Название | Besonderes Verwaltungsrecht |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | |
Серия | C.F. Müller Lehr- und Handbuch |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811472297 |
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Voraussetzung einer Befreiung ist zunächst, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen. Wann dies der Fall ist, kann nur im Hinblick auf die konkrete Planungssituation bestimmt werden. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht des Plans eingreift, desto eher ist von einer Berührung der Grundzüge der Planung auszugehen und demgemäß zur Ermöglichung des Vorhabens eine Änderung der Planung erforderlich[684]. Fraglich ist, inwieweit daneben an dem Kriterium der Atypik festzuhalten ist[685]. Die Streichung der Anforderung, dass Befreiungen nur im Einzelfall erteilt werden können, mag zwar in Richtung einer Aufgabe dieses Kriteriums zielen. Letztlich ist das Kriterium der Atypik jedoch aus dem Wesen der Befreiung abzuleiten. Besteht das Bedürfnis nach Befreiungen in nicht atypischen Fällen, stellt sich die Frage, ob nicht die planerische Konzeption überholt und der Bebauungsplan entsprechend anzupassen ist[686]. Weiter verlangt § 31 Abs. 2 BauGB allgemein für alle Befreiungen, dass sie mit öffentlichen Belangen vereinbar sind[687]. Dieses Kriterium kommt vor allem gegenüber Befreiungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauGB zum Tragen[688]. Und schließlich müssen die nachbarlichen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Dieses Erfordernis hängt nicht davon ab, ob von drittschützenden Festsetzungen befreit werden soll[689].
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Neben diesen allgemeinen Voraussetzungen muss weiterhin einer der drei speziellen Befreiungstatbestände erfüllt sein. § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB setzt voraus, dass Gründe des Allgemeinwohls die Befreiung erfordern. Unter Allgemeinwohl sind alle öffentlichen Interessen zu verstehen. Die Erforderlichkeit verlangt nicht, dass dem Gemeinwohl in keiner anderen Weise Genüge getan werden kann. Es reicht aus, wenn die Befreiung vernünftigerweise geboten ist[690]. § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erlaubt Befreiungen, wenn die Abweichung städtebaulich vertretbar ist. Hier wird darauf abgestellt, ob die Befreiung generell auch ein zulässiger Inhalt eines Bebauungsplans wäre[691]. An diesem bedenklich weiten Befreiungstatbestand wird die Notwendigkeit eines einschränkenden Kriteriums der Atypik besonders deutlich[692]. Die Befreiungsmöglichkeit nach Nr. 2 ist vor allem für Bebauungspläne in bereits länger überbauten Gebieten etwa in Stadterhaltungs- und Stadterneuerungsgebieten geeignet. Durch die Befreiung lassen sich hier zum Beispiel Um- oder Aufbauten eines historisch gewachsenen Bestands bewerkstelligen. Schließlich erlaubt § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB eine Befreiung, wenn es ansonsten zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte käme[693]. Dieser Befreiungstatbestand zielt in besonderer Weise auf die Herstellung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Stellt sich die Frage einer Befreiung auf der Grundlage des § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB für eine Vielzahl von Grundstücken im Plangebiet, muss an der Richtigkeit der Abwägungsentscheidung gezweifelt werden[694].
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Die Erteilung der Befreiung steht im Ermessen der Zulassungsbehörde, wobei gemäß § 36 BauGB das Einvernehmen der Gemeinde erforderlich ist[695]. Zu Recht wird aber darauf hingewiesen, dass praktisch alle für die Ermessensausübung relevanten Gesichtspunkte bereits auf der Tatbestandsseite geprüft werden müssen, womit sich die Frage nach dem verbleibenden Ermessensspielraum stellt[696]. Die Rechtsprechung nimmt gleichwohl an, dass von einer Befreiung abgesehen werden kann, wenn ihr „gewichtige Interessen entgegenstehen“[697].
