Carola Pütz - Verlorene Seelen. Michael Wagner J.

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Название Carola Pütz - Verlorene Seelen
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847695493



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hier herumschnüffelt, können wir nicht so weiter machen«, flüsterte die eine Stimme.

      Weiblich.

      »Ich habe meine Aufträge, ich kann jetzt nicht plötzlich aufhören. Es war klar, dass die Frau Doktor die Polizei einschaltet. Das war dir auch vorher schon klar«, antwortete ein Mann mit zischender Stimme.

       Das kann nicht wahr sein!

      Carola Pütz erstarrte. Wie es aussah, standen jetzt, keine vier Meter entfernt, nur durch die Tür von ihr getrennt, die mutmaßlichen Diebe. Ein Mann und eine Frau. Sie versuchte sich den Tonfall und die Klangfarbe der Stimmen einzuprägen.

      »Und ich sage dir noch einmal, du hörst auf damit. Wenigstens so lange, wie die Polizei ermittelt. Ich habe keine Lust, wegen dir meine Anstellung zu verlieren.« Sie klang sehr aufgeregt, ihre Stimme überschlug sich.

      Die Frau war angestellt. Sie sprach nicht von einem Job. Sie war hier in der Klinik also nicht nur als Aushilfe beschäftigt. Carola Pütz zog sich zurück. Einerseits war sie neugierig, andererseits bekam sie Angst. Sie hatte in ihrem Leben schon viele Kriminelle erlebt, doch waren diese in der Regel tot. Mausetot. Diese beiden aber waren quicklebendig.

      Und vielleicht gefährlich.

      Auf leisen Sohlen schlich sie die Treppe herunter. Fünf Stufen. Zwanzig Meter bis zur Tür. Geschickt umkurvte sie die Tische, die schon für den Abend eingedeckt waren. Noch zehn Meter bis zur Tür. Dann würde niemand sie bemerkt haben. Sie war sich sicher, die Stimme im Laufe der Zeit zu erkennen.

      Plötzlich ertönte von der Bühne eine laute, ungehaltene Stimme: »Der Speisesaal ist noch nicht geöffnet. Wie kommen Sie denn hier rein?«

      Carola Pütz hielt in der Bewegung inne.

       Mist. Wenn ich mich jetzt umdrehe, sehe ich eine Diebin.

      Die Frau sprach zu ihr. Ganz langsam drehte Carola Pütz sich herum, blickte zur Bühne herüber.

      Herzklopfen.

      Auf der Bühne stand eine Frau mit in die Hüften gestemmten Armen. Mit dem Blick, den sie Carola Pütz zuwarf, hätte man Tote erwecken können. Sofern das machbar war.

      Es war Franziska Eichhorn.

      »Entschuldigung«, sagte Pütz, »Die Türe stand offen. Ich finde den Raum so unvergleichlich, da bin ich hineingegangen. Ich wusste nicht, dass das verboten ist.«

      Sie versuchte, ein normales, unbeteiligtes Gesicht zu machen.

      Franziska Eichhorn wurde in dem Moment bewusst, dass sie einen Kurgast nicht so anfahren konnte. Ihr war der Schreck in die Glieder gefahren, als sie Carola dort im Speisesaal sah. Normalerweise waren die Türen bis eine Viertelstunde vor Beginn der Essenszeit geschlossen. Eine der Putzfrauen hatte sie wohl nicht abgesperrt.

      »Nein, sicherlich ist es nicht verboten. Schauen Sie sich nur um«, sagte sie und fragte sich, ob die Frau wohl etwas gehört hatte. Ihre Stimme war nun nicht mehr so barsch.

      »Vielen Dank, aber ich habe alles gesehen, was ich sehen wollte«, sagte Carola vielsagend und ließ die Frau auf der Bühne stehen. Sie drehte sich um und verließ schleunigst den Speisesaal. Franziska Eichhorn warf ihr einen misstrauischen Blick hinterher.

      Während Carola Pütz zurück zu ihrem Zimmer ging, überlegte sie, was sie tun sollte. Die Polizei informieren? Die Klinikleitung informieren? Wer weiß, vielleicht steckten noch mehrere Angestellte mit diesen beiden unter einer Decke. Sie verwarf den Gedanken.

      Abwarten.

       Vielleicht war ja auch alles ganz anders.

      Der Mann könnte ja auch etwas total harmloses gemeint haben. Wäre da nicht das Wort ‚Auftraggeber‘ gewesen.

      Egal. Sie würde abwarten. Zu gegebener Zeit konnte sie mit ihrer Entdeckung vielleicht punkten.

