Virus. Kristian Isringhaus

Читать онлайн.
Название Virus
Автор произведения Kristian Isringhaus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738086386



Скачать книгу

Während er selbst zufällig immer ein Halstuch trug, hatte Mark extra eines zu Vermummungszwecken mitgebracht. Sogar an ein Brecheisen hatte er gedacht. Was mochte noch in Marks Rucksack verborgen sein?

      Plötzlich war das aufgeregte Geschrei nicht mehr nur vom Parkplatz vor dem Kongresszentrum zu hören – plötzlich kam es auch von hinter ihnen. Passe drehte sich um. Polizisten in voller Kampfmontur waren eingetroffen und begannen, mit ihren Knüppeln die Globalisierungsgegner zu Boden zu prügeln und zu fesseln.

      Nicht einmal eine Minute war vergangen, seit Mark den ersten Stein geworfen hatte.

      Sofort flogen die Steine nicht mehr auf den Parkplatz, sondern auf die Polizisten. Diese hoben schützend ihre Schilde und versuchten, weiter vorzudringen.

      Es wurden immer mehr und sie kesselten die Globalisierungsgegner ein. Alle, nicht nur die Steinewerfer. Wegen ihres Versuchs, die Gewalttäter von ihrem zerstörerischen Tun abzubringen, befanden sich die friedvollen Globalisierungsgegner immer noch im Pulk der Randalierer und waren nun nicht mehr von ihnen zu unterscheiden. Erbarmungslos knüppelten die Polizisten auf alles ein, was keine Uniform trug.

      Wo war Dora? Passe musste sie beschützen! Er konnte nicht mehr klar denken. Unmengen von Adrenalin sorgten dafür, dass er die ganze Szene fast wie in Trance wahrnahm.

      Plötzlich stand Mark neben ihm und drückte ihm einen brennenden Molotow-Cocktail in die Hand. Passe überlegte nicht lange, sondern warf ihn über den Zaun. Er traf einen Polizeiwagen, der augenblicklich in Flammen aufging. Passe frohlockte. Wenn der Tank erst explodierte, dann würden auch die umstehenden Autos Feuer fangen. Es würde ein Inferno geben. Die Welt würde Notiz von ihnen nehmen.

      Dann spürte er einen scharfen Schmerz auf seinem Hinterkopf und sank zu Boden. Er war benommen, aber nicht bewusstlos. Er nahm wahr, wie der Polizist weiter auf ihn einprügelte und eintrat. Verschwommen sah er, wie überall um ihn herum Polizisten auf am Boden Liegende eintraten, wie diese verzweifelt versuchten, sich zu wehren, wie seine Leute auseinander gesprengt wurden und flohen.

      Was sie jetzt brauchten, war eine Ablenkung. Wann würde der Tank explodieren? Es konnte nicht mehr lange dauern. Passe ertrug die Schläge und wartete auf den Knall.

      Dann sah er den Schatten, der angeflogen kam. Eine vermummte Gestalt sprang dem Beamten, der auf ihn einprügelte, mit beiden Beinen voraus in den Rücken. Der Polizist fiel vornüber. Die kleine, zierliche Gestalt, riss Passe hoch und zerrte ihn weg. Sein Kontrahent rappelte sich schnell hoch. Wirklich verletzen konnte man sie nicht, wenn sie ihre Kampfmontur trugen. Doch die Zeit reichte. Passe hatte es in das kleine Wäldchen hinter der Wiese geschafft und befand sich auf dem Weg zurück zum Zeltplatz.

      Er konnte der vermummten Gestalt kaum folgen. Sie war zwar relativ klein und zierlich, aber auf sie war auch nicht wie wild eingeprügelt worden. Wer war sein vermummter Retter? Er blickte die Gestalt näher an, während sie ihn an ihrer Hand durch den Wald zog. Dann erkannte er die Kleidung.

      „Dora?” stieß er ungläubig und schwer atmend hervor?

      Sie zog den Schal herunter, der ihr Gesicht verdeckt hatte. „Mach so etwas nie wieder!” sagte sie.

      –––––

      Martin Henkel war ein erfahrener Feuerwehrmann. Seit fünfzehn Jahren arbeitete er für die Berufsfeuerwehr und seit über einem Jahr bekleidete er den Dienstgrad eines Hauptbrandmeisters. Hektik führte oft zu Unüberlegtheit, und Unüberlegtheit war selten ein guter Ratgeber, wenn es brannte. Aber es gab auch nicht den geringsten Grund zur Hektik.

      Er hatte in seinem Leben schon viele brennende Autos gesehen. Bei Unfällen konnte das gefährlich werden, denn es konnten Kraftstoffleitungen oder Tanks beschädigt sein. Dann sollte man auf der Hut sein. Nicht so hier. Tanks waren so gebaut, dass ein Feuer sie nicht zur Explosion bringen konnte.

