Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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wie jener entzückende Strahl, der ihm einst das Leben gezeigt hatte. Wahnfred schleuderte den wilden Gedanken rasch von sich.

      Zur selben Zeit war in den Wäldern des Tärn eine Hirschjagd. Die Bauern von Trawies waren als »Treiber« aufgeboten. Etliche von ihnen erhielten Schießgewehre in die Hand; wo ein Wolf oder gar ein Bär sich zeigte, da durfte er von einem Treiber niedergeschossen werden. Auch Wahnfred vom Gestade wurde mitgerufen und erhielt ein Feuerschloß. Etliche Herren aus Oberkloster waren da, denen zur Seite stets der Herr Franciscus ging. Die Leute waren höchst verwundert, als sie sahen, wie freundlich und artig ihr Pfarrherr sein konnte – wie eine Taube, so geschmeidig. »Wenn er seinen Pfarrkindern daheim nur halb so gütig wäre, wir wollten ihn anbeten,« sagte einer der Treiber.

      »Der ist ja viel zu demüthig, als daß er sich anbeten ließe,« spottete ein Anderer. »Der will nichts von seinen lieben Pfarrkindern, als einmal tüchtig Prügel.«

      Der so sprach, er wußte nichts von der Verschwörung in der Rabenkirche.

      Um so lebhafter dachte Wahnfred daran, als er im Dickicht lauerte und durch das Gezweige sah, wie dort am Lärchenbaum kaum zwanzig Schritte von ihm der Pfarrherr stand. Er war jetzt allein und wartete mit gespanntem Hahn auf den Rudel von Hirschen, der jenseits des Grabens aufgestöbert worden war. Der Lärm der Treiber und der Hunde hallte halb verloren durch den Wald. Wahnfred sah, wie Herr Franciscus vor Begier bebte, und im Auge des Jägers war wieder dasselbe Feuer, wie dazumal auf der Wildwiesen, als er in das Sonnenwendfest hatte hineinschießen lassen.

      Auch dem Wahnfred – er hatte in seinem Leben schon manchen guten Schuß gethan – zuckten die Finger am Feuerschloß. Wenn jetzt die Hirschen kommen, dachte er, so darf ich nicht losbrennen. Auf Edelwild nicht – nur auf Raubthiere. Auf Raubthiere doch? Das hat er selbst erlaubt. Ei, was dort für ein schöner großer Wolf steht? Er ist aber auch ein Fuchs und hat sich in Schafspelz gehüllt und ist ein Schafhirt geworden. Und führt die Schäflein in den Wald und will sie zerreißen. Wart’, Unthier, ich schieß dich nieder. Herr Franciscus ... Dabei fuhr Wahnfred mit dem Schafte seines Gewehres schon an die Wange – was hast uns so oft, wenn der Zehent nicht reichlich hat wollen einlaufen, so tapfer gepredigt vom jüngsten Gericht! In einem Vaterunserlang stehst selber davor. Es wäre mir nicht unlieb, wenn Du das Vaterunser wolltest beten; ich habs wohl übernommen, daß ich Dich aus der Welt schicke, aber in die unterste Höllen hinab – und du fährst schnurgerade in die unterste – das ist mir schier zu scharf. Die Ewigkeit nachher, die dauert höllisch lang. Als wie ich das Blut von meinem Knaben hab’ gesehen, da hätte ich leicht alle neunundneunzigtausend Teufel auf Dich losgelassen, da wär’s mir schon eine helle Freud’ gewesen, wenn sie Dich vor meiner in Fetzen zerzaust hätten. Aber in alle Ewigkeit brennen und braten – das ... Kerl, Du erbarmst mir doch. Ich will Dich schon einmal erwischen, wenn es Deiner Seelen gelegensamer ist ...

      Es knallte der Schuß – des Pfarrherrn. Ein Sechzehnender stürzte nieder – zuerst mit den Vorderfüßen auf die Knie, dann mit dem ganzen Körper auf die Erde, daß der Boden dröhnte.

      Wahnfred’s Gewehr blieb unentladen. Auf dem Rückzuge, da die Bauern auf Reisigtragen die reiche Beute schleppten, als das Waldhorn erscholl und der Jäger fröhlich Lachen, that der Bart vom Tärn, der neben dem Schreiner schritt, in des Letzteren Angesicht einen fragenden Blick.

      Der Wahnfred antwortete mit einem Nicken: »Laß Zeit!« –

      An einem der nächsten Tage brachte Erlefried von der Schule die Nachricht nach Hause, der Herr habe über das fünfte Gebot noch nicht ausfragen können, er liege krank im Bette. Er habe es von einem Kranken mit heimgebracht; im Trasankthale herrsche das Nervenfieber.

      Das machte den Wahnfred nachdenklich. Wenn der harte Herr als Opfer seines Berufes fällt, dann bin ich ja frei, und wir sind es Alle. Aber, ist unser Haß gerecht gegen einen Mann, der in der Erfüllung seiner Pflicht zugrunde geht? Nimmermehr, Wahnfred!

      Über kurz ging die Kunde – die Leute erzählten es sich mit freudigem Schauer – im Pfarrhofe wäre die Seuche ausgebrochen. Die Magd sei schon gestorben, die Haushälterin sei geflohen – der Herr liege schwer darnieder.

