Morde am Hinterkreuz. Madina Fedosova

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Название Morde am Hinterkreuz
Автор произведения Madina Fedosova
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9785006700512



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zurück – als Witwe und einzige Besitzerin der Farm Hinterkaifeck, auf der nun die ganze Verantwortung lastete.

      Diese Last war nicht leicht, besonders für eine Frau, aber Cäcilia zerbrach nicht. Die schwere Arbeit auf der Farm, die sie Tag für Tag auslaugte, brach sie nicht körperlich, nahm ihr aber die letzten seelischen Kräfte.

      Ein Jahr später, im Jahr 1886, heiratete sie zum zweiten Mal – Andreas Gruber. Was trieb sie an? Nachwirkungen der Hoffnung auf Glück, der Wunsch, eine verwandte Seele zu finden, oder einfach nur das Streben nach Stabilität in einer unruhigen Welt? Die Farm brauchte sicherlich einen starken Besitzer, und Cäcilia eine zuverlässige Stütze, einen Menschen, der die Last der Sorgen mit ihr teilte und ihr und ihren Lieben eine Zukunft sicherte. Nach der Hochzeit wurde ein Vertrag über den gemeinsamen Besitz der Farm unterzeichnet, was zu dieser Zeit üblich war – eine formelle Bestätigung der Union und der gemeinsamen Interessen.

      Und doch wurde diese Ehe trotz aller Hoffnungen und Erwartungen für Cäcilia nicht zur Rettung, sondern eher zu einer Last, die sie schweigend und widerspruchslos trug. Sie war geduldig wie die Erde, die jeden Regen aufnimmt, und fügsam, ließ das Schicksal sie auf dem vorgezeichneten Weg führen. Jeden Morgen stand sie auf, wissend, dass sie nur eines erwartete: die Wiederholung des gestrigen Tages, erfüllt von Schweigen, harter Arbeit und Angst. Es schien, als ob das Schicksal schon lange alles für sie entschieden hatte, und Cäcilia akzeptierte demütig jeden Schlag, ohne auf Veränderungen zu hoffen. Sie war wie eine alte Ikone, die von Zeit und Kummer verdunkelt war, aber in der Tiefe ihrer Seele immer noch einen schwachen Hoffnungsschimmer auf das bewahrte tief in ihrer Seele einen schwachen Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten.

      Die Frau hatte ein schweres Leben hinter sich. Gerüchten zufolge wurde sie von ihrem Vater und später von ihrem Ehemann Andreas misshandelt. Es ist heutzutage natürlich unmöglich, diese Gerüchte zu bestätigen, aber das Leben einer Bäuerin war in jenen Zeiten selten einfach und unbeschwert. Frauen arbeiteten gleichberechtigt mit den Männern, ertrugen Entbehrungen und wurden nicht selten Opfer häuslicher Gewalt.

      Dennoch wäre es ein Fehler, Cäcilia für ein sanftmütiges und willenloses Opfer zu halten. Diejenigen, die im Dorf lebten, bestätigten, dass sie einen starken Charakter und einen festen Willen hatte. Sie konnte für sich und ihre Familie einstehen, auch wenn sie sich der Tyrannei ihres Mannes vielleicht nicht immer offen widersetzen konnte. Cäcilia war eine komplexe und widersprüchliche Persönlichkeit, die unter dem Einfluss schwieriger Lebensumstände geformt wurde.

      Viktoria Gruber:

      An einem kalten Februarmorgen des Jahres 1887, als ein heulender Wind an den kahlen Ästen der Bäume um Hinterkaifeck zerrte, gebar Cäcilia ein Mädchen. Der Eintrag im Kirchenbuch lautete: Viktoria Gruber, 6. Februar 1887.

      Die Geburt war schwer und erschöpfend. Als die Hebamme das Neugeborene sorgfältig in Cäcilias Arme legte, schloss diese erschöpft die Augen.

      Viktoria wurde schweigend geboren. Kein Schrei, kein Piepsen – nur ein leises Knurren, das die Hebamme stutzig machte. Andreas, der seine Gefühle normalerweise zurückhielt, stand abseits und beobachtete das Geschehen mit einem undurchdringlichen Gesicht. Sein Blick, der über die blasse Haut des Mädchens glitt, verweilte auf ihren großen, weit geöffneten Augen, als ob er versuchte, etwas in ihnen zu erkennen, das anderen verborgen blieb.

      Die Jahre vergingen, aber dieser Blick voller Unausgesprochenem blieb ein Rätsel. Viktoria, die auf der Farm Hinterkaifeck aufwuchs, schien aus Widersprüchen gewoben zu sein. Ihre hochgewachsene, fast kantige Gestalt trug scheinbar eine Last, die für ihr junges Alter unzumutbar war. Ihre Bewegungen, normalerweise fließend und anmutig, wurden manchmal schroff und nervös und verrieten eine verborgene Anspannung. Ihr Gesicht, das von dunklem, dichtem Haar umrahmt wurde, wirkte blass, fast leblos, als ob ihr Blut langsamer floss als bei anderen. Ihre großen grauen Augen, die mit ihrer Schönheit hätten fesseln können, blickten nun misstrauisch in die Welt, als ob sie nach Anzeichen von Gefahr suchten. Ihr Blick war durchdringend, scharf und in der Lage, kleinste Details zu erkennen, die anderen verborgen blieben.