      Vielleicht sollte das mal einer den Hollywoodregisseuren sagen! dachte Henkel, als er sich nur mit einem einfachen Feuerlöscher bewaffnet dem brennenden Auto näherte. Gefahr bestand nur, wenn die Reifen oder die pneumatischen Dämpfer der Heckklappe platzten, denn dann konnten Teile umherfliegen. Aber dafür hatte das Auto noch nicht lange genug gebrannt. Das passierte frühestens nach fünfzehn Minuten.

      Mit wenigen kurzen Stößen aus seinem Feuerlöscher hatte er den Brand schnell im Griff. Er schlug das Fahrerfenster ein, entriegelte die Motorhaube, und sprühte durch den Spalt Löschpulver in den Motorraum. Hätte er die Haube zunächst geöffnet, hätte das dem Feuer neuen Sauerstoff gegeben. So war er sicher. Schließlich öffnete er die Motorhaube und setzte ein paar letzte gezielte Stöße aus seinem Löschgerät.

       8.

      Debbie musste sich sammeln. Dieser impertinente Pfarrer hatte ihr den letzten Nerv geraubt. Wie kleideten sich deutsche Pfarrer heutzutage eigentlich? Sie blickte an sich herab und stellte fest, dass ihre dunkelblaue Kombination aus Rock und Blazer ebenfalls nicht mehr zum Ausgehen taugte. Aber dafür gab es immerhin auch Gründe.

      Die einzigen positiven Aspekte an dem Gespräch waren die Tatsache, dass der aufdringliche Sanitäter sie nun in Ruhe ließ, und die Erkenntnis, dass man den Tod des Professors als Unfall ansah. Letzteres bedeutete, dass sie handeln musste. Sie musste dafür sorgen, dass Mordermittlungen angestrengt wurden. Es konnte eigentlich nicht allzu schwer sein, die Polizei davon zu überzeugen. Schließlich lag es doch auf der Hand. Die Schrift, der Ton – jemand hatte hier etwas geplant, manipuliert, inszeniert. Natürlich konnte sie den Blitz nicht erklären. Vielleicht hatte jemand am Blitzableiter rumgespielt; sie wusste es nicht. Aber sie wusste, dass dies nicht einfach ein Unfall gewesen sein konnte.

      In einem Punkt allerdings, wusste sie, hatte der Pfarrer nicht ganz unrecht gehabt. Sie durfte die Ereignisse nicht verdrängen, sondern musste sie verarbeiten. Aber nicht jetzt. Man gab ihr ja gar keine Chance dazu. Offenbar musste sie sich wohl sogar darum kümmern, dass vernünftige Mordermittlungen eingeleitet wurden.

      Sie suchte nach einem Polizisten. Der Saal war inzwischen weitaus übersichtlicher als noch vor einer halben Stunde. Nicht einmal mehr halb so viele Menschen rannten umher, aber immer noch herrschte ein heilloses Durcheinander. Einen Polizisten zu finden, fiel nicht schwer. Sie ging auf einen zu, der damit beschäftigt war, die Saalbestuhlung im hinteren Teil des Saals zu stapeln.

      „Entschuldigung. Wer bitte leitet die Todesermittlungen hier?” fragte sie.

      „Das ist Hauptkommissar Wegmann”, antwortete der Polizist und blickte sich suchend um. Schließlich wurde er fündig und streckte seinen Arm in Richtung Bühne aus. „Der Mann da drüben bei dem Notarzt.”

      Debbie folgte dem ausgestreckten Arm des Polizisten und sah Wegmann, der offenbar recht heftig mit dem Notarzt diskutierte. Dann plötzlich wurde der Notarzt bleich, unterschrieb ein Blatt und reichte es Wegmann, der sehr zufrieden darüber wirkte.

      Debbie ging zu ihm.

      „Leiten Sie hier die Todesermittlungen?” sprach sie ihn an.

      „Ja. Wieso?” Wegmann drehte sich irritiert zu ihr um.

      Gleich auf den ersten Blick empfand Debbie eine kaum erklärbare Antipathie gegen ihn. Es war etwas an seinem Aussehen, aber es musste subtil sein. Sie hatte andere Männer kennengelernt, die ähnlich groß und leicht füllig waren und die ebenfalls einen strengen, sauber getrimmten Vollbart trugen, die aber vom ersten Moment an sympathisch gewirkt hatten.

      Nicht so Wegmann. Debbie entschied sich für die Augen. Es mussten seine Augen sein. Zu nervös wanderten sie umher, stellten keinen Blickkontakt mit Debbie her, zuckten überall hin, nur nicht auf sein Gegenüber. Sie waren klein, zu klein für seinen großen Kopf, und hatten etwas Linkisches, Kalkulierendes.

      „Mein Name ist Dr. Deborah Ashcroft”, begann Debbie nichtsdestotrotz unbeirrt. „Ich bin… war die Assistentin des Verstorbenen.”

      „Dann sollten Sie auf keinen Fall hier rumlaufen”, erwiderte Wegmann. „Sie stehen bestimmt unter Schock. Lassen Sie sich helfen. Wir haben Polizeipsychologen hier und auch extra einen Pfarrer herbestellt, um…”

      Debbie