Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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waren anwesend, vierzig Männer hatten geschworen; vierzig Stücke von den Beichtzetteln der Pfarrkinder wurden ausgewählt, und zwar jene mit den Namen der vierzig Männer.

      »Das ist Schickung!« sagte einer der Ältesten und wies auf das Bild, »Sanct Erasmus, unser himmlischer Schutzherr, ist mit uns!«

      »Amen!« murmelte der Feuerwart und streute die Blättchen in eine Felsenspalte hinab. Dann nahm er den Stock und rührte sie da unten durcheinander. Hierauf wendete er sich zu den Übrigen und sagte: »In dieser Felsenurne ruht nun das Geschick von Trawies und unsere Zukunft. Bald wird der Bote emporsteigen und Einen von uns auffordern zu seiner That. Unser Aller ist das Werk, aber sein ist das Vollbringen. Alle werden mit ihm sein und hilfreich zur That. Und ist sie vollbracht, so werden Alle für ihn stehen und ihn schützen und ehren als den Befreier. Nun streiche ich etwas Harz an meines Stockes Ende. Das Blatt, welches d’ran kleben wird, sei Gottes Stimme. Sollten es mehrere Blätter sein, so hatten zwischen denselben neuerdings das Los zu entscheiden. Hier ist der Stock. Wer will ihn nehmen und in die Urne senken?«

      Sie weichen zurück. Sie ahnen, daß jeder Handgriff hier, so lange der ungebundene Wille noch gilt, das Verbrechen ist.

      Der Bart vom Tärn nahm endlich den Stab zur Hand und senkte ihn in die Spalte des Felsens.

      Die Augen aller Anderen waren starr geheftet auf die Umrisse der schlanken Gestalt, die in der tiefen Dämmerung stand. Nun hob sie den Arm, am Stocke klebte das weiße Blättchen. Er hält es lange unbeweglich, Keiner will es anfassen, da löst es sich los und flattert wieder in die Tiefe. Hoch in der Höhle Wölbung war ein Geräusch, als wäre eine Eule oder ein Rabe geflogen. Mancher dachte bei sich: Vielleicht war dieser Zettel der meine gewesen, und mein guter Engel hat ihn mit einem Flügelschlag zurück in den Abgrund geweht. Manchem kam das grauen und er wollte die Höhle verlassen. Der Feuerwart vertrat den Ausgang und erinnerte ernst an den Eid.

      Noch einmal tauchte der Bart den Stab in den Felsenspalt, hob mit ihm ein Blatt.

      Auf dem Sande lag das Papier; der Heilige war leicht zu sehen. Der Jäger vom Trasank bückte sich und las: »Heiliger Bischof Erasmus, bitt’ für uns bei Gott, behüte uns im Leben, steh’ uns bei im Tod! Osterbeichte des Pfarrkindes: –« Aber der geschriebene Name war in der Dunkelheit schwer zu lesen. Uli der Köhler schlug Feuer und bei solcher Gluth lasen sie die vom Pfarrherrn eigenhändig geschriebenen Worte: »Wahnfred im Gestade.«

      Wahnfred stand dort an der feuchten Wand und regte sich nicht. Er war noch blasser als sonst. Seinen Namen hatte er gehört. Die Schleier seiner Träume, in die sich der stille Schwärmer so gern gehüllt hatte, waren gesunken; er sah vor sich einen blutigen Lebensweg.

      Am Gestade, wo das Tal der Trach sich weitet und von einem sanfter aufsteigenden Berggrund umschlossen eine Au bildet, auf welcher Wiesen und kleine Äcker liegen, auf welcher zwischen uralten, reisiglosen Tannen und jungen Buchen und Erlen graue Sandheiden sind, und durch welche dir Trach in breitem bette still dahinrieselt – auf einer freien Anhöhe, an den Berg gelehnt, steht das Haus genannt »An Gestade«. Es ist das malerischte in der ganzen Gegend, es ist aus Holz gebaut und blickt mit seinen großen, hellen Fenstern offen in das Tal hinaus, während die anderen Menschenwohnungen hier mißtrauisch ihre Luglöcher verwahren und verschließen und halb versteckt hingekauert liegen im Gebüsche.

      Das Haus am Gestade steht frei und hat einen hohen Dachgiebel, und hat auf diesem Giebel sogar noch ein Thürmchen. Trawies ist zu weit hinten im Thale, man hört daraus keine Glocke klingen. »Darum ist hier aufgestellt ein metallener Mund, der da tönet zum Preise des Herrn, als wie Harfenspiel in Zion.« Im Vorgemach des Hauses war zur Zeit eine Zimmer- und Schreinerwerkstatt eingerichtet, deren Fußboden nicht immer mit Hobelspänen bedeckt gewesen.

