Das Grab des Franzosen. Olaf Viehmann

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Название Das Grab des Franzosen
Автор произведения Olaf Viehmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754130223



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geschickten Seitenhiebe der Verteidiger maßlos aufgeregt. Doch nun, nach über zwei Jahren in ihrer jetzigen Position, kannte sie das Spiel und blieb souverän und ruhig bei ihren auf naturwissenschaftlicher Basis gewonnenen Erkenntnissen. Ja, und sie hatte den Eindruck, dass die Richter ihre fachliche Qualifikation wahrnahmen und achteten.

      Kaum hatte sie nach Verlassen des Gerichtsgebäudes den Flugmodus ihres Handys deaktiviert, da klingelte es und sie drückte den grünen Knopf. „Jäger!“ „Hallo Sophia, Erwin hier! Wir haben einen Leichenfund. Ich habe die Kollegen von der KTU schon informiert, vielleicht möchtest du ja selbst noch vor Ort einen Blick drauf werfen. Ich schick dir die Koordinaten fürs Navi auf dein Handy, ok?“

      An die kollegiale Art, mit der Erwin Walther mit ihr sprach, würde sie sich erst noch gewöhnen müssen. Kennengelernt hatte Sophia den Kriminaloberkommissar anlässlich der feierlichen Eröffnung ihrer Dienststelle, die als Pilotprojekt galt. Seitdem hatte Sie kaum mit ihm zusammen gearbeitet. Erwin war in seinem Umgang mit ihr von Anfang an sehr offen. Vielleicht irritierte es sie auch nur deshalb, weil sie das von den Menschen in Hagen nicht gewohnt war und sie vermutete, dass Erwin ein privates Interesse an ihr haben könnte. Möglicherweise bedurfte es einfach nur einer Phase der intensiven Zusammenarbeit, bis es sich für sie normal anfühlen würde.

      Sophia bestätigte, „Ja, gerne. Bist du vor Ort?“

      „Ja, ich bin schon eine Weile hier. - Habe bereits alles erledigt, damit du ungestört arbeiten kannst.“

      „Gut – bis gleich!“

      Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Erledigung aussah. Ihre Mitarbeiter hatten das Instrumentenzelt aufgebaut und den Fundort gesichert, während er mit wichtiger Miene in der Gegend rumstand. Sophia wurde das Gefühl nicht los, dass es verdammt lange dauern würde, bis es zu einer gemeinsamen Wellenlänge käme.

      Mittlerweile war sie bei ihrem Auto angelangt. Weil es ein warmer und sonniger Frühlingsmorgen war, öffnete sie das Verdeck des roten Spider Cabrios, Baujahr 1967, schwang sich in den Sitz und übernahm die übermittelten Daten des Oberkommissars in die Navi-App ihres Handys. Nachdem sie ihre Pumps gegen bequeme und alltagstaugliche Sneaker getauscht hatte und ihre blonden schulterlangen Haare mit einem Haargummi hinter dem Kopf fixiert hatte, fuhr sie los. Sie ließ sich von der Technik quer durch die Innenstadt bis Eilpe führen. Dort ging es die Selbecker Straße hinauf. Sie genoss das Gefühl von Freiheit, wie es wohl nur Cabrio-Fahrer wertschätzen können. Bei ihr ging es aber noch darüber hinaus, es bestärkte sie in ihrem Drang nach Unabhängigkeit: Das zu tun, was wichtig und richtig ist! Bei genauerer Betrachtung war dieses Bedürfnis nach beruflicher Freiheit maßgeblich für ihre spontane Zusage gewesen, die Leitung einer Außenstelle der Gerichtsmedizin zu übernehmen. Und für Sophia war es die Gelegenheit, sich aus dem, ‚viele Jäger – wenig Hasen‘ – Umfeld im Uniklinikum Dortmund abzusetzen. Sie lebte auf in ihrem Job und belohnte sich selbst damit, jeden Fall korrekt und mit einem leichten Hang zum Perfektionismus zu bearbeiten. Doch hatte sie tatsächlich die Freiheit, das zu tun, was sie für das Richtige hielt? Ad hoc kamen ihr nur zwei Berufe in den Sinn, bei denen das wirklich so war: Richter und Papst. Obwohl - beim Papst war sie sich da gar nicht so sicher.

      Der weiblichen Stimme Ihrer Navi-App folgend lenkte sie nach gut zwei Kilometern ihren Spider nach rechts und folgte einer den Berg hinaufführenden Serpentine, die längs des Weges von Nachkriegsbauten, mit hübschen Vorgärten und allerlei Gartennippes geschmückt, gesäumt war. Nach der letzten der fünf Kurven endete die Straße in einer Sackgasse. Zwischen den Neubauten und einer prächtigen Villa aus der Gründerzeit war, als würde dadurch der gebührende Abstand unter den gesellschaftlichen Schichten untermauert, ein baufreier, wild begrünter Raum. Vor der Villa parkten der, ihr bekannte, Mercedes-Transporter der KTU und ebenso der 5er BMW des Kommissars, sodass Sophia der Ansage des Navis keine weitere Beachtung schenken musste. Sie stellte ihren Spider vor dem BMW ab, stieg aus und schaute beeindruckt zunächst auf die Villa, an der oberhalb des zweiten Stockwerkes das Baujahr 1901 aus schmiedeeisernen Ziffern dem Betrachter ins Auge fiel. Das Haus war in einem dezenten Mintgrün gestrichen und machte einen gepflegten Eindruck. Oberhalb der Jahresangabe waren zwei kreisrunde Fenster angeordnet, links und rechts gesäumt von den abfallenden Dachflächen. Es strahlte etwas Lebendiges aus, als hätte das ehrwürdige Haus Augen, die in die Ferne schauen würden. Diesem imaginären Blick folgend änderte sie ihre Blickrichtung und es bot sich ihr ein wunderschöner Ausblick über das Mäckingerbachtal. „Nicht schlecht, gar nicht schlecht“, flüsterte sie leise.

