Carola Pütz - Verlorene Seelen. Michael Wagner J.

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Название Carola Pütz - Verlorene Seelen
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847695493



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ihre innere Verwirrung offenbarte.

       Bemerkte er das etwa?

      »Das Konzert ist fantastisch«, sagte er nonchalant, »Was denken die Damen?«

      »Ja, fantastisch.«

      Ihr fiel nichts anderes ein, als das Wort wie ein Papagei zu wiederholen. Es ärgerte sie, dass sie sich benahm wie ein schüchterner Teenager.

      »Sind Sie auch Kurgast im Ort?«, fragte Silvia Schleisieck interessiert.

      »Nein«, antwortete er mit einem dunklen Unterton in der Stimme, der nicht zu seinem Gehabe passen wollte, »Ich bin beruflich hier. Leider.«

      Carola sah ihre Chance, etwas Schlaues zu sagen. »Seien Sie froh, folglich müssen Sie auch keine Krankheit auskurieren.«

      Er lachte. »Da haben Sie recht. Wenn ich das bemerken darf, Sie sehen auch beide nicht so aus. Das meine ich als Kompliment.«

      Eine kleine Glocke erklang dreimal, das Zeichen, sich wieder auf die Plätze zu begeben.

      »Sehen wir uns in der nächsten Pause?«, fragte er.

      Nach einem schnellen Seitenblick auf Carola antwortete Frau Schleisieck: »Gerne.«

      Durch die nächste Tür gingen sie noch gemeinsam, dann verschwand Reto Winterhalter in den hinteren Teil des Theaters.

      »Sehr charmant, dieser Schweizer. Und verdammt gut aussehend.«

      »Das weiß er aber auch«, antwortete Carola.

      »Ich mag selbstbewusste Männer. Waschlappen gibt es genug auf der Welt.«

      Carola hatte das Gefühl, etwas entgegnen zu müssen, ließ es aber sein.

       Warum war das so?

      Sie kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn der dritte Satz begann mit dem Scherzo. Sofort nahm Dvorák sie mit seiner Musik gefangen, und sie vergaß den Schweizer Charmeur für ein paar Minuten.

      *

      Einen Moment lang zögerte Carola. Reto Winterhalter hatte sie für den nächsten Tag auf einen Kaffee eingeladen. Sie standen bereits im Foyer des Theaters. Silvia Schleisieck hatte sich entschuldigt und war auf die Toilette gegangen. Er nutzte die Gelegenheit, sie alleine sprechen zu können.

      Sie befand sich in Zwiesprache mit sich selbst. Auf ihrer Schulter saßen ein Engelchen und ein Teufelchen. Jedes flüsterte ihr etwas anderes ins Ohr.

      Das eine flüsterte ihr zu: »Pass auf!« Das andere sagte: »Was ist denn dabei?«

      Einem spontanen Entschluss folgend, ließ sie alle Vorsicht fahren. Was gab es gegen einen harmlosen Kaffee einzuwenden?

      »Ja, gerne.«

      Ein flüchtiges Lächeln flog über seine Lippen.

      »Wie schön. Darf ich Sie nach Hause begleiten? Dann weiß ich auch, wo ich Sie morgen abholen kann«, sagte er.

      »Kennen Sie die Kurklinik ‚Sachsenglück‘?«

      »Sicher, die liegt in der Nähe meiner Pension«, antwortete er und zupfte an seinem Schal.

      »Ach ja? Darf ich fragen, was Sie beruflich machen, Herr Winterhalter?«

      »Ich bin Journalist«, sagte er, »Aber ich möchte Sie nicht mit Details aus meinem Leben langweilen.«

      »Keine Angst. Wenn das passiert, sage ich es sofort«, versprach sie kokett und wunderte sich über sich selbst.

      Silvia Schleisieck gesellte sich zu Ihnen. Als sie kurze Zeit später durch die Tür ins Freie traten, sprang ihnen die Kälte förmlich ins Gesicht. Die zusätzlichen Strahler waren bereits erloschen, Arbeiter beeilten sich und rollten den roten Teppich zusammen. Sie gingen seitlich die Treppe hinunter, um die Arbeiten nicht zu stören.

      »Uuh, wie ungemütlich«, sagte Silvia Schleisieck und zog ihren Kragen hoch.

      »Ich hoffe, niemand hat etwas dagegen, wenn wir uns beeilen.«

      »Nein, sicher nicht«, bestätigte Carola.