      Der Fremde, welcher in das Innere des Hauses trat, sah sich wohl zweimal um, bis er dann fragte, ob er wirklich beim Schreiner Wahnfred sei. Da d’rin sah es aus, wie in der Wohnung eines Landpfarrers. Alles blank und rein gescheuert und schneeweiße Vorhänge an den hellen Fensterscheiben. An den Wänden Heiligenbilder, auf den leisten Bücher mit allerlei geschriebenen und gedruckten Inlagen. Am Thürpfosten war ein Becken aus Thon mit klarem Wasser gefüllt, und darüber an der Holzwand stand geschrieben: »Ich bin das Alpha und Omega. Wen dürstet, dem will ich von dem Quell des Lebenswassers zu trinken geben.«

      Wenn der Herr des Hauses hinausging in den Wald oder zu fremden Menschen, so tauchte er stets den Finger in das Becken und besprengte mit Wasser seine Stirne und besprengte das Haus. Als ihn einst ein Fremdling fragte, ob das Wasser denn wohl die Kraft habe, ihn und das Haus zu segnen, antwortete Wahnfred: »Das Wasser thut es nicht, aber die gute Meinung thut es. Unser Denken und unser Wollen ist die Kraft, womit Gott Sabaoth die Welt regiert; weil das Denken und das Wollen im Anfange keine gestalt hat, so müssen wir ihm eine Gestalt geben, die vor uns steht, denn das Auge muß es sehen und das Ohr muß es hören, was das Herz glauben soll.«

      Ist das ein Handwerker? Muß der Mann nicht in einer Klosterschule oder von einem Denker in der Zelle erzogen worden sein? – Wahnfred ist in diesem Hause geboren worden und noch nie weiter über das Heideland hinausgekommen, als bishin, wo die fünf Kiefern stehen. Er hatte in der kleinen Schule von Trawies das lesen und das Schreiben gelernt; der alte Priester mit dem weißen Haar auf dem vorgeneigten Haupte und dem elfenbeinernen Kreuze auf der Brust, der dazumal Herr zu Trawies gewesen, hatte ihm Unterricht gegeben in manchen Dingen der Welt, besonders aber in den heiligen Schriften und den göttlichen Offenbarungen. Wie der Greis lehrend zur Erde schaute, so blickte der Knabe vernehmend und verlangend zur Höhe auf. Und wo die Wolken auseinandergingen und andere Augen nur das Blaue sahen, erblickte er die Himmel, und die Ewigen der Himmel, und all jene Zauber und Entzücken der Himmel, welche ein schwärmerisches Menschengemüth mit einem Glücke erfüllen, desgleichen die Erde nimmer geben kann.

      Der alte Priester wollte den Knaben in eine geistliche Lehranstalt bringen; da starb er, und das war der Wegzeiger in Wahnfred’s Leben. Seiner Anlage nach wäre er ein Gottesgelehrter, vielleicht ein Kirchenfürst und jedenfalls so viele Jahre nach seinem Tode heilig gesprochen worden. Aber wie anders der Weg und wie ganz anders das Ziel! – – Wahnfred blieb im Hause seiner Väter und lernte das Handwerk seiner Väter.

      Alltäglich aber, wenn die Weiden das Baches und die Wolken der Höhen in der Abendsonne schimmerten, ließ der junge Schreiner Axt und Hobel ruhen und atzte sich an den heiligen Schriften. Hierauf kam eine Zeit, da er die Verse der Bibel nicht mehr so auslegte, wie sie der priesterliche Greis ausgelegt hatte, sondern anders. Heiß wurde ihm bei den Worten der Apokalypse: »Da sah ich ein Weib auf einem scharlachrothen Thiere sitzen. Sie hielt in ihrer Hand einen scharlachrothen Becher. Auf ihrer Stirn stand geschrieben der Name: Geheimniß. Und ich sah das Weib trunken vom Blute der Heiligen. Und vom Lustwein haben alle Völker getrunken.« – Dann las er, wie Laban um Rachel freite. Und eines Tages, da sah er Eine im hintersten Thale des Trasank, die schöner war, als er sich die Rachel hätte denken können. Zur selben Zeit saß er in den Sommernächten vor der Thüre seines Hauses und blickte hinab auf die Buchen und Weiden im stillen Mondenglanze und hörte das Rauschen der Trach. Er dachte nicht an den Wald und an das Rauschen der Trach. Die Bäume zogen an ihm vorüber mit ihren hohen Häuptern, die Steine stießen an seinen Fuß. Berge bauten sich auf vor seiner Brust, und steglose Wasser ergossen sich auf seinen Pfaden. Und da er sich endlich wieder fand, da saß er nicht mehr vor der Thüre seines Hauses am Gestade, da kniete er im hintersten Thale des Trasank vor dem Fenster einer Hütte und horchte den weichen Athemzügen einer Schlummernden. Er horchte so lange, bis der Morgenstern emporstieg über den weiten Wäldern des Ritscher, dann erhob er sich von seinen Knien und ging heim zum Gestade und frisch aus seinem Hobel flogen die Späne. – Und einst, am Tage der Sonnenwende war es, als das Mädchen früh Morgens auf dem Gottesacker stand und über die Gräber rief:

      »Meine Mutter, ich wecke Dich! Mein Vater, ich wecke Dich! Mein Bruder und Schwester, ich wecke Dich! Die heilige Sonnenwend’ ist da!« hörte es Wahnfred und sagte zum Mädchen: »Deine lieben Leut’, hast sie schon Alle da unten?«

      Sie neigte das Haupt.

      »Bist ganz allein auf Erden?«

      Sie neigte das Haupt.

      Er floh von ihr.

      Und