Название | Amsterdam |
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Автор произведения | Uwe Hammer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742715234 |
Der Zugführer hatte sicher für einen Augenblick nicht aufgepasst und so seinen Einsatz verschlafen und war darüber ganz bestimmt äußerst verärgert. Anders konnte sich Dieter diesen glücklichen Umstand nicht erklären. Die Zugfahrt an sich war ereignislos, um nicht zu sagen langweilig. Aufgrund der für Berufstätige doch recht frühen Zeit für die Heimfahrt befanden sich nur wenig Fahrgäste im Zug und unter Diesen war keiner oder besser gesagt keine die es sich zu beobachten gelohnt hätte. Dennoch kam Dieter die Fahrzeit kurz vor, da er voll und ganz damit beschäftigt war, sich seinen unvermeidlichen sozialen Abstieg in allen Einzelheiten auszumalen. Arbeitslosigkeit, Scheidung, Obdachlosigkeit, Alkoholismus und am Schluss irgendwo am Viktualienmarkt erfroren aufgefunden zu werden. So hat er sich sein Ende nicht vorgestellt und da war er sich sicher, dass hatte er auch nicht verdient.
Die Schrottkarre
Der Zug hielt wie immer mit übermäßig viel Autoverkehr belästigten Miesbach und er machte sich auf den kurzen Fußweg nach Hause. Bei seinem Haus angekommen sah er einen alten Volvo Kombi direkt vor der Einfahrt seines Hauses parken. „Den alten Schrottkarren kenne ich doch“ murmelte Dieter vor sich hin. Er ging um das Auto herum und schaute durch alle Fenster ins Innere des völlig verdreckten und mit Müll vollgestopften Fahrzeuges. Nun war er sich absolut sicher, diese fahrende Müllhalde gehörte Sören, dem Kitelehrer seiner Frau. Genaugenommen war es einmal der Kitelehrer von ihm und von Claudette, aber aufgrund von unglücklichen Umständen war er inzwischen nur noch der Kitelehrer von Claudette. Dieter dachte ungern an diese unrühmliche Episode seines Lebens zurück in die er wie so oft ohne eigenes Verschulden ja man kann sogar mit Recht behaupten gegen seinen ausdrücklichen Willen, hineingeraten war.
Kaum dass der Kitesport das Licht der Welt erblickt hatte, oder doch zumindest den Weg nach Oberbayern gefunden hatte, war Claudette Feuer und Flamme und sie bildet sich ein, dass das genau der richtige Sport für Sie und Dieter wäre. Eigentlich eher für sie, aber Dieter war nun mal ihr Ehemann wie auch immer das passieren konnte, und musste gezwungener Maßen wenigsten in einige ihrer Lebenspläne mitberücksichtigt werden. Kiteboarding gehörte wohl dazu, obwohl die Chancen, dass Dieter für diese Art der Freizeitbeschäftigung in irgendeiner Weise geeignet sein könnte, doch eher gering waren. Nachdem sie knapp ein halbes Jahr immer wieder auf ihn eingeredet hatte, sah Dieter keinen anderen Ausweg, als zu versprechen sich das Ganze einmal anzusehen.
Dieses an und für sich harmlose und völlig unverbindliche Versprechen reichte für Claudette aus, sofort einen Kurs für beide zu buchen und zwar am Achensee, da dort häufig genügend Wild war, um sich von einem Stück Stoff an Schnüren und einem Brett unter der Füßen durch die Luft wirbeln zu lassen. Eines Tages war es dann soweit, man fuhr gemeinsam Richtung Achensee, um das Abenteuer Kiteboarding in Angriff zu nehmen. Kaum am Achensee angekommen wurden sie auch schon direkt von Sören begrüßt. Groß, muskulös, braun gebrannt, lange leicht ungepflegt wirkende Haare, einen gekonnt drapierten 3-Tage-Bart, der ein markantes Kinn ins richtige Licht rückte, blaue stechende Augen. Das musste einem der Neid schon lassen, Sören war ein Bild von einem Mannsbild. Dieter registrierte direkt, dass Claudette von diesem Erscheinungsbild unmittelbar beeindruckt war. Dieter stand dem Ganzen eher skeptisch gegenüber. Er wunderte sich nur über die hellseherische Begabung über welche die Erzeuger von Sören offensichtlich verfügt haben mussten, aber wie war es sonst zu erklären, dass sie ihrem Sprössling ausgerechnet den Namen Sören gaben.
