Eine Partie Monopolygamie. Kolja Menning

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Название Eine Partie Monopolygamie
Автор произведения Kolja Menning
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752915013



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Wir haben eine gute Mischung aus Frauen und Männern, wir haben Christen, Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten und Atheisten. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir sogar im Management nicht nur eine Quotenfrau haben. Diese großartige Diversität kann sich aber nur gewinnbringend für Fair^Made entfalten, wenn auch Inclusion stattfindet. Das heißt, dass niemand ausgegrenzt wird. Jeder hat es verdient, respektvoll behandelt zu werden. Das gilt übrigens auch für die sexuelle Orientierung eines jeden. Die unglaubliche Diversität unseres Teams ist eine unserer großen Stärken, solange wir ihr eine Chance geben. Deswegen ist besonders mir als Gründerin von Fair^Made sehr wichtig, dass auch jeder neue Kollege diese Grundsätze lebt.«

      Sie macht eine Pause und blickt uns nacheinander an. Mir ist nicht entgangen, dass sie Alter, Familienstatus und soziale Schicht nicht genannt hat. Und wie ist das mit Leuten, die kein Studium haben?

      Ein Blick auf die anderen Neustarter sagt mir, dass sie begeistert sind von Lena Perssons Worten. Bis vielleicht auf den Finanzler.

      »Gibt es auch eine LGBT-Gruppe bei Fair^Made?«, fragt eine der neuen Kolleginnen.

      Lena nickt.

      »Falls du dich für das Thema interessierst, schreib einfach eine E-Mail an [email protected]. Das kannst du übrigens auch tun, wenn du heterosexuell bist. Niemand wird da ausgegrenzt.«

      LGBT?, frage ich mich. Da meine Kollegen damit aber offensichtlich etwas anfangen können, stelle ich die Frage nicht.

      »So viel zu Inclusion and Diversity«, fährt Lena fort. »Außerdem haben wir bei Fair^Made klare Guidelines, was sexuelle Belästigung angeht. In einem Satz: Sexuelle Belästigung ist ein absolutes Tabu! Details könnt ihr einem Dokument dazu entnehmen, das ich euch nachher schicke. Bitte lest es sorgfältig.«

      Sie blickt uns an, wir nicken.

      »Kommen wir zum nächsten wichtigen Thema: Feedback. Wir glauben daran, dass wir uns nur kontinuierlich verbessern können, wenn wir regelmäßig Quality Feedback bekommen. Es ist deswegen sehr wichtig! Wenn euch jemand Feedback gibt, seht es als Geschenk! Egal, ob es positiv oder kritisch ist. Und denkt auch daran, anderen Geschenke zu machen. Es ist nicht leicht, konstruktives Feedback zu geben. Deswegen haben wir regelmäßig Feedback-Trainings. Wenn ihr nicht in den nächsten vier Wochen zu einem solchen Training eingeladen werdet, sprecht euren Manager darauf an, OK?«

      Wir nicken.

      »Wenn ihr Fragen habt, fragt.«

      Ich habe diverse Fragen. Doch keine, die ich vor der Gründerin von Fair^Made zu stellen wage.

      »Dann kommen wir zum nächsten Thema: Risk Taking. Wer etwas Neues ausprobiert, geht das Risiko ein, dass es nicht funktioniert. Wer jedoch nichts Neues ausprobiert, kann sich auch nicht verbessern. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. So sagt man doch auf Deutsch, oder? Deswegen pflegen wir bei Fair^Made auch eine hohe Toleranz gegenüber Fehlern. Fehler sind nicht schön. Wer macht schon gern Fehler? Natürlich sollten wir dumme Fehler vermeiden. Doch wenn man etwas Neues ausprobiert und dabei Fehler macht, verdient das Anerkennung und nicht Kritik – solange man seine Fehler offen zugibt. Fragen?«

      Wieder ist es der junge Finance-Kollege, der sich meldet und nach einem ermutigenden Nicken von Lena spricht:

      »Ich vermute, das mit den Risiken und Fehlern trifft auf uns im Finance auch zu?«

      Ich sehe, wie zwei der anderen die Augen verdrehen. Lena jedoch geht ernsthaft auf die Frage ein.

      »Genau wie in allen anderen Teams sollten im Finance Fehler offen zugegeben werden. Und auch wenn ich keine Expertin bin, kann man auch im Finance-Team Neues ausprobieren. Wir sollten da nur die übliche Sorgfalt walten lassen, damit unsere Konten, Quartals- und Jahresabschlüsse sauber sind. Wer hat noch Fragen?«

      Eine sehr junge Frau mit grün gefärbtem Haar und einem Nasenpiercing meldet sich.

      »Ja?«

      »Können wir freitags mit FFF streiken?«, fragt die Grünhaarige.

      »FFF?«, rutscht es mir raus.

