Название | Morde am Hinterkreuz |
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Автор произведения | Madina Fedosova |
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Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9785006700512 |
Es kursierten Gerüchte, dass Klaus, der sich in diesem perversen Dreieck überflüssig und unerwünscht fühlte, es vorzog, zu fliehen, nur um nicht Zeuge einer ungesunden Zuneigung zu werden. Es hieß, er sei oft angeblich auf Arbeitssuche unterwegs gewesen, aber in Wirklichkeit konnte er die Atmosphäre auf dem Hof einfach nicht ertragen.
Aber viele glaubten nicht an die Version von Klaus’ Flucht. Er verschwand zu verdächtig, ließ Viktoria mit ihren betagten Eltern und dem Hof zurück. Es kursierten Gerüchte, dass Andreas den unliebsamen Schwiegersohn selbst beseitigt hatte, damit ihn niemand an seinen schmutzigen Machenschaften hinderte.
Erst Jahrzehnte später, im Jahr 1952, tauchte ein neues Detail in der verworrenen Geschichte von Klaus Briel auf, das von Jakob Knecht, einem der Leiharbeiter, die auf dem Gruber-Hof gearbeitet hatten, erzählt wurde. Huber behauptete, dass Klaus seiner Meinung nach die ungesunde Nähe zwischen Viktoria und ihrem Vater Andreas nie akzeptieren konnte. “Er war keiner von denen, die so etwas ertragen können”, soll Huber gesagt haben und deutete damit auf die unerträgliche Atmosphäre im Haus hin. Es blieb unbekannt, ob Klaus die Scheidung von Viktoria plante, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, oder ob er einfach floh, weil er nicht die Kraft hatte, sich den Familiendämonen der Grubers zu widersetzen.
So oder so war Klaus’ Entscheidung, Hinterkaifeck unmittelbar nach der Hochzeit zu verlassen, ein Schatten auf der gesamten Familie Gruber und ein Vorbote kommender Unglücke. Es war wie ein Riss im Fundament des Hauses, der einen baldigen Einsturz ankündigte. Klaus’ Abreise nach Lack warf viele Fragen auf, die nie schlüssig beantwortet wurden, sondern nur neue Gerüchte und Spekulationen hervorriefen, die wie giftige Wurzeln in den Herzen der Bewohner von Hinterkaifeck wucherten.
Tatsache war jedoch, dass Klaus Gabriel nur vier Monate nach seiner Flucht nach Lack, am 14. August 1914, als Freiwilliger in das Wehrbuch eingetragen wurde. In der Spalte “Grund für den Beitritt” stand in krakeliger Schrift: “Patriotische Pflicht”.
Aber wer weiß, welche Pflicht ihn tatsächlich in die Hölle des Ersten Weltkriegs trieb? Vielleicht die Pflicht gegenüber dem Land, oder vielleicht die Pflicht gegenüber sich selbst, um zu beweisen, dass er kein Feigling, kein Flüchtling, sondern ein echter Mann ist.
Bemerkenswert ist, dass er bei der Ausfüllung der Dokumente die Adresse in Lack als Wohnadresse angab und Hinterkaifeck endgültig aus seinem Leben strich, als wäre diese Farm ein verfluchter Ort, befleckt mit Blut und Lügen, von dem man ohne Zurückzublicken fliehen musste. Und er floh. Er floh dem Krieg entgegen, den Gasangriffen, den Schützengräben, dem Schlamm und dem Tod. Er floh dorthin, wo das menschliche Leben nichts wert war, wo die gestrigen Bauern und Handwerker zu Kanonenfutter wurden, wo ganze Generationen für die Ambitionen von Königen und Generälen starben. Er floh in die Hölle, in der Hoffnung, vielleicht Erlösung von der Hölle zu finden, die ihn auf Erden verfolgte.
Am 12. Dezember desselben Jahres 1914 ereilte die Familie Gruber ein weiteres Unglück, als hätte ein böses Schicksal sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Von der Front traf eine Nachricht ein, versiegelt mit Siegellack und durchdrungen vom Geruch von Schießpulver und Tod: Klaus Briel war irgendwo auf französischem Boden gefallen, kämpfend in den Reihen der kaiserlichen Armee. In der trockenen, bürokratischen Formulierung (“fiel den Heldentod fürs Vaterland”) wurde kein Wort darüber verloren, was er in seinen letzten Lebensminuten fühlte, woran er dachte, an wen er sich erinnerte.
Die Nachricht vom Tod ihres Mannes erreichte Viktoria, als sie ihre Tochter, die kleine Cäzilie, unter dem Herzen trug und die Neugeborene noch vor ihrer Geburt zu Waisen verurteilte. Viktoria war zu Witwenschaft und der schweren Last der alleinigen Kindererziehung verdammt.