      Als sie sich wieder dem Anwesen zuwandte und die ersten Schritte in Richtung des offenen stehenden schmiedeeisernen Gartentores tat, kam ihr ein Mann mit ungefähr zehn Millimeter kurzen, weißgrauen Haaren entgegen: Kriminaloberkommissar Erwin Walther. Insgesamt hatte er eine sportliche Erscheinung. In seiner schlichten Lederjacke und mit seinem forschen Schritt wäre er für unter 48 Jahre durchgegangen, die er tatsächlich war.

      „Schön, dass du es so schnell einrichten konntest, Sophia. Die Fundstelle ist gesichert, die Kollegen von der Streife sind gerade fort und die KTU ist im Zelt und ordnet ihre Instrumente. Habe natürlich auch die Leiche schon in Augenschein genommen, nur aus der Ferne, ohne etwas anzufassen.“

      Als erfahrener Kriminalist wusste er, dass oberstes Gebot nach einer Leichenauffindung war, mögliche Spuren am Fundort nicht durch unbedachtes Handeln zu verwischen.

      Er fügte seiner Einführung noch hinzu: „Aber viel wird es hier wohl nicht zu tun geben. Für uns, meine ich!“

      Eins muss man ihm ja lassen, dachte Sophia. Er ist absolut professionell in seinem Job! Doch in der Bewertung der Frage, ob es hier etwas zu tun gäbe, sah sie im Ansatz ihren Kompetenzbereich verletzt, daher erwiderte sie mit einem verschmitzten Lächeln:

      „Na, dann können WIR ja wieder fahren!“

      „Nein, so meinte ich es nicht, ich meine nur, da ist wohl jemand schon etwas länger tot und es sieht eher nach einem Fall für die Archäologie als für die Kripo aus.“

      „Vielleicht darf ich trotzdem mal selbst sehen?“, konterte Sophia und fügte lachend hinzu:

      „Die Archäologie können wir ja immer noch informieren. Naturgemäß sind die es ja gewohnt zu warten.“

      Links neben das stattliche Haus führte ein mit feinem grauen Kies bestreuter Weg. Auf der Mitte zweigte dieser zur seitlichen Eingangstür ab, weiter geradeaus zum Garten. Ohne dass Sophia von der schweren hölzernen Haustür Notiz nahm, gingen sie und Erwin daran vorbei. Sie wollte die Wogen etwas glätten und führte das Gespräch weg von der Frage ihrer Zuständigkeit:

      „Haben die Bewohner des Hauses dir schon was Zweckdienliches sagen können?“

      „Nein, noch nicht. Ich habe die Hausherrin vorhin nur kurz begrüßt. Steht als Nächstes auf meiner Liste. – Ich denke, Ihr kommt ohne mich aus. Ja? Wenn ich gebraucht werde, ich bin im Haus.“ Mit diesen Worten drehte Erwin sich um und entfernte sich.

      Sophia hatte ein ungutes Gefühl. War sie zu dünnhäutig gewesen und ihm gegenüber zu bissig? Als Frau in einer Männerdomäne hatte sie gelernt, die Ellenbogen zu benutzen. Doch damit konnte sie mehr Schaden anrichten, als ihr lieb war, dessen wurde sie sich in diesem Moment bewusst. Über Erwin Walther wusste sie, dass er überzeugter Junggeselle war und mit der Kriminalistik seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hatte. Er selbst hatte ihr bei ihrem ersten Treffen erzählt, dass er zu Hause eine ganze Regalwand voller Bücher über Kriminalfälle hätte, und dass er es liebte, abends darin zu lesen. Waren Erwin und Sophia sich – beide in ihrem Spezialgebiet – ähnlicher als angenommen? Es konnte ja gut sein, dass Erwin mit seinem Schwung und Elan einfach nur helfen wollte. Deshalb nahm Sophia sich vor, ihrer beruflichen Beziehung eine Chance zu geben.

      Sophia sah eine weite, nach ihrer Schätzung 1800 Quadratmeter große Rasenfläche, gesäumt von einem bunten Gemisch angelegter Blumenbeete, dahinter einen mannshohen Wildzaun. Hinter dem Zaun war dichter Mischwald. In der Mitte des Grüns stand ein hellblauer kleiner Bagger, offensichtlich das Werkzeug zur