IV. In Aufstellung befindlicher Plan
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§ 33 BauGB ermöglicht es, ein Vorhaben auch bereits vor dem Abschluss des Aufstellungsverfahrens auf der Grundlage des sich bereits abzeichnenden neuen Bebauungsplans zu verwirklichen[698]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufstellung des neuen Bebauungsplans durch die Instrumente der §§ 14 f. BauGB gesichert und die alte Rechtslage somit nicht mehr ausgenutzt werden kann[699]. Ohne die von § 33 BauGB eröffnete Möglichkeit ergäbe sich die Situation, dass Grundstücke zum Teil über lange Zeit nicht bebaubar wären. Dabei schafft § 33 BauGB keinen neuen Gebietstyp. Die Zuordnung zu den §§ 30, 34, 35 BauGB bleibt bestehen. Ist ein Vorhaben aufgrund des Nichteingreifens der §§ 14 f. BauGB hiernach zulässig, ist für die Anwendung des § 33 BauGB kein Raum. Ist das Vorhaben hingegen nach den genannten Regelungen unzulässig, kann aber nach § 33 BauGB genehmigt werden, modifiziert dieser insofern die genannten Regelungen[700].
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Die Zulassung auf der Grundlage eines noch in der Aufstellung befindlichen Plans birgt stets das Risiko, dass dieser letztlich nicht wirksam wird. Um dieses Risiko gering zu halten, verlangt § 33 Abs. 1 BauGB, dass das Aufstellungsverfahren einen bestimmten Verfahrensstand erreicht haben muss (formelle Planreife). Konkret muss gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 BauGB die formelle Beteiligungsphase einschließlich etwaiger Wiederholungen nach § 4a Abs. 3 BauGB aufgrund von Änderungen an dem Planentwurf abgeschlossen sein[701]. Da es im Aufstellungsverfahren durchaus zu mehreren Änderungen kommen kann, eröffnet der § 33 Abs. 2 BauGB von der Voraussetzung des § 33 Abs. 1 Nr. 1 BauGB insofern eine Ausnahme, als Änderungsverfahren, die das Vorhaben selbst nicht betreffen, die vorzeitige Zulassung des Vorhabens nicht hindern. § 33 Abs. 1 Nr. 2 und 4 BauGB übertragen die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen des § 30 Abs. 1 BauGB – kein Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans und gesicherte Erschließung – auf die Situation des § 33 BauGB. Aus § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB wird das Erfordernis der materiellen Planreife abgeleitet. Dies setzt voraus, dass der vorliegende Entwurf in Kraft treten könnte[702]. § 33 Abs. 1 Nr. 3 BauGB schließlich verlangt, dass der Antragsteller die künftigen Festsetzungen schriftlich anerkennt. Das Anerkenntnis entfaltet dingliche Wirkung und liegt als öffentliche Last auf dem Grundstück mit der Folge, dass die planungsrechtliche Situation des Grundstücks im Sinne des künftigen Bebauungsplans verändert wird[703].
1. Überblick
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§ 34 BauGB normiert die Zulässigkeit von Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich. Er öffnet bereits baulich entwickelte Innenbereichsflächen auch in Abwesenheit einer planerischen Steuerung einer weiteren baulichen Nutzung. Der Gesetzgeber bringt zum Ausdruck, dass die bauliche Nutzung im Innenbereich gelegener Flächen gewünscht ist, und schafft, damit diese Nutzung nicht an der fehlenden planerischen Grundlage scheitert, mit der Regelung des § 34 BauGB einen „Planersatz“[704]. In Abwesenheit einer konkret auf das Gebiet bezogenen planerischen Steuerung bildet die in der Umgebung vorfindliche tatsächliche Bebauung den Maßstab für die Zulässigkeit von Vorhaben.
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§ 34 BauGB spielt in der Rechtswirklichkeit durchaus eine erhebliche Rolle. Dies ist rechtspolitisch in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Gewachsene Gemengelagen von industrieller, gewerblicher und Wohnnutzung, die im Innenbereich liegen, sind häufig städtebaulich problematisch und daher planungsbedürftig. Eine ungesteuerte Genehmigungspraxis auf Grundlage des § 34 BauGB kann hier zur Verfestigung und Verschärfung unerwünschter Situationen beitragen[705]. Zu beachten ist vor allem, dass den Gemeinden hier jeglicher planerischer Zugriff fehlt, da auch der Flächennutzungsplan – anders als etwa im Außenbereich – ohne Wirkung bleibt[706]. Andererseits wird § 34 BauGB in der kommunalen Praxis zum Teil auch gezielt eingesetzt. Projekte, die eine Planung zumindest nahelegen würden, werden auf der Grundlage von § 34 BauGB realisiert. Dabei kann es zum einen um die Vermeidung eines als zu aufwendig empfundenen Bauleitplanverfahrens, zum anderen aber auch um die bewusste Umgehung von Partizipationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit und Träger öffentlicher Belange gehen[707].
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Anwendungsvoraussetzungen