Название | Eine Partie Monopolygamie |
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Автор произведения | Kolja Menning |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752915013 |
... nicht empfehlen, wollte er seinen Satz vermutlich beenden, doch er scheint mir nicht zuzutrauen, dass ich überhaupt auf den Gedanken kommen könnte. Obwohl er damit absolut recht hat, versetzt die Erkenntnis mir einen kleinen Stich.
»Danke«, sage ich.
»Und falls irjendwat is’, ick bin hier«, sagt Oli noch.
Valentina, die zwischenzeitlich furios auf ihrem Laptop – keinem MacBook Pro – herumgehackt hat, bringt mich zurück zu meinem Arbeitsplatz, wo sie mich alleinlässt. Es ist zwölf; ich habe eine halbe Stunde vor dem Mittagessen mit meiner neuen Chefin. Vorsichtig öffne ich den edlen Computer. Zu meiner Überraschung habe ich bereits sechs ungelesene Nachrichten. Eine ist die Einladung zum heutigen Lunch mit Viktoria, zwei weitere sind ebenfalls Einladungen zu irgendwelchen Terminen in den kommenden Tagen, die ich annehme. Dann ist da eine E-Mail mit dem Betreff »Test« von einem gewissen Oliver Bender – Oli aus der IT –, eine Nachricht mit Betreff »Welcome to Fair^Made« von einem mir bisher unbekannten Peter Sauer, die ich vorerst ignoriere, um zuerst die »Your Onboarding« betitelte Nachricht von [email protected] zu öffnen. In dieser finde ich erneut herzliche Willkommensgrüße, ein paar praktische Hinweise und vor allem eine Menge Links zu »a few useful resources for your first months at Fair^Made«.
Weil ich die Namen vieler der heute getroffenen Kollegen längst wieder vergessen habe, öffne ich eine Intranetseite mit Organigrammen, die die obersten drei Hierarchieebenen aller Abteilungen abbilden. Bis 12.30 Uhr verbringe ich damit, durch die unterschiedlichen Teams zu surfen. Das Erste, was ich erfahre, ist, dass Peter Sauer einer von zwei Geschäftsführern ist. Er ist CEO und damit Viktorias Chef.
Wow! Der CEO höchstpersönlich hat mir eine Willkommensnachricht geschrieben, stelle ich fest.
Peter Pratt ist der Finanzchef. Der Chef des Category Managements mit dem Playmate-Kalender heißt Patrick Landsberger. Patrick, der Playboy. Ich bin gespannt, wie er wohl ist. Ich bin angenehm überrascht, dass alle weiteren Rollen im Führungsteam von Frauen besetzt sind. Da ist eine Lena Persson – Chief Innovation Officer (CIO) und Chief Operations Office (COO) in einer Person. Sie kenne ich von meinen Recherchen zu Fair^Made. Sie ist Mitgründerin des Unternehmens und die zweite Geschäftsführerin. Unter ihr hängen Annapurna Khan – Head of Operations – und Yukiko Osaka – Head of Innovation & Design. Chief People Officer (CPO) ist Natalya Koulakova, die Valentinas Chefin zu sein scheint. Ein sehr internationales Team.
Viktoria erscheint pünktlich um 12.30 Uhr.
»Ah, du hast den Mac genommen«, stellt sie fest. »Gute Wahl. Wollen wir?«
»Ist es dir recht, wenn wir Italienisch essen?«, fragt mich Viktoria, als wir das Gebäude verlassen.
»Gern«, antworte ich. Mir ist alles recht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal zum Mittagessen in einem Restaurant war.
»Wie fühlst du dich bisher?«, will Viktoria wissen, während wir durch ein paar kleine Straßen schlendern.
»Super«, sage ich wahrheitsgemäß. »Natürlich sind es viele Leute, viele Namen, aber alle scheinen mir sehr nett und hilfsbereit.«
Viktoria nickt. »Das ist unsere Kultur«, erklärt sie. »Hilfsbereitschaft ist uns sehr wichtig. Die meisten von uns sind recht jung; kaum jemand hat zehn Jahre Erfahrung in dem, was er tut. Wenn wir uns nicht gegenseitig helfen würden, stünden wir auf verlorenem Posten. Ich ermutige dich, davon auch Gebrauch zu machen. Wenn du Fragen hast, frag. Egal wen.«
»OK«, sage ich.