In Hinterkaifeck, wie in vielen bayerischen Dörfern, wurden Mütter ohne Ehemänner zurückhaltend, wenn nicht gar misstrauisch behandelt. Ein uneheliches Kind galt als Schandfleck für den Ruf der Familie, und die Mutter als eine Frau, die einen Fehler begangen hatte. Natürlich wird niemand Beleidigungen offen aussprechen, aber sie wird spüren, dass sie gemieden wird. Anständige Bürger werden sich bemühen, ihren Blick nicht auf sich ruhen zu lassen, aus Angst, sich zu beschmutzen. Verheiratete Frauen werden hinter ihrem Rücken tuscheln und darüber diskutieren, wer der Vater des Kindes ist und wie es dazu kommen konnte. Der Priester wird sie zwar nicht von der Kanzel aus verfluchen, aber seine Predigten über die Reinheit der Ehe werden für Viktoria wie eine persönliche Anklage klingen. Es wird keine offene Feindseligkeit geben, aber sie wird eine kalte Distanziertheit spüren, als ob sie durch eine unsichtbare Mauer vom Rest des Dorfes getrennt wäre.
Und wer könnte sagen, was schwerer auf dem Herzen lastet: der Schmerz des Verlustes (auch wenn er nicht der glücklichste war) oder die Angst vor der Zukunft, in der sie und ihr Kind in dieser Atmosphäre der Vorsicht und Verurteilung überleben müssen?
Nach dem tragischen Tod von Klaus an der Front sah sich Viktoria neben der Trauer und der Last der Witwenschaft auch mit der Notwendigkeit konfrontiert, Eigentumsfragen zu regeln. Nach den damaligen Gesetzen ging das Viertel des Hofes Hinterkaifeck, das zuvor Klaus gehört hatte, an seinen nächsten Verwandten über – Viktoria.
So wurde Viktoria Gruber zur Alleineigentümerin von Hinterkaifeck. Alle drei Viertel des Eigentums, die zuvor ihren Eltern gehört hatten, und das von ihrem Mann geerbte Viertel standen nun zu ihrer vollen Verfügung. Sie war nicht nur die Herrin des Hauses, sondern auch die offizielle Besitzerin des Hofes und trug die volle Verantwortung für dessen Erhalt und Gedeihen.
Es schien, als hätte diese Tatsache ihre Position gestärkt und ihr eine stabile Zukunft gesichert. Doch im Fall von Hinterkaifeck wurde der Besitz des Eigentums eher zu einem Fluch als zu einem Segen, da er ihr eine unerträgliche Last der Verantwortung und Bindung an einen Ort auferlegte, der von Trauer und Geheimnissen durchdrungen war. Der Status der offiziellen Herrin verstärkte nur ihre Abhängigkeit von Hinterkaifeck und erlaubte es ihr nicht, aus dem Teufelskreis der Tragödien auszubrechen, die diesen Hof heimsuchten.
Kapitel 7
Absolute Macht
Nach Klaus’ Tod schien das Leben auf dem Hof Hinterkaifeck erstarrt, gelähmt nicht nur von Trauer, sondern auch von einer erdrückenden, zähen Stille. Die Tage zogen sich eintönig hin: Arbeit auf dem Feld, Pflege des Viehs, Betreuung des Kindes, endlose Hausarbeiten. Viktoria mit ihrem erloschenen Blick und ihrem abgemagerten Gesicht schien zu einem Schatten ihrer selbst geworden zu sein. Aber Stille ist bekanntlich trügerisch. Hinter den geschlossenen Fensterläden der Bauernhäuser reiften Gerüchte heran, die mit jedem Tag lauter und kühner wurden.
Und es lag nicht nur an ihrer Witwenstellung oder ihrem unehelichen Kind. Es kursierten Gerüchte, dunkle, unanständige, bei denen sich manche bekreuzigten, als würden sie böse Geister vertreiben. Diese Gerüchte betrafen ihr Verhältnis zu ihrem Vater, Andreas Gruber.
Viktoria, eine schöne und selbstbewusste Frau, die erste Sängerin des Kirchenchors, schien nun gebrochen zu sein. Vor dem Krieg war sie die alleinige Herrin des Hofes, traf Entscheidungen, wurde respektiert… oder vielmehr gefürchtet. Es kursierten Gerüchte, dass sie sich nicht vor männlicher Aufmerksamkeit scheute, obwohl dies vielleicht nur neidische Klatsch war, der aus ihrer Unabhängigkeit resultierte. Aber wie sich später herausstellte, fanden sich während der Ermittlungen drei Männer, die bereit waren, zu schwören, dass sie eine engere Beziehung zu Viktoria anstrebten.
Andreas, hochgewachsen und kräftig, auch noch nach sechzig Jahren, hatte den Hof immer fest im Griff. Besonnen, aber jähzornig – im Dorf erinnerte man sich an mindestens zwei Fälle, in denen er zu Mistgabel und Gewehr griff. Es ist seltsam, dass ihn die Spuren des Einbruchs am Vorabend der Tragödie nicht beunruhigten. Vielleicht war er zu selbstsicher, zu gewohnt, sein Territorium zu verteidigen. Aber verteidigte er nur sein Territorium?
Die Version von Andreas’ Gewalt gegenüber seiner Tochter Viktoria wirkt trotz fehlender direkter Beweise erschreckend plausibel, insbesondere im Kontext dieser Epoche und der sozialen Ordnung. Logisch argumentierend lässt sich eine Kette von Ereignissen rekonstruieren, die zu diesem düsteren Schluss führt.
Andreas, der Cäcilie heiratete, die keineswegs