      Zurück in ihrem Zimmer, spürte sie eine innere Erregung. Beinahe so wie bei einer plastischen Rekonstruktion. Ganz am Anfang. Wenn noch nichts geklärt war. Wenn der nackte Schädel vor ihr stand. Forschergeist. Fühlte sich so ein Detektiv? Ihr gefiel der Gedanke.

      *

      Über Nacht taute der Schnee. Auch war es nicht mehr so kalt wie am Vortag. Carola Pütz öffnete das erste Mal, seitdem sie ihr Zimmer bezogen hatte, die Tür und trat hinaus auf den kleinen Balkon.

      Man konnte nicht sagen, es sei mild, aber die Luft schien einmal komplett ausgetauscht worden zu sein. Heute war der erste Advent. Ein wenig Schnee hätte dem Tag gut zu Gesicht gestanden.

      In der Eingangshalle brannte die erste Kerze an dem riesigen Adventskranz, der seit dem gestrigen Abend unter der Decke hing. Echte Kerzen wären stilvoller gewesen, doch seit einem Adventskranzbrand Ende der Achtzigerjahre war mit dieser Tradition gebrochen worden. Seitdem gab es täuschend echt aussehende elektrische Kerzen.

      Diese waren sogar der neuesten Generation angehörend und reagierten auf ein Signal der Fernbedienung. Keine lästigen Kabel mehr. Den meisten Gästen der Klinik fiel dieser Unterschied nicht auf. Man brach in der Klinik nicht gerne mit althergebrachten Traditionen, aber in diesem Fall setzte sich der damalige Hausmeister, unterstützt von der Feuerwehr, gegen die Verwaltung durch.

      Auch im Speisesaal befanden sich ein paar kleinere Adventskränze.

      »Hätte der Schnee nicht liegen bleiben können?«, fragte Frau Schmitt-Wienand mit einem Anflug von gekünstelter Trauer in der Stimme.

      »Ja, da muss ich Ihnen recht geben. Ein Advent ohne Schnee ist nicht schön. Gerade, wo man doch hier in der Nähe des Erzgebirges ist. Die Gegend gilt doch langläufig als schneesicher.«

      Dieser Satz kam von Frau Silvia Schleisieck, einer sportlich aussehenden Mittdreißigerin, die sich am gestrigen Abend zu ihnen an den Tisch gesellt hatte. Als Dr. Pütz erfuhr, dass sie als leitende Managerin eines Industriegiganten aus dem Rheinland einen Herzinfarkt erlitten hatte, musste sie zweimal schlucken. Herzinfarkt mit Mitte dreißig. Da kam sie mit ihren Mitte vierzig ja noch gut weg.

      »Ich vermisse den Schnee nicht. Ich bin ein Sommerkind«, antwortete sie und legte ihren Löffel beiseite. An diesem Morgen hatte sie das erste Mal Müesli gegessen, so wie es auf ihrem Diätplan stand.

       Wieso?

      Das konnte sie sich selbst nicht beantworten. Wider Erwarten schmeckte das Müesli lecker.

      »Ja, aber zum Advent oder auch allgemein zur Weihnachtszeit gehört doch Schnee. So habe ich das gern«, sagte Frau Schleisieck.

      »Also ich brauche kein‘ Schnee. Is doch eh immer alles bloß Matsche«, sagte Herr Krawuttke, der bisher an diesem Morgen noch kein Wort gesagt hatte.

      »Guten Morgen, der Herr«, sagte Frau Schmitt-Wienand mit einem ironischen Unterton. Krawuttke grinste bloß. »Is doch wahr«, fügte er noch an.

      Bald kam das Gespräch wieder auf das Thema Konzert am Abend. Frau Schleisieck horchte auf. Nachdem Carola Pütz ihr erklärt hatte, welches Stück gespielt würde, stand sie sofort auf und eilte hinüber zum Empfang. Strahlend kam sie wieder zurück. Sindy Partsche hatte direkt im König Albert Theater angerufen.

      »Dann würde ich mich freuen, wenn wir zusammengehen könnten. Nehmen Sie mich mit, Frau Pütz?«

      »Aber sicher«, antwortete Carola Pütz, die froh war, nicht alleine zu dem Konzert gehen zu müssen. Die junge Frau erschien ihr zudem außergewöhnlich sympathisch.

      Kapitel 3

      Das altehrwürdige Theater erstrahlte in prunkvollem Glanz. Extra dafür aufgebaute Strahler beleuchteten die Fassade. Ein roter Teppich wies den Gästen den Weg. Ein Banner mit der Aufschrift ‚Adventskonzert der Chursächsischen Philharmonie‘ hing über dem Eingang. Kein Regen störte die Feierlichkeit.