      Die Grünhaarige verdreht die Augen. »Fridays For Future. Nicht deine Generation.«

      Ah, denke ich. Zumindest nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Ich beglückwünsche mich, dass ich nicht nach LGBT gefragt habe. Sonst hätte ich mich jetzt bereits zweimal blamiert.

      »Fair^Made toleriert nicht nur, dass Fair^Maker sich an den Klimastreiks beteiligen«, beantwortet Lena die Frage, »wir ermutigen euch sogar. Stellt nur sicher, dass unserer Mission dadurch nicht geschadet wird. Wir haben dasselbe Ziel.«

      Sie lächelt. »Noch mehr Fragen?«

      Das scheint nicht der Fall zu sein.

      »Ausgezeichnet!«, findet Lena. »Solltet ihr später noch Fragen haben, kommt gern jederzeit auf mich zu! Natürlich könnt ihr euch auch immer an eure Manager wenden. OK?«

      Wir nicken.

      »Noch ein letzter Punkt«, setzt Lena erneut an. »Es versteht sich eigentlich von selbst: Wir achten sehr auf Nachhaltigkeit. Bitte behaltet das bei allem, was ihr tut, im Hinterkopf. So, das war’s für heute. Dann nochmals herzlich willkommen bei Fair^Made!«

      Sobald ich sie bekommen habe, lese ich die von Lena erwähnten Guidelines zum Thema sexuelle Belästigung und Belästigung am Arbeitsplatz im Allgemeinen pflichtbewusst durch. Entwürdigendes Verhalten, durch das sich andere angegriffen fühlen könnten, gilt es zu vermeiden. Zum Beispiel sollte man keine Schwulen- oder Blondinenwitze machen. Sexuelle Beziehungen unter Kollegen sind OK. Problematisch wird es nur, wenn es sich bei den Beteiligten um Mitarbeiter handelt, die auch ein hierarchisches Verhältnis haben. Dann besteht das Risiko von Machtmissbrauch. Da Fair^Made sehr tolerant ist, sind solche Beziehungen nicht völlig ausgeschlossen, aber sie sind unverzüglich dem HR-Team zu melden, damit man gemeinsam eine Lösung finden kann. Auch wenn man sich in irgendeiner Weise belästigt, gedemütigt, angegriffen fühlt, hat man sich umgehend an das HR-Team um Natalya Koulakova zu richten.

      Interessant, dass ein Unternehmen, das so großen Wert auf respektvolles Verhalten legt, solche Guidelines benötigt. Aber gut. Gehört offenbar dazu. Also keine sexuelle Beziehung mit Viktoria König. Na gut.

       Kapitel 10

      Obwohl alle sehr nett sind, wird mir schon sehr bald klar, dass nicht nur zwischen der Welt von Fair^Made und meiner Welt Klassenunterschiede herrschen. Auch innerhalb von Fair^Made existieren sie. Das zeigt sich zum Beispiel beim Mittagessen. Die Leute auf den hohen Managementebenen gehen fast ausschließlich untereinander essen – wenn sie denn essen. Lena Persson scheint das selten zu tun. »Weil sie auf ihre Figur achtet«, erklärt mir Anna, Patrick Landsbergers Assistentin.

      Unterhalb des Topmanagements identifiziere ich noch zwei weitere Klassen. Einerseits die breite Masse der Mitarbeiter in den Marketing-, Finance- oder Category Management-Teams und andererseits jene, die in unterstützenden Funktionen tätig sind: Leute wie Oli aus dem IT Support, Franzi und Pierre, das deutsch-französische Duo vom Empfang – und uns Assistenten. Selbstverständlich benimmt sich jeder uns gegenüber ausgesprochen höflich. Doch die Mittagszeit zeigt, dass es eine unsichtbare Linie gibt. Viktorias Rat, Fair^Made-intern zu netzwerken, stellt sich als schwieriger heraus, als ich im ersten Moment angenommen habe. Es gibt nicht viele, die mit uns zu Mittag essen wollen. Natürlich wird das so direkt nicht gesagt. Wenn man zum Beispiel eine Gruppe junger Marketingkollegen fragt, ob man sich ihnen anschließen könnte, wird die Antwort immer sein: »Selbstverständlich! Gern!« Doch wirklich gelebt wird das nicht. Als Assistentin muss man sich aufdrängen. Gefragt wird man eigentlich nie. Zweimal wage ich es in meiner ersten Woche, mich so einer Gruppe junger Kollegen aufzudrängen – und habe nicht das Gefühl, wirklich dazuzugehören. Am Anfang stellt mir jemand eine Frage. »Und woher kommst du?« Aber schon meine Antwort langweilt. Vielleicht will dann noch jemand wissen, in welchem Stadtteil von Berlin ich wohne. Genauso wie jedoch Brandenburg nicht Portugal, Pakistan oder Panama ist, ist Moabit weder Prenzlauer Berg noch Friedrichshain noch Kreuzberg.