      Sie war schweigsam und zurückhaltend und zog es vor, zu beobachten, anstatt sich zu beteiligen. Ihre Stimme klang leise, fast wie ein Flüstern, als ob sie Angst hätte, die Stille zu um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie hatte etwas Innerliches, Abgeschlossenes an sich, als ob sie sich mit einem unsichtbaren Schild vor der Außenwelt schützte. Sie lächelte selten, und wenn sie lächelte, schien es, als ob das Lächeln ihre Augen nicht berührte, als ob es nur eine Maske war, die wahre Gefühle verbarg.

      Ihre Hände, die für gewöhnlich mit schwerer Hausarbeit beschäftigt waren, zeichneten sich durch eine seltsame Anmut aus. Die Finger waren lang, dünn, als wären sie nicht für grobe Arbeit geschaffen, sondern für etwas Anmutigeres. Sie liebte es, Zeit allein zu verbringen, durch die umliegenden Wälder zu streifen, Kräuter und Blumen zu sammeln. Man sagte, sie kenne die Sprache der Pflanzen, verstehe ihre geheimen Botschaften.

      Sie hatte etwas Unirdisches, etwas Jenseitiges, das gleichzeitig anzog und abstieß. Sie schien ein Rätsel zu sein, das unmöglich zu lösen war, ein Geheimnis, das man besser nicht anrühren sollte. Sie war wie eine Warnung, wie ein Zeichen, das darauf hinwies, dass es in dieser Welt Dinge gibt, die man besser nicht wissen sollte.

      Sophia Gruber:

      Zwei Jahre später, im Jahr 1889, ertönte im Haus erneut der Schrei eines Neugeborenen – Cäcilie brachte eine zweite Tochter zur Welt, Sophia. In den ersten Tagen war das Haus voller Freude, doch zusammen mit ihr schwebte eine unbestimmte Besorgnis in der Luft, eine unklare Vorahnung von Unglück. Sophia schien zu zerbrechlich, zu schutzlos gegenüber den dunklen Kräften, die Hinterkaifeck zu umgeben schienen.

      Es war ihr nicht bestimmt, lange zu leben. Sophia verließ diese Welt im Alter von zwei Jahren, als hätte ein böser Geist ihre Seele geraubt und nur einen leblosen Körper zurückgelassen. Eine Krankheit, in Geheimnisse gehüllt, schien aus den umliegenden Wäldern herabgestiegen zu sein, verdrehte ihren zerbrechlichen Körper und raubte ihr den Atem.

      Die Kindersterblichkeit wütete zu jener Zeit wie ein unersättlicher Schnitter in den bayerischen Landen, und kein Haus konnte sich in Sicherheit wiegen. Jedes neugeborene Kind kam mit dem Stigma der Verletzlichkeit zur Welt, wie ein dünner Trieb, der sich durch den steinigen Boden kämpfen musste. Und nur wenigen gelang dies. Typhus, Diphtherie, Masern, Scharlach – die Namen dieser Krankheiten klangen wie finstere Beschwörungen, die Säuglinge und Kinder zu einem qualvollen Tod verurteilten. Es gab keine Impfungen, keine wirksamen Medikamente, nur Gebete und Kräuteraufgüsse, die eher Trost als Heilung brachten. Schlechte Hygiene war allgegenwärtig: schmutziges Wasser aus Brunnen, Enge in den engen Hütten, in denen sich im Winter Menschen und Vieh versammelten, fehlendes Grundwissen über Mikroben und Infektionen. Krankheiten breiteten sich wie ein Waldbrand aus und erfassten ganze Dörfer. Mütter sahen voller Entsetzen zu, wie ihre Kinder vor ihren Augen vergingen, wie ihre Körper von Ausschlägen bedeckt wurden, wie sie von Husten erstickt wurden. Sie wischten ihnen den Schweiß von der Stirn, flüsterten Gebete, hofften auf ein Wunder, aber Wunder geschahen selten. Selbst wenn ein Kind nach einer schweren Krankheit überlebte, blieb es schwach und schutzlos gegenüber anderen Gefahren: Hunger, Mangel an warmer Kleidung, harter Arbeit, die mit fünf oder sechs Jahren begann. Viele Kinder erlebten einfach nicht das Erwachsenenalter und nahmen ihre unerfüllten Träume und unerfüllten Hoffnungen mit sich. Auf den Friedhöfen am Rande der Dörfer nahmen Kindergräber ganze Reihen ein – gesichtslose Hügel, bedeckt mit Gras und Wildblumen, eine traurige Erinnerung daran, wie zerbrechlich und kurz das Leben in jenen Tagen war.

      Der Tod des Kindes war ein weiterer Schlag für Cäcilie, obwohl sie es äußerlich still und ohne Tränen ertrug. Der Verlust hinterließ sicherlich seine Spuren, aber kaum jemand bemerkte dies hinter ihrer üblichen Unterwürfigkeit und Demut. In den rauen Realitäten des Lebens auf dem Bauernhof, wo jeder Tag ein Kampf ums Überleben war, gab es einfach keinen Platz für lange Trauer. Man musste arbeiten, um zu überleben, und Cäcilie erfüllte weiterhin ihre Pflichten, als wäre nichts geschehen. Aber was in ihrer Seele vor sich ging, blieb ein Geheimnis.

      Kapitel 6

      Erde und Blut

1910—1914

      In jenen