Morde am Hinterkreuz. Madina Fedosova

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Название Morde am Hinterkreuz
Автор произведения Madina Fedosova
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9785006700512



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Nadel im Heuhaufen.

      Doch seltsamerweise glaubte Kurt selbst nicht an die Vaterschaft. In seinen Worten schwang weniger die Freude über die zukünftige Vaterschaft mit als vielmehr Zweifel, Misstrauen und sogar Abscheu. Da er aus eigener Erfahrung wusste, welche ungesunde Atmosphäre im Hause Gruber herrschte, wollte er nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen, das möglicherweise aus Inzest gezeugt wurde.

      Wagners Zweifel gossen nur Öl ins Feuer der Gerüchte und Verdächtigungen. Die Leute tuschelten hinter Viktorias Rücken, warfen Kurt schiefe Blicke zu und diskutierten mit neuer Kraft die dunklen Geheimnisse von Hinterkaifeck. Viktorias Schwangerschaft war kein freudiges Ereignis, sondern eher ein neues Kapitel des Dramas, das eine noch größere Tragödie vorhersagte.

      Das Geheimnis der Vaterschaft von Viktorias Kind blieb ungelöst. Kurt Wagner weigerte sich öffentlich, seine Vaterschaft anzuerkennen, Andreas Gruber bestritt seine Beteiligung, und Viktoria hinterließ leider keine Beweise, die Licht in diese Frage hätten bringen können.

      Trotz des Mangels an zuverlässigen Informationen waren viele Einwohner von Hinterkaifeck der Meinung, dass Andreas Gruber der Vater des Kindes war. Diese Sichtweise bildete sich sicherlich vor dem Hintergrund der seit langem bestehenden beunruhigenden Gerüchte über ungesunde Beziehungen innerhalb der Familie Gruber. Darüber hinaus kann man nicht leugnen, dass die öffentliche Meinung über die Familie Gruber zu dieser Zeit alles andere als wohlwollend war.

      Kurt Wagner entschloss sich trotz seiner quälenden Zweifel dennoch zu einer Tat, die Hinterkaifeck nicht weniger erschütterte als die Nachricht von Viktorias Schwangerschaft.

      Was bewegte ihn dazu? Die öffentliche Meinung, die enormen Druck auf ihn ausübte? Aufrichtiges Mitgefühl für das Schicksal der unglücklichen Frau? Oder die Hoffnung, seinen Einfluss und seine Position in der Gegend zu festigen, indem er sich mit einer Familie verbündete, selbst wenn diese so widersprüchlich war? Vielleicht spielten all diese Faktoren eine Rolle.

      Wie dem auch sei, Kurt Wagner ging zu Andreas Gruber und bat ihn, ihm seine Tochter Viktoria zur Frau zu geben. Das war ein beispielloser Schritt, der Erstaunen und Gerede auslöste. Viele verstanden nicht, warum ein angesehener Mann sein Leben mit einer Frau verbinden sollte, die sich mit einem Skandal und einem schlechten Ruf besudelt hatte.

      Die Heirat mit Kurt hätte für Viktoria sicherlich eine Rettung sein können. Sie hätte sie von dem Stigma des Inzests befreien, ihr eine stabile Zukunft sichern und ihr den Respekt in den Augen der Gesellschaft zurückgeben können. Wagner war ein wohlhabender und einflussreicher Mann, und seine Unterstützung hätte Viktorias Leben zum Besseren verändern können. Aber war das ein aufrichtiger Wunsch, einer unglücklichen Frau zu helfen, oder ein kalkulierter Schritt, um eigene Ziele zu erreichen? Das wusste nur Kurt Wagner selbst.

      Aber Andreas Gruber, der sich möglicherweise seinen tiefsten Komplexen hingab und, wie wir jetzt wissen, unter dem Einfluss bestimmter Umstände stand, die uns leider für immer verborgen bleiben, antwortete Kurt Wagner mit einer kategorischen Ablehnung.

      “Meine Tochter kann ich selbst liebkosen”, sagte er zynisch, ohne sich für irgendjemanden oder irgendetwas zu schämen.

      Leider nahm diese Weigerung Viktoria die Möglichkeit, ihr Leben in irgendeiner Weise zu verändern, und gab ihr nicht die geringste Hoffnung auf eine Befreiung von der quälenden Abhängigkeit, in der sie sich befand. In einem Anfall von Gefühlen, die wir heute nur schwer nachvollziehen können, sperrte Andreas seine Tochter in einen Schrank, damit sie nicht einmal den Menschen ansehen konnte, der ihr möglicherweise eine Stütze hätte sein können.

