieg und trug still an ihrem Schmerze, sie arbeitete und sie diente ihrem Gatten, und sie starrte zuweilen gar betrübt in die Flammen des Herdes hinein, die von den Hobelspänen genährt waren.

      Endlich im vierten Jahr, am Vorabende der Pfingsten, da sie ruhend saßen am Wasser unter dem Frieden der Erlen, sagte das Weib zum Manne: »Wenn Gott es waltet, mein lieber Mann, so werden wir, bis der heilige Christ kommt, ein Kind haben.«

      Gott hat es gewaltet. Die Freuden desselben Sommers, die Reize desselben Herbstes waren für Wahnfred nicht da. So heftig wie niemals nach dem Frühling, sehnte er sich dem Winter entgegen. Als die Schneeflocken niedertanzten, schauerte er vor innerer Lust; als die Kruste des Eises sich zog über die Trach, da sagte er zum Weibe: »Die Wasser rinnen stille. Er ist nah’!«

      Und drei Tage vor dem heiligen Christ war Erlefried erschienen.

      Wir sind dem Knaben schon begegnet. Er führte das Mädchen des Feuerwart hinauf zu den Wildwiesen. Oben traf ihn der Schuß eines Schergen.

      Wahnfred hatte damals den blutenden Knaben nach Hause gebracht, unterwegs hatte er alle Flüche des alten Testaments, heißgekocht in seinem Herzblute, ausgestoßen. Das Weib hatte nächtelang kein Auge geschlossen, aber dieses Auge hatte nicht geweint, es hatte nur gesorgt, gewacht über dem kranken Kinde. Ihr Mund hatte keinen Fluch der Vergangenheit zurückgeworfen, er hatte nur Gebet für die Zukunft, für die Genesung des Kindes.

      Und es genas. Die jungen Wangen wurden wieder roth, der helle Geist in ihm wieder lebhaft. Aber nie hatte er vom Schusse auf der Wildwiesen mehr gesprochen. Und Wahnfred auch nicht, dem jedoch war es zum Trost, daß die Wunde am Arme eine Narbe zurückgelassen hatte – diese Narbe ist der unauslöschliche Schuldbrief, mit welchem Erlefried einst, wenn er Mann geworden, einfordern wird.

      Da war jener Tag gekommen, an welchem Wahnfred, der Schreiner vom Gestade, mit Schaudern erfahren mußte, daß die Sühne nicht warten wollte auf die Thatkraft des Sohnes, daß sie noch vom Vater geübt werden sollte. Dieser Mann, der den Fluch gethan, soll den Fluch nun selbst erfüllen. –

      So saß er an einem Spätherbstmorgen vor der Thür seines Hauses und brütete.

      Im Thale lag der Reif, und die Ahorne und die Buchen regen ihre blattlosen Äste und Zweige in die kalte Luft hinein. Durch den blauenden Nebel schimmerte in der aufgehenden Sonne die Trach wie eine ungeheure Silbernatter. Das war ein anderes Herbsten, als jenes, da das Kind erwartet wurde zum heiligen Christ.

      Wahnfred starrte ins Weite, Kalte, Leblose, als wollte er lesen in der ersterbenden Natur, wie man Sterbenmachen lerne. »Wer Blut vergießt, dessen Blut soll auch vergossen werden!« so stand es in der Schrift. Wohl, so ist das Gesetz und so heißen wir es gut. Aber wehe dem, der aufgerufen wird zu richten! Nöthig ist der Freimann, aber ehrlos ist er doch! – Der Mann, der seiner Tage lang nichts Hartes geplant, der in den Worten der heiligen Väter – die ihm wie Musik und Zionsglockenklingen waren – den Ewigen suchte: ihn hat der Zorn des Himmels zum Richtschwert erwählt.

      Wohlan, wohlan! So dachte Wahnfred: Heilig ist der Cherub, der mit der Flamme des blinkenden Schwertes den Missethäter austrieb und an der Pforte steht, zu hüten den Baum des Lebens. Auch Trawies, die stille, die liebe Heimat im Schatten des Waldes, ist ein Eden, das gehütet werden muß vor dem Verderber. Auch die Sitten der Väter sind ein Baum des Lebens, an dessen Zweigen gute Thaten reifen, unter dessen Schatten ein freies zufriedenes Geschlecht reigt.

      Jener, der gestellt war, um den Baum zu schützen, hat seinen Arm freventlich ausgestreckt nach seiner Krone. Er muß dahin. Am Tage, da das Fest der Seelen begangen wird, das Gedächtnißfest für Diejenigen, die vor uns waren – soll der Zwingherr uns nimmer bedrohen. Auch an seinem Grabe wird ja eine Lampe brennen. Böse Menschen segnet man, wenn sie nicht mehr sind.

      So war sein Sinnen. Die Sonne schien noch trüb durch den frostigen Morgennebel; sein Auge war nun an sie gebannt, als sauge er an ihrer rothen Gluth Rath und Kraft für sein Beginnen.

      »Du sollst nicht tödten!« Erklang jetzt im Hause eine Stimme. Wahnfred fuhr empor; da kam der kleine Erlefried zur Thür heraus, blickte den Vater bittend an und sagte wieder: »Hilf mir! Du sollst nicht tödten!«

      »Tödten? Wer kann das sagen?« sprach Wahnfred barsch. »Was geht’s Dich an? Willst Du mich meineidig machen?«

      Der Knabe blickte befremdet in seines Vaters Gesicht. Dann schmiegte er sich an seine Knie und fragte leise: »Bist Du böse? So will ich’s wohl allein lernen,«

      »Kind!« Er legte seine Hand auf des Knaben Lockenhaupt. »Sage mir, was willst Du allein lernen?«

      »Der Pfarrherr hat uns in der Schule das fünfte Gebot aufgetragen, und wer es morgen nicht sagen kann, der muß aufs Scheit.«

      »Dich, Dich schon will das fünfte Gebot aufs Scheit bringen? Alberner Junge. Gieb her das Buch, ich will Dir helfen.«

      Und er las: »Durch das fünfte Gebot wird verboten, sich selbst oder einen Anderen zu tödten. Denn so spricht der Herr: Das Blut Eurer Seelen will ich von der Hand des Menschen fordern. Von der Hand des Mannes und seines Bruders will ich die Menschenseele fordern. Ich sage Euch, wer seinem Bruder zürnt, der sei des Gerichtes schuldig!«

      Erlefried sagte dem Vater die Worte nach und meißelte mit einem Taschenmesser an einem Holzstäbchen. Er schien an die Worte, die er nachsagte, kaum zu denken, ihn beschäftigte das Stäbchen.

      »Du bist zerstreut, Kind,« verwies Wahnfred, »was machst Du da?«

      »Ein Schwert,« war die Antwort des Knaben ...

      Wahnfred hatte laut, aber bitter aufgelacht, als er in seinem Kinde sah, wie man im Schmieden des Schwertes das Gebot sich einprägt: Du sollst nicht tödten! Das ist die Menschheit, so hat sie es immer getrieben, so wird sie es immer treiben. Die Hand frevelt und der Mund richtet. Oder ist es umgekehrt? Frevelt der Mund? Richtet die Hand? – Das scheint besser zu stimmen.

      Vom Pfarrherrn kam eine Aufforderung, daß die Leute den Herbstzehent an Korn, Schmalz, Fleisch, Wolle und Flachs in den Pfarrhof bringen sollten. Der Wahnfred hatte ein Schwein