      Die Hand des rächenden Gottes. Mein ist die Rache! spricht der ewige Herr. Doch – so dachte Wahnfred – wenn die Magd gestorben ist und die Haushälterin geflohen, wer wird in der letzten Stunde bei ihm sein. Er ist doch ein armer Mensch, Sterben ist kein Kinderspiel. Wer wird ihm die Augen zudrücken?

      Da ging er des Weges gegen Trawies. Als er an dem Hause des Baumhackel vorbeiging, schrie ihm der Baumhackel zu: »Gehst ins Wirtshaus, Wahnfred?«

      Er gab keine Antwort.

      »Der geht zur Kofelarztin,« sagte die alte Base des Baumhackel. »Er schaut aus so blaß, wie ein Herrgott aus Lehm. Der Wahnfred steckt in keiner guten Haut.«

      Sie wußten nichts von dem Amte, das er in der Rabenkirche überkommen hatte.

      Auf der Brücke, wo der Johannesbach in die Trach fließt, begegnete dem Schreiner vom Gestade der Firnerhans. Das war Einer von den Ältesten.

      »Wohin so eilig?« fragte er.

      Der Wahnfred schritt nahe zu ihm und murmelte: »In den Pfarrhof. Dem Herrn die Augen zudrücken.«

      Sie schüttelten sich die Hand und Jeder ging seines Weges.

      »Der ist gescheit!« sagte der Firnerhans zu sich, »der nimmt seinen Vortheil wahr. Der Tod ist im Pfarrhofe schon eingekehrt. Jetzt geht der Wahnfred hin und sperrt ihn ein, bis da drin der letzte Knochen abgenagt ist.«

      Um die Kirche von Trawies, wo sich sonst immer Leute herumgetrieben hatten, war heute kein Mensch zu sehen. Der Küster war nicht daheim. Nur ein Halbcretin aus dem Hause des Firnerhans stand da und seine langen Arme in die Hosentaschen gesteckt, glotzte er stier die Kirche an und den Mann, der daherging. Er schnaufte und pfauchte, denn er hatte zwei große Halsauswüchse, weshalb er von den Leuten auch der dreiköpfige Osel genannt wurde. Er lächelte nun dem Wahnfred recht freundlich zu, dann deutete er gegen die Fenster des Pfarrhofes, legte seine Wange an die Hand, machte die Miene des Schlafens, und schnitt hernach ein gar weinerliches Gesicht. Das war der einzige Hüter des kranken Herrn. Und selbst der schien nicht zu ihm zu können: der Pfarrhof war verschlossen. Wahnfred pochte lange und heftig, aber Niemand kam, um das Thor zu öffnen. Von innen vernahm er nichts als das Ticken einer Wanduhr und – wie es ihm scheinen wollte – einmal – zweimal ein angstvolles Aufstöhnen.

      »Wenn es so steht, ist der Wahnfred nicht mehr vonnöthen!« murmelte dieser, »Man hat den menschlichen Verstand von ihm abgesperrt.«

      Der Mann wurde noch blasser. Sind das Menschen in Trawies? Dort an der Kirchhofsmauer ragt das Kreuz. Versammeln sie sich nicht zu den Füssen dessen, der gesagt hat: Thuet Gutes Denen, die Euch hassen! – Es war ein harter Mann, fürwahr. Aber kann denn ein Feind so groß sein auf dieser Erden – wo wir Alle sündigen – kann er so groß sein, daß man im Stande ist, ihm in seiner Todesnoth den letzten Schluck Wasser zu verweigern? Hat ein Bruder wider dich gesündigt, so gehe hin und verweise es ihm zwischen dir und ihm allein. Ja, ich will es ihm noch sagen, wie schwer er geirrt, daß er als Priester des gütigen Gottes in unserem Sprengel die Liebe zerstört und den Haß erweckt hat. Und will ihm dann verzeihen.

      Seit jener Stunde, da Wahnfred im Dickichte nach dem Herrn gezielt hatte und die Barmherzigkeit in ihn gekommen war, fühlte er nicht mehr jenen finsternen Haß gegen den Mann, als früher. Die Tage, die Herr Franciscus nun noch leben sollte, waren ein Geschenk vom Wahnfred; so stand dieser wie eine Art von Schutzgeist zu ihm, und aus diesem Verhältnisse entsproß die Theilnahme für den Verhaßten.

      Da das Thor nicht zu öffnen war, so ging er nun um das Haus herum und spähte, wie er in das Innere dringen könne. An der rückwärtigen Seite, wo sich die Stallungen anschlossen, in denen die pflegelos gewordenen Hausthiere röhrten, kletterte er die Wand empor gegen ein offenes Fenster. Er kletterte hastig wie eine wilde, mordlustige Katze. Als er sich über die Fensterbrüstung hineinschwingen wollte, schauerte er zurück. Der Tod bewachte das Haus. drinnen im Gange, gerade unter dem Fenster, lag auf langem Brette hingestreckt die verstorbene Magd. Das Antlitz trug Spuren der Seuche, die zu jener Zeit so