      Wahrscheinlich erkannte er, dass Viktorias Heirat mit Kurt

      Wahrscheinlich erkannte er, dass Viktorias Heirat mit Kurt zum Verlust der Kontrolle über das führen könnte, was ihm am wichtigsten war. Den Dokumenten zufolge sollte Viktoria Hinterkaifeck erben, was bedeutet, dass auch ihr zukünftiges Kind Anspruch auf das Eigentum gehabt hätte. Wenn Josef als Kurts Sohn anerkannt worden wäre, hätte letzterer als Ehemann und Vater ebenfalls Anspruch auf den Landbesitz gehabt. Das konnte Andreas offenbar nicht zulassen.

      1919, der Winter krallte sich mit eisernem Griff an Hinterkaifeck fest und brachte nicht nur Kälte, sondern auch die Geburt von Josef – Viktorias Sohn. In diesem Namen, Josef, lag Ironie. Denn Josef bedeutet aus dem Hebräischen übersetzt “Gott wird mehren”. Aber in Hinterkaifeck vermehrten sich nur Kummer und Geheimnisse. Die Frage der Vaterschaft ließ weder Viktoria noch Kurt in Ruhe.

      1915

      Zweifel quälten Kurt, ließen ihn keinen inneren Frieden finden.

      Josef… ist er wirklich sein Sohn oder nur ein Beweis für ein schändliches Geheimnis, ein Echo des Inzests, der das Dorf erfüllte? Er fürchtete, eine Spielfigur in fremden Spielen zu werden, für Sünden zu bezahlen, an denen er selbst nicht beteiligt war.

      Eines Tages, an einem grauen Herbsttag, als der Regen monoton gegen die Fensterscheibe prasselte, fasste Kurt den Entschluss, als ob er eine schwere Last abwarf.

      Nicht länger fähig, die erdrückende Ungewissheit zu ertragen, ging er zur Polizeistation.

      Dort, in einem schlichten Büro, legte er seine Version der Ereignisse dar.

      Er sprach ruhig, aber bestimmt, versuchte, seine Emotionen im Zaum zu halten.

      Er äußerte seine Verdachtsmomente gegenüber Andreas und Victoria, über den Inzest, von dem er glaubte, dass Josef das Ergebnis sei.

      Er betonte, dass er keine Beweise habe, aber er könne die Gerüchte und seine Zweifel nicht länger ignorieren.

      Kurt war sich bewusst, dass seine Worte ernsthafte Konsequenzen haben könnten.

      Er wusste, dass die Anschuldigung des Blutschandes ein schwerer Schritt ist, und im Falle eines unbegründeten Verdachts könnte er selbst bestraft werden.

      Doch der Wunsch, die Wahrheit zu erfahren und die erdrückenden Gedanken loszuwerden, überwog die Angst vor möglicher Vergeltung.

      Er war bereit, das Risiko einzugehen, um alle Fragen zu klären und endlich Klarheit zu finden.

      Die Aussage von Kurt Wagner, gleich einer brennenden Zigarette, die in trockenem Gras landet, entfachte ein neues Feuer im bereits unruhigen Weidhofen.

      Die Nachricht, dass Andreas Gruber erneut des Inzests beschuldigt wurde, verbreitete sich in der Gegend schneller als der Wind und wurde mit immer schockierenderen Details angereichert.

      Die Polizei, unter Druck der öffentlichen Meinung und beharrlicher Aussagen Kurts, begann die Untersuchung.

      Andreas wurde verhaftet und erneut vor Gericht gestellt, wo ihm eine harte Strafe wegen Blutschande drohte.

      Victoria, mitten im Alptraum, war verzweifelt.

      Sie bestritt alle Anschuldigungen, aber wer glaubte ihr?

      Der Schatten des früheren Skandals, wie klebriger Schmutz, verfolgte sie und ließ sie keine Entschuldigung finden.

      Es schien, als sei dieser klebrige Schmutz sogar in den Gerichtssaal eingedrungen, kalt wie ein Grab, wo sie Antwort stehen musste.

      Der Gerichtssaal war von Kälte durchdrungen, wie ein steinernes Verlies.

      Die Fenster, bedeckt vom grauen, trüben Himmel, ließen keinen Sonnenstrahl durch, und tauchten den Raum in Halbdunkel.

      In der Luft lag der Geruch von Feuchtigkeit und altem Holz, vermischt mit dem schweren Gefühl erdrückender Stille.

      Die hölzernen Bänke, die unter der Last der Menschen knarrten, waren bis zum Rand gefüllt.

      Die Gesichter der Anwesenden – ernst, angespannt, voller Erwartung – erinnerten an steinharte Masken.

      Victoria fühlte die starren Blicke auf sich, als sei sie ein Exponat in einem seltsamen Museum.

      Sie saß, fest umklammert, ein dünnes Batist-Taschentuch, bis ihre Fingerknöchel noch blasser wurden.

      Der Stoff war längst durch Schweiß nass und klebrig geworden, doch Victoria bemerkte es nicht.

      Ihr