Was kann ein Mensch mit dem Namen Sören mit seinem Leben anderes anfangen als Lehrer irgendeiner Modesportart zu werden. Ein anderer Beruf war doch gar nicht denkbar, aber wie um alles in der Welt konnten das seine Eltern in einem so frühen Stadium seines irdischen Daseins wissen. Da Dieter auf diese Frage keine Antwort finden konnte, fand er sich mit der Tatsache ab, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die wir uns mit unserer Schulweisheit nicht erklären können. Sörens Begrüßung war nordisch unterkühlt, wie auch sonst. Er begann ohne große Umwege mit der ersten theoretischen Lektion, die er in einem alten Holzschuppen abhielt in welchem sich knapp 10 Kursteilnehmer eingefunden hatten. Claudette saß neben Dieter auf einem der wackligen Holzschemel und himmelte Sören regelrecht an, während Dieter eher gelangweilt den Ausführungen über Wind, und die Beschaffenheit von Kite Board und Bar lauschte.
Nach etwa einer Stunde waren sich die Anderen Kurzteilnehmer und Sören einig, dass Theorie doch eher etwas für Sesselfurzer wäre, was Dieter zwar grundsätzlich bejahte, ihn aber dennoch nicht davon abhielt als Einziger für die Fortführung des Theorieunterrichtes zu stimmen, während sich der Rest der Truppe dafür aussprach, lieber gleich in den praktischen Teil überzugehen. Da es recht warm war, entschloss man sich, in Badekleidung an den See zu gehen, wobei Dieter solches nicht zu bieten hat und folglich mit einer leicht hoch geschlagenen langen hellbraunen Hose und freiem Oberkörper am See stand. Dieses etwas uncoole Outfit gepaart mit seinem über die Gürtelschnalle hängenden Bauchspeck verlieh ihm nicht gerade die Optik eines Trendsportlers. Ganz im Gegenteil er wirkte eher wie ein Fernsehsportler, dessen Fernseher defekt war und er sich deshalb die Zeit am Strand vertrieb.
Im Gegensatz dazu tauchte Claudette zu Dieters Verwunderung in einem aufreizenden, durchaus knapp bemessenen Bikini am See auf, was so wie von ihr erhofft die Aufmerksamkeit von Sören auf sich zog, der zumindest ihr gegenüber langsam seine unterkühlte nordische Verhaltensweise abzulegen begann. Das Erste was ein Kiter lernen muss sei das Gefühl für den Wind und für das Kite, wie der Drache unter den Kiter genannt wird. Die Querstange an welcher der Drache genauer gesagt das Kite befestigt wird nennt sich Bar, was ja auch kürzer auszusprechen ist, als Drachenbefestigungsgestänge. Nachdem auch dieses Grundwissen bezüglich des gebräuchlichen Wordings den Kursteilnehmern vermittelt war, hielt es Sören für angebracht, dass jeder Teilnehmer als Einstieg in den praktischen Teil einmal Kite und Wind spüren sollte.
Also ließ er zum ersten Mal den Drache, pardon natürlich das Kite steigen, nicht ohne jede seiner Handlungen den gebannten Zuschauern ausführlich zu erläutern, und gab jedem Kursteilnehmer für einen kurzen Moment die Bar in die Hände, dass diese sichtlich beeindruckt Wind und Kite spüren konnte. Es war auffällig, dass die hierfür erforderliche körperliche Nähe zum einem vom Geschlecht des Kursteilnehmers beziehungsweise der Kursteilnehmerin und zum anderen von der Attraktivität in diesem Fall allerdings nur der Kursteilnehmerin abhing. Der körperlichen Nähe bei dieser Übung nach zu urteilen, schien Claudette recht hohes Ansehen bei Sören zu genießen, was diese wiederum sichtlich genoss. Dieter hatte das Pech, dass er als Ehemann der in Sörens Augen attraktivsten Kursteilnehmerin wohl kein besonders Ansehen genoss, was dazu führte, dass Sören ihm die Bar aus einer Entfernung von ca. 1mm mehr oder weniger entgegen warf.
Was dann geschah kann man mit Recht eine Verkettung unglücklicher Umstände nennen. Genau zum Zeitpunkt der geplanten Übergabe kam es Claudette in den Sinn, ihren in knappen Bikinihöschen durchaus bemerkenswerten Hintern direkt in Sörens Blickfeld zu platzieren, sicherlich in der Absicht damit seine Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Plan ging indes voll auf, so dass Sören wohl zum ungünstigsten Zeitpunkt, zumindest aus Dieters Betrachtungswinkel, kurz abgelenkt war. Genau in dem Augenblick als Dieter die Bar übernahm und Sören sein Interesse mehr in Richtung Claudettes Hintern ausrichtet, kam eine recht starke Böe in Richtung See auf.
Es kam wie es kommen musste, Sören lies die Bar los und Dieter hatte sie allein fest in beiden Händen. Der plötzlichen auftretenden Böe gefiel es, das Kite und somit auch den daran hängenden Dieter ruckartig mehrere Meter hoch in die Luft zu katapultieren. Vor lauter Schreck ließ Dieter die Bar nicht los, sondern klammerte sich ganz im Gegenteil mit all seiner Kraft daran fest. Laut aufschreiend wurde er in einer