»Ich wollte dir in groben Zügen erklären, wie Fair^Made funktioniert«, beginnt Viktoria, nachdem wir bestellt haben. »Mir ist sehr wichtig, dass du das verstehst. Erstens legen wir bei Fair^Made viel Wert darauf, dass jeder weiß, was er oder sie zum großen Ganzen beisteuert. Die meisten von uns brauchen eine Purpose, um mit dem, was sie tun, glücklich zu sein.«
Dieser Gedanke ist mir noch nicht gekommen. Mir geht es hauptsächlich darum, ein deutlich komfortableres finanzielles Auskommen zu haben, als es in den letzten Jahren der Fall war. Ich würde für fünfzigtausend Euro plus Bonus und dreißig Tage Urlaub im Jahr auch vierzig Stunden in der Woche Briefe sortieren oder Fotokopien machen. Doch ich nicke. Wenn es bei Fair^Made so ist, wie Viktoria beschreibt, ist es mir recht.
»Zweitens – und dies ist ein deutlich egoistischerer Grund«, fährt sie mit einem Lächeln fort, »bin ich überzeugt, dass du einen deutlich besseren Job machen können wirst, wenn du Fair^Made verstehst. Und je besser du deinen Job machst, desto besser für mich.«
»Das ist auch in meinem Interesse«, beeile ich mich zu sagen.
»Gut«, findet sie. Und dann legt sie los.
Sie erzählt, dass Fair^Made im Jahr 2012 in Berlin von Lena Persson und David König gegründet wurde. Das hatte ich schon gelesen, als ich mich auf das Interview vorbereitet habe. Lena Persson habe ich in dem Organigramm gesehen. David König taucht da jedoch nicht auf. Obwohl Viktoria mich noch vor wenigen Minuten ermutigt hat zu fragen, wenn ich etwas nicht weiß, tue ich dies nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass ich wissen sollte, was aus David König geworden ist, und ich will mich nicht am ersten Tag blamieren – zumal er denselben Nachnamen trägt wie Viktoria. Nicht dass es da irgendein Fettnäpfchen gibt.
Viktoria kommt kurz auf die Vision Fair^Mades zu sprechen, durch nachhaltige Mode – wenn auch nur eine kleine Nische im Modemarkt – die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Sie erinnert daran, dass wir uns darüber bereits im Bewerbungsgespräch ausgiebig unterhalten haben, und kommt schnell zu anderen Themen. Ich erfahre, dass Fair^Made einen Teil der Produkte nur designt – Lena Perssons Fachgebiet –, und dann von Zulieferern einkauft – Patrick Landsbergers Verantwortung. Dabei wird nicht nur darauf geachtet, dass die Lieferanten den hohen Nachhaltigkeitsstandards von Fair^Made genügen, sondern auch, dass CO2-Emissionen während des Produktionsprozesses und der Transportwege möglichst niedrig sind. Die meisten Zulieferer befinden sich daher in Europa. Da Fair^Made zu Beginn hauptsächlich extern produzieren ließ, waren Qualitätskontrolle und Marketing, um die Marke zu gestalten, besonders wichtig. Seit einigen Jahren bemüht sich Fair^Made verstärkt, eine eigene Produktion aufzubauen. Dies scheint ganz gut zu funktionieren, dauert aber. Auch dafür ist Gründerin Lena Persson verantwortlich. Verkauft werden Fair^Made-Produkte über alle üblichen Kanäle: Stationären Handel, Online-Händler und einen eigenen Online-Shop, der jedoch hauptsächlich ein Marketinginstrument ist, um Innovationen und neue Produkte zu präsentieren und die Marke zu schärfen. Der Umsatz des Online-Shops ist vernachlässigbar.
Während sie erzählt, fallen zahllose Begriffe, die ich nicht verstehe. Viktoria redet von Performance Marketing, Merchandising, Brand Awareness, Marketingkanälen, der Herausforderung einer effizienten Budgetallokation, sie redet von Marktstudien und unterschiedlichen Kundensegmenten, die es auf möglichst personalisierte Weise zu targeten gilt. Diese Kundensegmente haben lustige Namen: Da sind zum Beispiel die Caring Housewives, die Bernie Sanders Ecos oder die Fashionable Bohemians, eine Gruppe, die ich besonders spannend finde, weil ich darunter die wachsende Gruppe wohlhabender und tendenziell recht junger Berliner verstehe, die stets Bio kaufen und sich oft vegetarisch oder sogar vegan ernähren. Ich verdächtige auch meine neue Chefin, in diese Gruppe zu fallen – nicht nur, weil sie einen eindeutig veganen Salat bestellt hat. Je mehr sie jedenfalls erzählt, desto mehr festigt sich mein Eindruck, dass Viktoria sehr genau versteht, wovon sie redet.
Als das Essen serviert wird, bekomme ich eine Pause, um das Gehörte zu verarbeiten. Nachdem sie das letzte Salatblatt verspeist hat und ihr Besteck säuberlich auf den Teller gelegt hat, fährt Viktoria fort:
»Ich weiß, dass das alles sehr viel für dich ist. Es ist unmöglich, dass du alles behältst oder sogar verstehst.