      Es kam ihr so vor, als hätte Reto Winterhalter ein liebenswürdiges Dauergrinsen aufgelegt. Freundlich, aber trotzdem reserviert, seitdem sie ihn auf seinen Beruf angesprochen hatte. Sie konnte sich täuschen, aber es kam ihr so vor. Unterwegs begegneten ihnen viele Gäste des Konzerts, Taxis fuhren an ihnen vorbei. Sie unterhielten sich auf dem Weg nur über belanglose Dinge. Vom Theater bis zur Klinik brauchte man ungefähr fünf Minuten, wenn man sich beeilte.

      Vor der Auffahrt zur Klinik standen mehrere Menschen und schauten hinauf zum Eingang. Durch die angeregte Unterhaltung fiel es ihnen erst auf, als sie dort ankamen.

      Carola erkannte die Blaulichter der Einsatzfahrzeuge als Erste.

      »Oh je, das sieht nach einem erneuten Diebstahl aus. Sonst wäre wohl die Polizei nicht dort«, sagte sie.

      Doch dann erkannte sie einen Rettungswagen und einen Notarztwagen, die vor dem Eingang der Klinik parkten. Trotz der späten Stunde herrschte reichlich Betrieb. Kurgäste, nur mit Morgenmänteln und Hausschuhen bekleidet, standen vor dem Eingang.

      Sofort wich ihre gelöste Stimmung einer gespannten Erwartung. Sie hatte lange Zeit als Gerichtsmedizinerin gearbeitet, bevor sie sich der plastischen Forensik zugewandt hatte. Daher kannte sie die gedrückte Gemütslage, die herrschte, wenn man sich einem Tatort näherte.

      »Diebstahl?«, fragte Reto Winterhalter.

      »Ja, es gab einen Diebstahl vor einigen Tagen. Aber wenn Notfallmediziner vor Ort sind, ist es sicher etwas anderes«, antwortete Carola. Eine unerfreuliche Vorahnung breitete sich in ihr aus.

      Näherten sie sich einem Tatort?

      Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, als sie auf das Gebäude zugingen.

      Die kreisenden Blaulichter der Rettungsfahrzeuge unterlegten die Szenerie mit einer düsteren Stimmung.

      Carola bemerkte nicht, dass sie den Arm von Reto Winterhalter ergriff, als sie die Treppenstufen hinaufgingen. Was sie jedoch registrierte, war, dass ihr Puls langsam anstieg. Nicht besorgniserregend, aber spürbar. Die Leute in den Bademänteln tuschelten miteinander. Carola bekam nur Gesprächsfetzen mit.

      Sie hörte das Wort ‚Tote‘ und man sprach vom Hallenbad. Winterhalter öffnete die Tür und ließ den Frauen galant den Vortritt.

      Vor der Rezeption drängten sich die Hausgäste. Links vor dem Durchgang zur Schwimmhalle stand ein Polizist und wies Neugierige ab. Frau Schleisieck drehte sich um und deutete an, dass sie sich an der Rezeption erkundigen wollte.

      Carola wollte auf sie warten, doch Reto Winterhalter zog sie in Richtung Hallenbad, bis sie vor dem Polizisten standen.

      »Ist die Presse zugelassen?«, fragte er den unerfahren wirkenden Beamten und hielt ihm seinen Presseausweis vor die Nase. Der Polizist kontrollierte ihn und gab den Weg frei.

      Carola schaute Reto Winterhalter fragend an. Doch der grinste nur schelmisch und sagte: »Wenn ihm der Schweizer Presseausweis ausreicht, was soll ich sagen?«

      Sie schmunzelte über seine Unverfrorenheit, obwohl ihr nicht nach Scherzen zumute war.

      Langsam gingen sie weiter, vorbei an dem Büro von Ferner, bis sie an der Decke des Ganges bereits die Reflexionen des Wassers sehen konnten.

      Der Pulsschlag stieg. Nach rechts öffnete sich der Gang und daran schloss sich eine kleine Treppe an, über die man den ornamentierten Fliesenbelag der Halle betrat. Doch für die kunstvoll verlegten Fliesen hatte sie keinen Blick. Der haftete auf dem im Wasser treibenden Körper, den jemand gerade versuchte, an den Beckenrand zu schieben. Der Polizeibeamte musste schwimmen, da der Körper im tiefen Wasser trieb. Ein weiterer Polizist hantierte